Die ehemalige First-Lady der Bundesrepublik hat eine Lebensbeichte in Buchform vorgelegt. Kurz zuvor hat sie sich öffentlichkeitswirksam ins Gespräch gebracht – mit einer Klage gegen Google. Auf dem Spiel stehen Persönlichkeitsrechte. Und ex negativo: Unsere Idee von Öffentlichkeit. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki fragt: Ist Google die neue Bild-Zeitung? Ein Kommentar.
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Besuchen Sie Google.de und tippen Sie “Bettina Wullf” in die Suchmaske. Schon nach den ersten vier Buchstaben (“Bett”), macht Ihnen die Suchmaschine Vorschläge, zuerst “Bettina Wulff Prostituierte”. Das war vor drei Tagen. Heute: “Bettina Wulff Escort” oder “Bettina Wulff Vorleben”. Die Vorschläge legen nahe: Danach suchen andere Menschen bei Google. Doch “gibt es einen Anspruch darauf, zu verhindern, dass andere erfahren, wonach alle anderen gesucht haben?” Bettina Wullf meint: ja. Medienjournalist Stefan Niggemeier ist sich nicht sicher.
Ohnehin ist die Autocomplete-Funktion umstritten. Sie wird als neutral und objektiv beschrieben – aber ist sie das auch? Und selbst wenn: Kann sich Google mit dieser Argumentation aus der Verantwortung ziehen? Man kann es so wie Dirk von Gehlen sehen: Google stellt Öffentlichkeit her und steht als Unternehmen in einer Traditionslinie mit Medienhäusern aus Print, Funk und Fernsehen. Wer im Kerngeschäft Öffentlichkeit herstellt, muss sich an Regeln halten, darf Persönlichkeitsrechte nicht verletzen.
Die Bild-Zeitung hat gezeigt, dass man damit dennoch durchkommt. Die nicht abreißende Praxis von Persönlichkeitsrechteverletzung hat neben zahlreichen Klagen auch einen Watch-Blog hervorgebracht – eine Redaktion von Bürgerjournalisten, die die Verstöße protokollieren. Nun brauchen wir in Deutschland auch ein Google-Watch-Blog, das nicht von Fans, sondern von Kritikern verfasst wird. Oder eine Art Rezensionsforum für Google-Produkte im Geiste der Netzkritik.
Die Masse und die “Hardcore-Szene”
Doch bringen zunächst die Leitfrage auf den Punkt: Ist Google die neue Bild-Zeitung? Ich denke: Ja und Nein. Vor dem Hintergrund des eben Gesagten: Ja, weil Google Öffentlichkeit herstellt. Weil offensichtlich ist, dass Google im Zuge dessen Wahrheit verzerrt und Persönlichkeitsrechte verletzt und weil damit zweifelhaft ist, inwieweit Google mit seinen (meist kostenlosen) Diensten im Dienste der Öffentlichkeit steht. Ob und inwieweit das der Fall ist, hängt nicht zuletzt von Googles Reaktion auf die Wullf-Klage ab.
Hier ist eine Debatte bereits im vollen Gange. Beobachter geben zu bedenken, ein Einlenken in der Sache Bettina Wullf sei verheerend in der Masse. Solche Modifikationen der Suchmaschine könnten schließlich nicht individuell-kosmetisch ansetzen. Stattdessen müssten sie auf Regeln fußen, die international gelten. Also: “Wie wollen wir uns mit Russland, China und den USA auf einen Standard einigen, der Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten über Grenzen hinaus Schutz bieten kann?”
Werden hier Sorgen um den gesetzlichen Rahmen der Öffentlichkeit laut, so ist zwischen den Zeilen herauszulesen: Hier geht es nicht einfach um die Klage gegen ein Medienhaus des Digitalzeitalters. Hier steht nicht ein Akteur der (digitalen) Öffentlichkeit am Pranger. Hier geht es um das Internet an sich. Das unterstreicht SZ-Journalist Hans Leyendecker auf seine Art, wenn er seinen Bericht zur Lage mit den Worten endet: “Wer sich, wie Bettina Wulff, gegen digitales Unrecht wehrt, wird in der Hardcore-Szene der Internetgemeinde verspottet.” Die “Hardcore-Szene” – das können in diesem Kontext eigentlich nur Trolls sein. Doch Leyendecker impliziert, es handele sich um Julian Assange-Epigonen und Ad-ACTA-Aktivisten, wenn er hinterherschiebt: “Auf Twitter wurde am Wochenende über die Frau gejuxt, die nicht verstanden habe, wie das Internet so beschaffen sei.”
Google ist (nicht) das Internet
Die Verwechselung von globalen Diensten wie Google und Facebook mit dem Internet an sich, gehört inzwischen zur Folklore. Das Internet steht im Banne dieser globalen IT-Konzerne. Sie haben das Internet monopolisiert und zentralisiert. Vor diesem Hintergrund muss die Frage “Ist Google die neue Bild-Zeitung?” mit Nein beantwortet werden. Denn Google ist weitaus mehr. Weitaus größer. Weitaus umfassender aufgestellt als Europas derzeit nur noch zweitgrößte Tageszeitung.
Damit sprechen wir einerseits über eine andere Form von Öffentlichkeit, die Google herstellt. Andererseits auch um gänzlich andere Dimensionen eines Dienstes an der Öffentlichkeit. Die Diskussionen um Bettina Wulff oder auch um Max Mosley – sie sollten uns neugierig machen: Wie kann ein globaler IT-Konzern aus den USA der internationalen Öffentlichkeit dienen? Kann er das überhaupt (wollen)? Geert Lovink, Autor des Buchs Das halbwegs Soziale, ist skeptisch: “Es hat schon zahlreiche Fälle gegeben, dass solche Firmen buchstäblich über Nacht wertvolle Online-Dienste eingestellt haben.”
Es lohnt auch jüngste Meldungen aus diesem Themenfeld zu lesen, die leisere Schlagzeilen gemacht haben. Etwa die Rede von privaten Rechtdurchsetzungen oder Zensur Light im Angesicht von Modifikationen, die Google an seinen Algorithmen vornimmt, um urheberrechtlich vermeintlich dubioses Material aus den Suchergebnissen zu verbannen. Oder auch das Schlagwort der Algorithm Regulation, das uns vor Augen führt: Ständig manipuliert die vermeintlich neutrale Netz-Instanz Google die Öffentlichkeit. Und in den wenigsten Fällen infolge einer öffentlichen Debatte. Geschweige denn im Dienste der Öffentlichkeit. Bettina Wulffs gut durchdachtes Comeback ins Rampenlicht sollte davon nicht ablenken.
Anm.d.Red.: Das Foto oben ist aus der monochrome-Reihe von Mario Sixtus. Es steht unter einer Creative Commons Lizenz.
Auto-Complete. So eine Sache. Denkt man doch gleich: da gibts ne Menge Suchergebnisse zu “Bettina Wullf Prostituierte”. Und wer geht dann wirklich auf die Suchergebnisse? Wahrscheinlich reicht mir diese “Meldung”. Mehr muss ich wissen? Spreche ich mit Freunden drüber. Die wissen auch was. Oder das was sie gehört haben. Auch so Meldungen halt…
interesting for two reasons: First of all, the politics of autocomplete: Obviously, it is another way of shaping information practices (apart from the rankings in the results) already at the stage of the query. It´s not the first time that people criticize it. For example, there was a campaign aiming at changing the suggestions for the query “Romanians are”:
http://www.seomoz.org/blog/romanians-are-smart-or-how-to-change-the-google-autocomplete-suggestions
The other interesting issue is the unclear legal situation. There were similar cases before. Could be interesting to gather and compare them.
warum diese höfliche sprache? warum unter vorghaltener hand der “juristischen rahmenbedingungen” reden? bild-zeitung spielt unter der gürtellinie, die niedrigsten instiknte des menschen werden angesprochen und instrumentalisiert. kann es sein, dass google auch genau deshalb so gut massenkompatibel werdn konnte? weil das search-system auf den selben wellen reitet?
Was Bettina Wulff doch nur wollte, ist sich wieder ins Gespräch bringen, um ihr Buch zu promoten. nicht anders kann man erklären, dass man den Streisand-Effekt durch Klagen gegen Jauch und Google bewusst herbeiführt.
Leider beteiligen sich alle Medien an diesem auch hier genanntem Boulevard und auch Suchmaschinen spiegeln das nur wieder.
Wie Sascha Lobo auch in seiner letzten Kolumne geschrieben hat, ist Google eine Wunschmaschiene: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/google-suchvorschlaege-was-bettina-wulff-mit-mettigeln-verbindet-a-855097.html
Und alle stimmen ein.
Und eigentlich bleibt doch nur die Erinnerung: Programmierung war und ist nie neutral, insbesondere keine Suchalgorithmen.
danke für die vielen Links und auch den Hinweis (@andi) auf Sascha Lobos Text, hier ist eine gute Stelle:
“Googles Suchergebnisse sind eine profitmaximierte Melange aus Statistik, Küchenpsychologie und Populismus.”
apropos: “Google stellt Öffentlichkeit her und steht als Unternehmen in einer Traditionslinie mit Medienhäusern aus Print, Funk und Fernsehen.”
Das Fazit einer von Google in Auftrag gegeben Studie lautet:
“Google, Microsoft’s Bing, and Yahoo! Search exercise editorial judgment about what constitutes useful information and convey that information—which is to say, they speak—to their users. In this respect, they are analogous to newspapers and book publishers that convey a wide range of information from news stories and selected columns by outside contributors to stock listings, movie listings, bestseller lists, and restaurant guides. And all of these speakers are shielded by the First Amendment, which blocks the government from dictating what is presented by the speakers or the manner in which it is presented.”
http://www.volokh.com/wp-content/uploads/2012/05/SearchEngineFirstAmendment.pdf
Warum regen sich alle Journalissimisten über die verletzten Persönlichkeitsrechte der rechten Persönlichkeit B.Wulff auf -aber kaum jemand über die eines J.Assange? 3sat brachte eine miese Schmäh-Doku, die alle Rotlicht-Rumors weit in den Schatten stellt:
http://jasminrevolution.wordpress.com/2012/09/11/wikileaks-geheimnisse-und-lugen/
@Nerdonia: “rechte Persönlichkeit”? mein lieber Scholli, was für eine Phrasendrescherei ist das denn? Genauso schlimm wie jede Schmäh-Doku…
aporpos ” alle Journalissimisten”: mir ist nicht aufgefallen, dass sich in DIESEM Forum auch nur irgendein Journalist über die verletzten Persönlichkeitsrechte von Bettina Wullf aufregt. Ich habe hingegen schwer den Eindruck gewonnen, dass man sich HIER und nicht nur hier sondern auch andernorts über GOOGLE aufregt.
die Google-Tochter YouTube macht uns im Augenblick auch so ziemliche Sorgen. “Das Video ist in diesem Land nicht verfügbar”. Warum nicht? Wer entscheidet das? Manchmal gibt es einen Hinweis auf die GEMA, doch meistens gibt es keinen Hinweis. Das Mohammed-Schmäh-Video, das soviel Ärgernis hervorgerufen hat im Nahen Osten, ist ein Beispiel dafür. Warum darf man es in Ägypten jetzt nicht sehen? Pentagon hat Einfluss auf Google. Oder auch Selbst-Zensur. Man weiß es nicht.
Ich möchte noch ein Zitat hevorheben, von Alexandra Borchardt (CvD bei der SZ), sie fragt:
“Wird aus den Facebook-Revolutionen des arabischen Frühlings ein You-Tube Herbst?”
@#6: Jonathan_Zittrain (http://en.wikipedia.org/wiki/Jonathan_Zittrain) der als Harvard Professor u.a. mit Lawrence Lessig arbeitet und gelegentlich auch mal einen Vortrag BEI Google hält, meint wohl sowas ähnliches: die Internet-Konzerne seien Wächter über die Meinungsfreiheit.
Hier eine aktuelle Quelle zu dieser Position (Mohammed-Schmäh-Video):
“Harvard law professor Jonathan Zittrain said these “corporate gatekeepers” are essential to keeping free speech robust.”
http://seattletimes.com/text/2019168899.html
zu der Bild-Zeitungs-Analogie hat Marcel Weiß etwas gesagt, ich denke, eine weitere Differenzierung:
“Google ist wie der Kioskbesitzer, der (selbstverständlicherweise) nicht für falsche Behauptungen in der Bild-Zeitung verantwortlich gemacht wird, nur weil er sie in seinem Laden verkauft; und übrigens auch nicht, wenn er diese Bild-Zeitung für alle sichtbar in’s Schaufenster legt.
Der Kioskbesitzer ist auch nicht neutral: Er nimmt seinen Kiosk bevorzugt dort in Betrieb, wo viele Leute vorbeikommen. Er platziert die Bestseller für alle Kunden gut sichtbar. Und zwar auch dann, wenn die Bestseller nachweislich permanent falsche Informationen verbreiten.
Und doch: Er hat zu keinem Zeitpunkt einen direkten Einfluss auf die Inhalte in den Publikationen, die er verkauft.”
http://www.neunetz.com/2012/09/19/alles-abschalten/
Google ist ein Netz-Moloch und Google ist ein Privatkonzern. Das Beides ist nicht so unbedenklich, wie viele offenbar glauben… es ist die Privatisierung unserer öffentlichen Sphäre und unserer Privatheit, die da gleichzeitig drohen -und die Machteliten, die im Verborgenen bleiben wollen, machen uns zugleich durchsichtig (schlag nach unter PSR -Powerstructure Research)
http://jasminrevolution.wordpress.com/2008/06/30/powerstructure-research-und-die-pest-der-privatisierung/
@#4: was aber folgt aus der Forderung, die Suchalgorithmen transparent zu machen? Man spricht meistens darüber, was das für Google bedeuten würde. Dabei sollten wir fragen: was konkret würde es für die Öffentlichkeit bedeuten? Würde sich Öffentlichkeit daraufhin anders generieren? Und zu allerst: Wie ist ein Algorithmus, der offengelegt wird, der Öffentlichkeit zu vermitteln? Das ist eine Zahlenfolge auf dem Cover des SPIEGEL – und dann?
@#6+10: Google schützt die Meinungsfreiheit – nun, dieses Image wünscht sich der Konzern und bei Anti-SOPA- und Anti-PIPA-Protesten zeigte das Logo von Google entsprechend einen Zensurbalken. Kein Wunder, dass ein Forscher, der von Google bezahlt wird, dieses Image nicht zerstört. Aber ein Anlass bietet sich zu fragen: Worin unterscheiden sich Meinungsfreiheit und Meinungsmanipulation heute genau? Was hat sich in diesem Verhältnis grundlegende verändert?
Ein entscheidendes Kriterium dürfte sein: Die Auflösung und Neubestimmung nationaler Grenzen in einem globalen Informationsfluss – wie ihn Google/YouTube strukturieren. Meinungsfreiheit in den USA ist nicht identisch mit Meinungsfreiheit in Ägypten – auch und v.a. in Bezug auf bestimmte Inhalte. Und so verhält sich auch Meinungsmanipulation entsprechend “relativ” bzw. “implizit”.
Der oben zitierte Beitrag in der Seattle Times (http://seattletimes.com/text/2019168899.html) stellt das heraus, wenn er sagt:
“In temporarily blocking the video in some countries, legal experts say, Google implicitly invoked the concept of ‘clear and present danger.'”
@#11: Apropos: Der Kioskbesitzer “hat zu keinem Zeitpunkt einen direkten Einfluss auf die Inhalte in den Publikationen, die er verkauft.”
Das glaube ich eben nicht: Selbst in der alten Welt richten sich die Anbieter von Inhalten danach wie und wo ihre Kunden einkaufen. Das wie und wo des Konsums ist nicht willkürlich, sondern Teil einer Produktstrategie.
Heute entwickeln Medienhäuser speziell Angebote für Apple – ein anderer Kioskbesitzer. Und wir wissen alle, dass die global einflussreichen “Kioskbesitzer” von heute (Google, Apple, Facebook) direkte und indirekte Macht auf die Angebote haben, sie entscheiden direkt und indirekt mit, was sich verkauft und was nicht. In unserem Fall leitet der “Kioskbesitzer” seinen Anbietern in Echtzeit weiter, was sich verkauft und was nicht (u.a. Google Analytics) und die meisten spielen brav mit, wenn es darum geht, die Inhalte entsprechend zu optimieren.
@#13: apropos: “Privatisierung unserer öffentlichen Sphäre und unserer Privatheit” – Privatisierung unserer unserer Privatheit – das klingt natürlich auf den ersten Blick tautologisch, aber ich weiß glaube ich, was Du meinst, nämlich: die privatwirtschaftliche Vereinnahmung unserer Privatheit.
Ich glaube vor diesem Hintergrund können wir fragen: Wenn alles privatisiert wird, also privatwirtschaftlich vereinnahmt – heben sich die Dichotomien zwischen Öffentlichkeit und Privatheit vollends auf oder entstehen neue Dichotomien?
Auch deshalb, weil dieser Prozess nicht in den Sternen einer fernen Zukunft steht, sondern längst im Gange ist.
ich finde Facebook viel schlimmer als Google, das ist noch viel mehr Black Box finde ich. B. Wulff ist mir egal, die hatten ihre Chance, das alles zu dementieren, als es tatsächlich kolportiert wurde und das ist bekanntlich eine Weile her.
achso, ich sehe google da nicht in der verantwortung, was an autocomplete zu ändern – wichtig ist nur, dass sie konsequent sind und zb nicht aufeinmal bei Filmen etc. Autocomplete manipulieren (also da kommt dann wohl nicht gleich der vorgeschlagene begriff “download”)
Ich finde, während BILD menschliche Urinstinkte (mehr oder weniger) anspricht und mit niedrigem Niveau Leser anzieht, offenbart Google bzw. die Auto-Complete-Funktion doch vielmehr, dass die Menschen wirklich so sind – eben weil sie es nicht nur konsumieren, wenn es ihnen am Präsentierteller auf der Titelseite geboten wird, sondern sie suchen auch noch danach. Das finde ich persönlich viel trauriger, als die Tatsache, dass Google diese Funktion bietet.
Schön langsam bietet sich die Einführung einer eigenen Rubrik an zum Thema private Rechtsdurchsetzung via Google:
https://netzpolitik.org/2012/private-rechtsdurchsetzung-via-google-noch-mehr-loschungen-sperrung-von-adsense/