Im Land des Fuehrerscheins

Meine Beziehung zur deutschen Sprache ist, wie wohl fuer alle Juden nach dem Holocaust, zutiefst gezeichnet durch den Nationalsozialismus. Trotz allem habe ich in Buenos Aires angefangen, Deutsch zu lernen. Meine Beweggruende gehen auf zweierlei zurueck: Im Jahr 1993 erhielt ich die deutsche Staatsbuergerschaft; gleichzeitig begann ich deutschsprachige Autoren und Kuenstler zu entdecken, die fuer mich sowohl die deutsche Sprache als auch Kultur in ein positives Licht rueckten.

Seit 1999 lebe ich in Deutschland und mein Verhaeltnis zu Deutsch ist ein ums andere Mal intimer geworden – dennoch assoziiere ich es nach wie vor mit dem Nationalsozialismus. Es ueberrascht mich und empoert mich zugleich, dass auf meiner Fahrerlaubnis >Fuehrerschein< steht. Oder dass man, wie Bernhard Schlink in einer Erzaehlung kritisiert, noch immer im Alltag den Ausdruck >bis zum Vergasen< verwendet. Der Aneignungsprozess der deutschen Sprache ist langsam und schwer gewesen. Die Raeume, in denen ich mit anderen Sprechern meiner Muttersprache Spanisch zusammenkomme, erlebe ich deshalb als erholend und geradezu befreiend. In meinem Alltag wechsle ich fliessend zwischen Spanisch und Deutsch. Dabei beobachte ich an mir selbst und meinen Gespraechspartnern interessante Sprachmischungsphaenomene, die man als >Chicano-Deutsch< bezeichnen koennte. Ausserdem finden deutsche Woerter, die keine exakte Uebersetzung im Spanischen haben, in meiner Muttersprache Verwendung. >Sich melden< verwandelt sich beispielsweise in >meldearse<. In meiner Arbeit als Soziologin spielt die Sprache eine fundamentale Rolle, da mein primaeres Ausdrucksmittel das geschriebene Wort ist. Denken und Schreiben ist fuer jemanden, der intellektuell arbeitet, quasi identisch. Ein aermliches Repertoire an Ausdrucksmoeglichkeiten begrenzt somit nicht nur meine Faehigkeit zu schreiben, sondern auch Gedanken zu artikulieren. Diese Situation - die Unfaehigkeit mich ungebunden und variabel auszudruecken - belastet mich sehr. Jedenfalls gerate ich im Alltag immer wieder in Bedraengnis. Meine akademischen Texte muessen entweder uebersetzt oder von Muttersprachlern gegengelesen werden. Ein Abhaengigkeitsgefuehl stellt sich dadurch ein und ein ebenso gefuehlter Mangel an Autonomie bei der Textproduktion. Ich unterrichte an der Universitaet zwar auf Deutsch, dennoch bezweifle ich, dass ich jemals so gut wie ein Muttersprachler werde schreiben koennen. Ich glaube, dass Englisch eine vergleichsweise flexiblere Sprache ist und bei der Aneignung weniger Schwierigkeiten bereitet. Darueber hinaus sind die englischen Muttersprachler daran gewoehnt, dass man sich ihrer Sprache bemaechtigt und neigen zu einer groesseren Toleranz gegenueber Abweichungen und Akzenten. In Deutschland verspuere ich dagegen eine stillschweigende Abqualifizierung gegenueber jenen, die sich nicht korrekt auf Deutsch ausdruecken koennen. Etwas, dass schrecklich paradox ist, zumal es sich nicht selten um Menschen handelt, die unterschiedliche Sprachen gelernt haben und sowohl sprachlich als auch intellektuell kompetent sind. In meiner Arbeit mit dem Kollektiv >Migrantas< - gegruendet von argentischen Kuenstlerinnen, die in Berlin leben - geht es vor allem um den Austausch mit weiblichen Einwanderinnen. Deutsch ist hierbei unsere gemeinsame Sprache, obgleich es hin und wieder Frauen gibt, die Deutsch nicht verstehen. In solchen Faellen wird uebersetzt. Die visuelle Sprache von Migrantas entfaltet sich hingegen auf der Basis des Piktogramms. Sprachliche Barrieren werden dabei ueberwunden - schliesslich kommt mit dem Piktogramm eine ikonisierte, global verstaendliche Sprache zur Anwendung. Die Piktogramme fuer Ausgaenge oder Toiletten etwa versteht man unabhaengig vom kulturellen Hintergrund. Nicht umsonst findet man sie in so geballter Form an Bahnhoefen und Flughaefen. In unserem Fall geht es allerdings vor allem darum, komplexe Gefuehlswelten und Lebenslaeufe solchen einfachen Ikonen einzuschreiben. In den Workshops, die ich mit Migrantas organisiere, wird Sprache von unterschiedlichen Teilnehmerinnen immer wieder thematisiert. Bisweilen mit Humor, manchmal mit Schmerz und Ohnmacht. Auch fuer uns ist die Herstellung jener Texte, die die Piktogramme begleiten oder die die Ausstellung erklaeren, niemals frei von Konflikten. Als Nicht-Muttersprachlerinnen faellt es uns haeufig schwer, den richtigen Ton oder das richtige Wort zu finden. Ausserdem: Eine Uebersetzung im Woerterbuch nachzuschlagen ist nicht vergleichbar mit jenem Beziehungsreichtum, der sich einem erschliesst, wenn man mit einem Begriff seit seiner Kindheit in Beruehrung ist. Ich glaube, dass die deutsche Sprache - gleichermassen wie die deutsche Kultur uebrigens auch - sehr von den kulturellen Vermischungsprozessen profitieren koennte, die sich im Zuge von Migrationsstroemen ereignen. Sie koennte weltweite Resonanz erfahren, wenn sie sich gegenueber den besagten Veraenderungen nicht verschliessen wuerde, wie es die Verfechter der so genannten >Leitkultur< befuerworten. Ebenso wie das Jiddische seine Spuren im Berliner Slang hinterlassen hat, koennten neue Kulturen und Sprachen die deutsche Sprache und Kultur bereichern.

Ein Kommentar zu “Im Land des Fuehrerscheins

  1. Guten Tag Frau Schindel
    Ihr Artikel ist für mich gleichermassen interssant, wie auch verwirrend. Ich selbst bin Schweizer und bin im “Deutschen” Teil der Schweiz geboren und aufgewachsen. Hochdeutsch ist für mich also gleichzeitig Mutter- wie auch Fremdsprache. Zwar lernt man hier bereits im oder vor dem Kindergarten Hochdeutsch und Hochdeutsch ist auch die offizielle Amtssprache, jedoch ist die eigentlich gesprochene Sprache im Alltag immernoch Schweizerdeutsch. Zusätzlich ist das Hochdeutsch in der Schweiz sehr stark vom Französischen geprägt. Wir sagen beispielsweise nicht “Brieftasche”, sondern “Portemonnaie” oder “Trottoir” statt “Gesteig/Bürgersteig”. Insofern betrachte ich als Schweizer die Deutsche Sprache auch recht anders als es ein Deutscher Bürger vermutlich tun wird.
    Ich persönlich habe keinen jüdischen Hintergrund. Das mag für Sie möglicherweise bedeuten, dass ich in dieser Hinsicht kein Mitspracherecht habe, für mich jedoch bedeutet dies, dass ich die ganze Sache deutlich objektiver betrachten kann als Nicht-jüdische Deutsche, jüdische Deutsche oder jüdische-Nicht Deutsche. In der Schweiz wird der 2. Weltkrieg ein Bisschen in einem anderen Licht betrachtet als in Deutschland. Für die meisten Schweizer ist der 2. Weltkrieg “Geschichte”, respektive Vergangenheit. Wir sehen bei der heutigen Generation Deutschlands keine Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit. Erinnern ist richtig und wichtig, aber “büssen” soll heute kein Deutscher, der damals nicht dabei gewesen ist. Insofern assoziieren wir die Deutsche Sprache keinesfalls mit dem Nationalsozialismus.
    Dies vorsaussagend gehe ich nun auf Ihren Text ein:
    Ich gebe zu, dass der Ausdruck “bis zum Vergasen” ziemlich offensichtlich aus der Nazi-Zeit stammt. Dennoch dürfte es klar sein, dass wenn jemand diesen Ausdruck verwendet, er keinesfalls rechtspopulistische Hintergedanken hat. Es ist schlichtweg ein umgangssprachlicher Ausdruck, der sich eingebürgert hat und der sich vermutlich in der heutigen Generation auch nicht mehr aus der Deutschen Sprache tilgen lassen kann. Die Deutsche Sprache unterliegt genauso wie jede andere Sprache einem Wandel, der durch den aktuellen Zeitgeist geprägt ist. Die Sprache wird direkt durch Neuerungen und Entwicklungen geprägt, ausländische Wörter werden in die eigene Sprache integriert und veraltete Wörter geraten nach und nach in Vergessenheit. Daher sollte auch nicht jeder Ausdruck oder jedes Wort todernst genommen werden. Man muss eben immer alles im konkreten Zusammenhang sehen. Wenn also heute der Ausdrucke “bis zum Vergasen” bei jüdischen Menschen negative Gefühle weckt ist das verständlich. In fünfzig Jahren oder hundert Jahren wird das aber vermutlich anders sein.
    Verwirrend finde ich allerdings, dass Sie den “Führerschein” mit rechtem Gedankengut verbinden. Der Hintergrund ist mir durchaus ersichtlich, aber bloss weil das Wort “Führer” im “Führerschein” enthalten ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass damit auch rechtes Gedankengut verbunden wird. Ganz im Gegenteil! Der “Führer” im Führerschein bezeichnet schlichtweg den Führer eines Fahrzeugs. Den Führerschein in Fahrerlaubnis umzubenennen ist somit völlig überflüssig.

    Wie ich bereits erwähnt habe, ist es sicher richtig, sich der Vergangenheit zu erinnern, damit die gleichen Fehler nicht wiederholt werden. Aber solange Menschen in Verantwortung gezogen werden, die damit gar nicht zu tun hatten, weil sie damals noch nicht existierten, kann sich die Menschheit auch nicht weiterentwickeln und nicht wirklich aus den Fehlern lernen. Solange Sie also Wörter oder Ausdrücke wie “Führerschein” oder “bis zum Vergasen” als persönlichen Angriff betrachten, verdammen Sie automatisch das Deutsche Volk, ob bewusst oder unbewusst. Dies verleitet Sie als Person automatisch dazu, sich von den anderen deutschen Bürgern zu distanzieren. Statt aufeinander zuzugehen und die Vergangenheit abzuschliessen entsteht somit nur eine grössere Kluft zwischen Ihrer Kultur und der Kultur eines nicht jüdischen Deutschen.

    Mein Ratschlag an Sie ist daher: Nehmen Sie die Deutsche Sprache nicht so bitterernst, wie Sie es in diesem Artikel tun. Nehmen Sie die Sprache als Kommunikationsmittel, die dem steten Wandel unterzogen ist. Nehmen Sie eine Beleidigung erst dann als Beleidigung, wenn sie auch so gemeint ist und lassen Sie die Vergangenheit ruhen. Dies ermöglicht ein besseres Zusammenleben, sowohl für Sie, als auch für Ihre Mitmenschen.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.