Bei unserer Umfrage unter Online-Experten kommt diese Woche Gabriele Hooffacker zu Wort. Sie ist Leiterin der Journalistenakademie Muenchen und spricht über ihre Mediensozialisation und was für junge Menschen im Web in Zukunft wichtig sein wird.
Mein erstes Medium, in dem ich aktiv wurde, war das Radio. Beim Kinderfunk des Bayerischen Rundfunks konnten Kinder Texte einsenden. Und dann wurde ich mit vielen anderen Kindern dorthin eingeladen. Das war toll, aber gleichzeitig unglaublich weit weg von meinem Alltag.
Deshalb gruendete ich, weil es an unserer Schule noch keine Schuelerzeitung gab, mit 15 Jahren eine. Das war fuer mich die erste Moeglichkeit, die Sache mit den Medien selber in die Hand zu nehmen. Ende der 1980er Jahre, da schrieb ich schon mehrere Jahre als Journalistin fuer Magazine, durfte ich beim Muenchner Radiosender >Jazz Welle Plus< Kultursendungen machen. Damals muehte ich mich mit der Bandtechnik und dem Einqueuen von Schallplatten ab: Der gewuenschte Song sollte exakt in der richtigen Sekunde anfangen, wenn ich mit der Moderation fertig war. Und das alles live! Das war knifflig und gelang mir anfangs nicht immer. Und noch einiges war anders als heute: Fotos, die ich fuer Magazine machte, mussten auf dem Postweg [!] verschickt werden. Texte habe ich eine Zeitlang auf Diskette verschickt. Manchmal konnten die Redakteure die Disketten aber auf ihren Buero-PCs nicht lesen. Damals traeumte ich von digitalen Abspielgeraeten und vereinfachten Schneidemoeglichkeiten am Computer, von digitaler Uebertragung ganz zu schweigen. Mit wenig Aufwand kann man heute einen via Internet sendenden Radiokanal mit beliebig vielen Mitstreitenden praktisch vom eigenen Schreibtisch aus betreiben. Ein solches Musikradio fuer junge Leute ist der Muenchner Alternativsender Radio 4ward.fm. Der sendet seit kurzem aus dem neuen digitalen Tonstudio meiner Schule, der Journalistenakademie [www.4ward-fm.de]. Indie-Musik hoere ich gern. Ich befuerchte allerdings, dass ich umgekehrt mit meinem Musikgeschmack [Jazz und Blues] den der jungen Musikredakteure eher weniger treffen wuerde. Internet und Webradio haetten sicher auch Bert Brecht gefallen. Er hat bereits bei der Erfindung des Mediums in den 1920er Jahren am Radio besonders die Moeglichkeit geschaetzt, dass der Empfaenger hier selbst zum Sender werden und sich zu Wort melden kann. Ob ihm 4ward.fm oder der Sportkanal 1000mikes.com gefallen haetten, weiss ich nicht - die technischen Moeglichkeiten haetten ihn aber bestimmt fasziniert. Wie dann die Nazis Radio und Film als Propagandainstrumente gegen Kritiker wie Brecht nutzten, ist ein schlechter Witz der Mediengeschichte. Dass Neonazis mittels Computerspiele, Onlineforen und Web-2.0-Communitys Propaganda machen, zeigt immerhin, dass sie in der Zwischenzeit Brecht gelesen haben. Wobei auch sonst nicht alles Gold ist, was die kleinen digitalen Geraete moeglich machen. Das Format >Handyvideo< ist einerseits wichtig fuer Kinder und Jugendliche, um sich ueber sich selbst klar zu werden und selbst Medien zu machen. Gleichzeitig muessen alle Beteiligten, aktiv wie passiv, lernen, Spielregeln dabei einzuhalten: Was im sozialen Miteinander nicht geht, geht auch per Internetvideo nicht [von gewalttaetigen oder sonstigen kriminellen Aktionen ganz zu schweigen]. Wenn jemand nicht gefilmt werden will, muss das respektiert werden. Wenn alle zu Bildreportern werden, muessen sie sich mit Themen wie dem >Recht am eigenen Bild< und dem Schutz der Privatsphaere beschaeftigen. Eine gute Gelegenheit fuer junge Medienmacher, etwas >Kritik der praktischen Vernunft< einzuueben: Handle so, dass die Maxime deines Online-Handelns jederzeit zur Richtschnur eines allgemein gueltigen Gesetzes werden koennte [frei nach Immanuel Kant]. Vielleicht sind aber auch hier die jungen Leute online wieder einmal weiter. >Wisdom of crowds<, die Intelligenz der Vielen, ist vor allem auch soziale und gesellschaftliche Intelligenz. Wer sollte das besser einsehen, formulieren und umsetzen koennen als junge Menschen?