Der groesste informelle Markt Ost-Europas, der Arizona-Markt, liegt im Nordosten Bosnien- Herzegowinas, im Brcko-Distrikt, einem Gebiet mit besonderem voelkerrechtlichem Status.
Den Brcko-Distrikt quert eine Strasse mit besonderem Namen: die >Arizona-Road< - auch >Arizona-Korridor< genannt, die Verbindung von Brcko in Richtung Sarajewo. Die in Bosnien stationierten SFOR und UNO-Truppen codierten zur Vereinfachung der Orientierung die Strassen in Bosnien mit Ortsnamen aus ihren Herkunftslaendern, wie >Arizona<, >Illinois<, >Texas< und >New Jersey<. Durch diese Codierung entsteht eine verwirrende geographische Assoziation und die Neuordnung des lokal gepraegten Raumes zu einem globalisierten [Sprach]Raum. 1997 nimmt durch die Entscheidung der OHR und der SFOR fuer die Zulassung eines Marktes die Entstehung des Arizona-Marktes ihren Lauf. Der Arizona-Markt wurde mit dem Ziel gegruendet, den Handel zwischen den Teilrepubliken anzukurbeln, Arbeitsplaetze zu schaffen und die Fronten zwischen den verfeindeten Bevoelkerungsgruppen ueber die Oekonomie aufzuweichen. An der Arizona-Road, etwa 10 km von der Stadt Brcko entfernt, planieren Truppen der SFOR ein Gebiet zwischen Aeckern und Waeldern und stellen einfachste Baumaterialen zur Verfuegung. Der Arizona-Markt entsteht - im Unterschied zu ueblichen Schwarzmaerkten - auf freiem Feld und waechst rapide. Hier entsteht ein Konglomerat aus improvisiertem Bauen, uneingeschraenktem Handel und staendiger Veraenderung - ein Ort des Transits und der direkten Raumaneignung. Das unkontrollierte und ungeplante Wachstum des Marktes, ohne eine nachhaltige Planung zu beruecksichtigen, wird der SFOR Jahre spaeter zum Vorwurf gemacht. Die Arizona-Road ist die einzige Moeglichkeit, den Markt zu erreichen, sie gibt dem Markt nicht nur seinen Namen, sondern ist auch seine Existenz. Die Strasse wird zur direkten Erschliessung des Marktes, die Geschwindigkeit der Fahrzeuge verringert sich auf der Hoehe der ersten Staende. Bedingt durch den Kaeuferansturm von bis zu 10.000 Besuchern aus der Umgebung, aber auch aus Kroatien und Ungarn, kommt es an Wochenenden zu einer kilometerlangen Stauzone. Diese wird im Schrittempo zum Erlebnisweg durch die geoeffneten Laeden der Staende des Arizona-Marktes. Das lebende Szenario Arizona passiert links und rechts, ist Buehne und Inszenierung zugleich. Die Parkplaetze bilden freie Flaechen zwischen der dichten Formation der Gebaeude und werden fuer eine Tagespauschale von 2 KM [1 Konvertible Mark = 0,59 EUR] beaufsichtigt. Der Arizona-Markt hat im Laufe seiner Entstehung ein selbstorganisiertes System mit verschiedenen Zonen, besondere bauliche Prototypen und architektonische und soziale Organisations- und Informationssysteme herausgebildet. Der Arizona-Markt ist ein Netzwerk - es existieren unabhaengige Elemente, die Gesamtheit aber ist ein vernetzter, sich veraendernder Organismus. Er ist, wie Flechten oder Moose, zu einer Chaosstadt angewachsen, in der sich dennoch eine innere Ordnung gebildet hat. Die etwa 2.500 Gebaeude, von Holzbuden - deren Verkaufsraum direkt in den oeffentlichen Raum der Strasse uebergeht, bis hin zu zweifamilienhausaehnlichen Ziegelbauten - bilden eine dichte, funktional gewachsene Struktur. Neben den Verkaufsstaenden gibt es 60 Cafes und Restaurants, 16 Motels und Nachtclubs und einen Bereich, in dem direkt aus Lkws verkauft wird. Die LKWs reihen sich aneinander und bilden Einkaufsstrassen, die Ladezone wird zum Verkaufsraum. Die Infrastruktur ist improvisiert, es gibt zwei Toiletten, zwei Stromgeneratoren und ein offenes Wasserversorgungs- und Kanalisationsnetz. In der dichten Formation findet man sich zuerst kaum zurecht, bald erkennt man aber Hauptstrassen, nach Warenangebot differenzierte Bereiche, und verschiedene Atmosphaeren. Der Arizona Markt kann auch als transitorischer Ort ephemerer Architekturen verstanden werden: Waren die improvisierten Bauten zuerst ueberwiegend aus Holz, Pappe und Wellblech, gibt es die Tendenz zu immer mehr Ziegelbauten, und auch die Groesse der Gebaeude waechst mit dem Markt. Das Ziel der OHR am Arizona-Markt ist - mit ihrem Rueckzug aus Bosnien verbunden - ein Vorzeigeprojekt: die Umwandlung des Arizona- Marktes [...] soll die Transformation von informeller Arbeit zu legalen Arbeitsverhaeltnissen schaffen und nebenbei das organisierte Verbrechen, ohne nationalistische Ausbrueche zu provozieren, in marktwirtschaftlich-legale Schranken weisen. Die architektonische Sprache symbolisiert dieses Vorhaben: vom Netzwerk improvisierter Bauten zu global verstaendlichen Stilismen einer Shopping-Mall-Architektur. Die Investoren und die Regierung des Brcko-Distrikts erwarten sich neben Einnahmen und Steuergeldern zusaetzliche Arbeitsplaetze, einen wirtschaftlichen Aufschwung und dadurch auch eine politische Stabilisierung. Dem entgegen stehen die Vermutungen der Geschaeftsinhaber, der Mieter und Landbesitzer des Arizona-Marktes, die sich uebergangen, zum Landverkauf gezwungen und bald vertrieben sehen. Die bauliche Transformation von aehnlich wie der Arizona-Markt gewachsenen Strukturen ist haeufig misslungen, jedoch funktioniert die Strategie, eine baulich gewachsene Struktur, die einer von den Entscheidungstraegern und Finanziers erwuenschten Loesung im Wege steht, auf negative Zuschreibungen wie >schmutzig, desorganisiert oder kriminell< zu reduzieren und diese als schlagkraeftige Argumente fuer eine Zerstoerung des Ganzen zu verwenden, nicht nur am Arizona-Markt.