Wer nach Namibia kommt, ist zuallererst erstaunt ueber die offensichtliche Praesenz der deutschen Sprache und damit der Deutschen beziehungsweise Deutsch-Namibier, die hier leben. Sie sind es, die in der Hauptstadt Windhoek in der >Blumenecke< Schnittblumen anbieten oder ueber das Edelkaufhaus >Wecke und Voigts< europaeisch gepraegte Waren aller Art - von der Kleidung bis zur Kaffeemaschine. Sie laden im traditionellen Cafe Schneider zum feinen deutschen Konditorkuchen ein und setzen im >Thueringer Hof< sowie vielen anderen Lokalitaeten sonderbar anmutende kulinarische Kontraste zu dem, was ein Reisender in Afrika eigentlich erwarten wuerde.
Braten mit Knoedel sind jedenfalls leichter auf einer Speisekarte zu finden als >gegrillte Mopanewuermer<, wenn ich auf der Skala afrikanischer Leckerbissen ein extremes Gegenstueck erwaehnen darf. Und stellt der Neuankoemmling den Radiosender auf ungefaehr 98... bekommt er von Wolfgang Petri bis Heino die gesamte Hitparade zu hoeren, der er wahrscheinlich schon vor 30 Jahren am liebsten ausgewichen waere. Von sechs Uhr morgens an hat er drei Stunden lang gute Chancen, ueber das >Melitta Morgenmagazin< des deutschen Hoerfunkprogramms alles Mitteilungswuerdige zu erfahren - zehn der gesprochenen Sprachen in Namibia haben einen eigenen Sender innerhalb der nationalen Hoerfunkanstalt. Ich gebe unumwunden zu, dass die Programme des von mir geleiteten Goethe-Zentrums im deutschen Sender neben Verabredungen, Deutsche Welle-Nachrichten, Hoererquiz, Literaturlesungen und vielem mehr, um Aufmerksamkeit kaempfen muessen. Der Beginn der hiesigen Regenzeit wird nach wie vor bei vielen auf >Kaisers Geburtstag< datiert. Dies hat zumeist weniger mit einer ideellen Anknuepfung an den letzten deutschen Kaiser zu tun, als mit einer Gewohnheit, die sich im Sprachschatz gehalten hat. 9000 Kilometer Entfernung vom Herkunftsland lassen manchen Namen gleichsam verblassen. Auch ein Tabuname wie Hitler kann dazugehoeren. >Andalusia< hingegen wiegt schwerer, denn so hiess eines der groessten der Internierungslager, in denen deutsche Maenner zwischen 1939 und 1946 isoliert wurden. Es hat allerdings eine Weile gedauert, bis ich verstand, was sich dahinter verbarg und nicht mehr automatisch an Suedspanien denken musste. Ebenso hatte fuer mich die Abkuerzung AZ fuer die groesste deutschsprachige >Allgemeine Zeitung< im Ausland eine deutlich andere Konnotation als fuer Namibier. Und noch einige Monate nach meiner Ankunft im Jahr 2004, konnte mir der Faux Pas passieren, die AZ als die mir sehr viel gelaeufigere >Abendzeitung< zu bezeichnen. Geht man vom sehr zentral gelegenen Goethe-Zentrum zur Hauptstrasse hinunter an der Blumenecke vorbei, so gelangt man bereits nach 50 Metern zum >Neuen Buecherkeller<, einer der drei grossen deutschen Buchhandlungen Namibias. Wer jedoch neben deutschen Neuerscheinungen speziell deutsche Schreibwaren benoetigt, zum Beispiel Pelikanpatronen und Tintenkiller, visiert die >Deutsche Buchhandlung< an. Sie liegt in Reichweite der DHPS, einer der teuersten deutschen hoeheren Privatschulen, die sich Deutschland bisher - seit 1906 - leistet, mit ungefaehr 1000 Schuelern, einigen einheimischen und vielen aus Deutschland entsandten Lehrern. Neben der nunmehr seit circa 100 Jahren existierenden deutschen Schule gibt es ueber das ganze Land verteilt deutsche staatliche und private Schulen, darunter auch die Windhoeker Waldorfschule. Sie wurde vor sechs Jahren auf eine Elterninitiative hin gegruendet und stellt das meines Erachtens ueberzeugendste Modell einer deutschen Integrationsschule dar, mit mehr als 30 Prozent Kindern, die sich weder ueber ihre Hautfarbe noch ueber ihre Muttersprache als Deutsche definieren, jedoch von der ersten bis sechsten Klasse in deutscher Unterrichtssprache unterrichtet werden. Umgekehrt lernen deutschsprachige Kinder dort Afrikaans, Nama und Ojivambo, vor allem aber Englisch. Ab der siebten Klasse wechselt die Unterrichtssprache ins Englische. Englisch war auch die Amtssprache in Indien, wo ich von 1996 bis 2001 das Goethe-Institut Pune leitete. Deutsch wurde dort ausschliesslich als Fremdsprache unterrichtet, ein Tueroeffner fuer bessere Berufsmoeglichkeiten, Auslandsstipendium oder Europaaufenthalte. Aehnliches gilt fuer die zehn Bevoelkerungsgruppen Namibias, fuer die Deutsch keine Muttersprache ist. Sie lernen Deutsch in einer begrenzten Stundenzahl, zumeist nach eigener Wahl, bis hoechstens zur 12. Klasse an einer der bereits erwaehnten 33 privaten oder staatlichen Schulen. Erwachsene belegen Deutschkurse an der Universitaet, an der Polytechnischen Hochschule oder am Goethe-Zentrum. Auf Grund wachsender Nachfrage hat das Goethe-Zentrum inzwischen mehrere Kurse auch fuer Kinder eingerichtet. Sie beduerfen einer Auffrischung, Unterstuetzung oder Erweiterung ihres, in der eigenen Familie nur noch zum Teil oder in der Schule nur begrenzt gesprochenen Deutschen. Damit moechte ich andeuten, dass Deutsch als Muttersprache allmaehlich an Bedeutung verliert. Momentan scheint auch der Stellenwert des Deutschen als Fremdsprache zu stagnieren. Jedoch koennten sich bei weiterer Ausbildung einer namibischen Zivilgesellschaft neue Perspektiven in der Zukunft entwickeln. Und diese Entwicklung, im Rahmen des erst vor 16 Jahren begonnen Weges in die Unabhaengigkeit, waere dann unter Umstaenden eine aehnliche wie in Indien, wo die Fremdsprache Deutsch neue Wege oeffnet. Das gilt natuerlich im Falle Namibias umso mehr, als es einstmals eine deutsche Kolonie war. Nachvollziehbar ist dennoch die Sorge der Namibiadeutschen oder Deutsch-Namibier um ihre kulturelle Identitaet und um ihre frueher dominierendere Rolle in der Gesellschaft. Die kulturelle Identitaetskrise geht einher mit der schwindenden Verbreitung und Praesenz des Deutschen. Gleichzeitig vermag das alte >Suedwesterdeutsch< keinen richtigen Halt mehr zu finden. Im modernen Namibia ist Englisch zur Hochsprache geworden. Daneben werden jedoch alle Sprachen der 11 in Namibia lebenden Ethnien in der Schule unterrichtet und im Alltag gesprochen. Auch im Hoerfunkprogramm sind alle Sprachen vertreten. Das Goethe Institut - in Namibia praesent als Goethe-Zentrum in Kooperation mit der Namibisch Deutschen Stiftung [GZ/NaDS] - kann hier nur bedingt eingreifen. Im Rahmen der Spracharbeit ist es in erster Linie zustaendig fuer die Foerderung des Deutschen als Fremdsprache. Die Arbeitsgemeinschaft deutscher Schulen, angegliedert an den konservativen Deutschen Kulturrat, foerdert Deutsch als Muttersprache. Waehrend meiner Leitungstaetigkeit in Windhoek gab es immer wieder Klaerungsbedarf bezueglich der Zustaendigkeiten und Moeglichkeiten. Mit den Jahren meines bislang zweijaehrigen >Wirkens< ist die gegenseitige Akzeptanz allerdings stetig gewachsen.
Ein Kommentar zu “Goethe in Afrika”