Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #63

Die Auswirkungen der neuen neoliberalen Weltwirtschaftsordnung auf die Selbstdarstellung von deren ersten Handelnden, den monopolkapitalistischen Grosskonzernen, hat Oliver Ressler in >The global 500< kritisch untersucht.

Das Projekt, in das diese Untersuchung geframed war, ist in diesem Buch dargestellt: diese Handelnden beim Wort und beim Bild zu nehmen und ihnen das kritische Wissen um die kulturell sowie insbesondere sozial teils desastroesen Folgen fuer von ihnen abhaengige Wirtschaften und Gesellschaften, insbesondere aber fuer die Subjekte, mit deren Arbeitskraft sie ihre Finanzimperien begruenden koennen, in Form von Interviews entgegenzustellen.

Resslers Arbeit braucht meines Erachtens keine kulturtheoretische Einordnung – ihre Didaktik und ihre Mittel sind selbsterklaerend. Anstelle einer affirmativen Lektuere und der mimetischen oder ergaenzenden Nacherzaehlung dieser kuenstlerischen Arbeit, erscheint es mir sinnvoller, naeher auf einige Transmissionsschwierigkeiten einzugehen, die im Zug der Globalisierungsprozesse und der damit einher gehenden Rede von immer globaler [und nivellierter] werdenden Kulturraeumen in Bezug auf die kuenstlerische Praxis und den Kulturbetrieb auftreten. Parallelen zwischen dem von Oliver Ressler analysierten Feld und dem, dem ich mich widmen will, lassen sich jederzeit lesen, ohne dass darauf gesondert hinzuweisen ist. Sie sind evident.

Eine Ergaenzung aus meiner Position als Kunstkritiker aber ist vielleicht doch noch wichtig: Im Gegensatz zu frueheren Projekten hat Oliver Ressler diesmal vermehrt auch auf die Bearbeitung visueller Texte aus den Machtbetrieben gesetzt und ist damit einen Schritt weiter in der Dechiffrierung von Symbolkontexten gegangen. Es ist mittlerweile zum Gemeinplatz geworden, die oekonomische Globalisierung als homogenisierendes, universalisierendes Modell zu sehen, das auch kulturelle Differenzen absorbiert und damit letztlich ablehnt. Dennoch basiert vieles von dem, was zum Beispiel lokal gegen diese Tendenz als bewahrungswuerdig ins Treffen gefuehrt wird, auf ebensolchen Fundamenten.

Zum Beispiel auf den Mythen von unmedialisierten sozialen Beziehungen und kultureller Eigentlichkeit. Der Begriff von kultureller Differenz, der etwa in den Kulturparagraphen der Europaeischen Union konstituiv ist, geht irgendwie davon aus, dass regionale Kulturen in sich fuer jeden, der an ihnen Teil hat, transparent sind. Aber auch der Begriff der Community, der in den Kunstdiskussionen der letzten Jahre so viel Bedeutung erlangt hat, beruht auf einem aehnlichen Konzept sozialer und kultureller Transparenz. Eine Community ist ihm nach ein sozial und kulturell homogener Raum, in dem jeder gaenzlich ueber die Intentionen und die >Kultur< des oder der Anderen Bescheid weiss. Wenngleich in einer raeumlich oder sozial anderen Dimension kollabiert auch hier der Begriff von Differenz in einer totalisierenden Sichtweise, die in sich die Gefahr birgt, all das unbesehen auszuschliessen, was nicht dieser Sichtweise konform ist. Die Normalisierung der europaeischen Staedte, um nur ein Beispiel der kulturraeumlichen Konsequenzen neoliberaler Politiken und Oekonomien zu nennen, das in den Kunstfeldern in den letzten Jahren sehr stark thematisiert wurde, ist also keineswegs nur ein oekonomisch aufoktroyiertes Phaenomen, sondern haengt eng mit diesen Transparenzgedanken, der im Communitygedanken ebenfalls mit begruendet wird, zusammen. Das Prinzip der heterogenen kosmopolitischen Stadt wird durch das des Dorfes und seiner Ueberwachungsschemata ersetzt. In einem Raum, in dem sich unterschiedliche und ungleiche Machtbeziehungen entfalten, wie dem kulturellen und oekonomischen der Gegenwart, existiert ein klar definierter Ort und eine Community in ihm ebenso wie eine lokale kulturelle Tradition natuerlich nicht mehr in sich und aus sich selbst heraus als festes Bezugsfeld. Orte sind das Ergebnis kultureller, oekonomischer, ethnischer, technologischer und medialer Konstruktionen. Oliver Resslers Verdienst ist es, in seiner Arbeit die Symbolpolitiken hinter den Selbstrepraesentationen der Global Players im Wirtschaftsleben analysiert zu haben. Aus seiner Lektuere lassen sich eine Reihe von Parallelargumenten zu dem Feld gewinnen, dem sich diese Betrachtung widmet. Man braucht hier nur das offensichtlichste Motiv der Firma als Community zu nennen. Gemeinschaften konstituieren sich innerhalb hierarchisch organisierter Raeume, innerhalb ungleicher Machtfelder. Kulturelle Konstruktionsprozesse und die dabei entstehenden Beziehungsfelder und zugrundeliegende Machtverhaeltnisse, die bei diesen Transporten weitgehend unberuecksichtigt bleiben, waeren daher genau das zentrale Thema, dem sich postkoloniale aesthetische Repraesentationspraxen zu widmen haetten. [Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Chefredakteur der Zeitschrift springerin.]

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.