In Barcelona gibt es eine Strasse namens Calle Ferran. Sie ist nichts Besonderes, sie liegt einfach nur sehr guenstig. Sie verbindet die beruehmte Ramblas mit dem Rathaus, deshalb wird sie von transnationalen Konzernen wie Starbucks, Adidas oder McDonald’s gesaeumt. Ganz zu schweigen von den Irish Pubs, Hostels, chinesischen Restaurants und Souvenirgeschaeften. Trotz dieser politischen, geografischen und historischen Bedeutung findet man hier kaum >Natives<. Diese Rollen uebernehmen immer mehr die afrikanischen Sex-Arbeiterinnen, die Flyer-verteilenden Kids und Ein-Euro-Bierverkaeufer aus Pakistan. Tourismus als Morphologie, als Konstante.
In letzter Zeit rekrutiert sich ein Grossteil dieser Touristenguppen aus den Teilnehmern von Junggesellenabschieden. Normalerweise sind sie sturzbetrunken, tragen bunte Plastikperuecken, clowneskes Make-up und verrueckte Kostueme. Ausserdem ist die Strasse Rueckzugsort und Umkleidekabine fuer die ganzen >lebenden Statuen<, die auf der Ramblas performen. Durch die Calle Ferran zu spazieren, ist ein wenig wie traumwandeln. An diesem Ort verschmelzen babylonische Goetter, Latex-Cowboys, Monster, Clowns und Backpacker zu einem spontanen Karneval. Vor einem Jahr ging ich eben jene Strasse entlang, als ich ploetzlich auf eine radikal-katalonische Gruppe stiess. Sie gedachten eines angeblichen Anschlages auf einen Separatistenfuehrer durch die spanischen Behoerden in den 1970er Jahren. Diese 60 Menschen sangen und schrieen vor einem chicen Fashion Store, der sich jetzt an jener Stelle befindet, an der damals der Mordanschlag stattgefunden haben soll. Na ja, was solls. Ich bin der Meinung, dass diese Dissoziation von Personen, Orten, Geografien, Stories, Diskursen, Gemeinschaften und Geschichte eine ziemlich gute Metapher fuer die Globalisierung ist. Dann bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass das einzige, was nicht ins Bild passte, ich selbst war. Es hoert sich vielleicht seltsam an, aber ich bin ein klarer Befuerworter der Globalisierung - unter bestimmten Gesichtspunkten. Zumindest bin ich ein Anhaenger des Gedankens, dass wir durch die Globalisierung die Idee der Nationalstaaten und die die gegenwaertige geopolitische Ordnung endlich ueberwinden koennen. Ich glaube daran, dass neue soziale Strukturen und neue politische Institutionen geschaffen werden koennen und diese als wirklich globales System gedacht werden koennen, in das sich jeder jederzeit einschalten kann. Wenn man darueber nachdenkt, dann ist nur bei einer Sparte des politischen Denkens die Abschaffung von Territorien und Grenzen Teil des Ethos: Anarchie. Daher bleibt Anarchie die ultimative Utopie - und vielleicht die letzte. Heute haben wir also Staaten aus dem 19. Jahrhundert, diese nationalen, territorialen, sprachlichen, kulturellen, ethnischen, und historischen Einschraenkungen, die der Gesellschaft auferlegt sind, Institutionen und Gesetze als die Hauptquelle von Macht und ein super-supranationales Netz aus Finanz-, Technologie- und Informationssystemen. Diese Faktoren verschmelzen alle menschlichen Lebensformen und Landschaften in einen einzigen Kontext. Ich wuerde sagen, dass Globalisierung eine expansive Welle der Widersprueche und Stoerungen ist, die ein vollkommen neues Feld kreiert. Oder vielleicht eine dritte Ebene, die weder national noch international zu verorten ist, sondern nirgends. Diese >nirgends< entstehen aus nicht-physischen Territorien und Geografien, es sind soziale Kontingenzen wie Maerkte, illegale Immigration, Tourismus, Terrorismus und die virtuellen Gemeinschaften des Internets und viele andere Morphologien, die in den oeffentlichen und privaten Orten unserer Staedte, Schlafzimmer und unserer Vorstellungskraft stattfinden. Deshalb ist Globalisierung weder eine Ideologie noch ein Projekt. Es ist auch schwer vorstellbar, dass sie ueberhaupt einen Diskurs darstellt - ob nun oekonomisch oder kulturell. Und wie ich bereits vorher erwaehnt habe, gibt es noch eine dritte Ebene, eine vollkommen neue Zone, die staendig objektiviert oder naturalisiert wird als ein Produkt von etwas ganz anderem oder als Konsequenz aus anderen Praktiken. Im besten Falle wird diese Zone auf ganz natuerliche Weise mit Sinn erfuellt: Sprachlos, unpolitisch, unrepraesentierbar wie Tourismus oder Maerkte. Manchmal wird diese Zone auch negativ bespielt: Zum Beispiel durch die >Plage der legalen und illegalen Immigration< - wie sie von der europaeischen Presse bezeichnet wird. Anstatt sie zu definieren muss Globalisierung gedacht werden, sie muss gebaut werden und wir muessen sie uns aneignen als eine sehr seltene Gelegenheit. Zum ersten Mal haben wir nicht-territoriale und nicht-historische soziale Orte, wie es das Internet manchmal ist. Ich denke, wir sollten versuchen, diesen evidenten und massiven Kraeften wie Migration oder Maerkten eine repraesentative und politische Stimme zu geben. Es geht mir nicht nur um Anarchismus. Ich kann einfach kein Bewohner dieses >nirgends< mehr sein, so wie damals in der Calle Ferran oder wie ich es jetzt noch immer bin, hier in diesem Nord-Korea der Existenz, ohne Stimme zwischen den Starbucks und YouTubes. [Anm. d. Red. Der Verfasser des Textes ist Autor des Romans Pin Pan Pun, einem Bestseller in Venezuela, er ist ausserdem DJ und promoviert gerade in Barcelona zu globalisierungstheoretischen Fragen.]