Globalisierung. Ein Schlagwort, vielschichtig und zugleich nichtssagend, solange es nicht in einen Kontext eingebettet wird, durch Sprachspiele und Sprechakte mit Bedeutung beladen wird. Doch Bedeutungen sind variabel, fliessen so schnell, wie der Fluss des Lebens, der sie speist. Veraenderung, andauernder Wandel, das noch im Werden Befindliche, das Ungeborene. Und doch zugleich Statik, sprachlich erzeugte Dauerhaftigkeit, das bereits Seiende, Geborene – zwei Wahrheiten, die gleichzeitig existieren. Das menschliche Gehirn wird haeufig als >Ort des Denkens< beschrieben, jene Struktur, die es dem Subjekt ermoeglicht, seinen Koerper durch die Welt zu navigieren, Welt zu konstruieren.
Das Gehirn scheint immer schon vorhanden zu sein, muss nicht erst Kraft unserer Unterscheidungsfaehigkeit als jene >zentrale Schaltstelle< beschrieben und damit zugleich geformt werden. Es ist Ausgangs- und Endpunkt unzaehliger Erklaerungssysteme. Und doch ist es unserer menschlichen Unterscheidungsfaehigkeit zu verdanken, dass es ein Gehirn gibt, scheinbar getrennt von seinem Koerper und der uebrigen Welt. Was sich uns als wohlgeformt zeigt, ist bereits sinnvoll geformte Welt, etwas also, das Kraft unserer Sinne mit Bedeutung beladen wurde. Und so wird auch das Gehirn erst im Zuge unserer menschlichen Besprechung/Beschreibung zu jenem >zentralen Organ<. Es ist doch immer noch eingebettet in eine Gesamtstruktur, in einen pulsierenden Koerper, der sich wiederum durch eine sich permanent wandelnde Welt bewegt, auf pulsierende, tanzende Koerper trifft. Und ebenso wenig wie das menschliche Gehirn als zentrale Schaltstelle alle Informationen speichert, gibt es in der >virtuellen Welt< ein zentrales Gehirn, in dem alle Informationen gespeichert sind. Vielmehr wird das, was wir Information nennen, permanent erzeugt und durch das fortwaehrende, globale Spiel am Leben erhalten. Bevor wir in die Welt der Schriftlichkeit eintauchen, sind wir orale Geschoepfe. Wir sind Wesen, die sich zunaechst schwimmend, spaeter krabbelnd und schliesslich gehend durch die Welt manoevrieren. Wir begreifen mit all unseren Sinnen, nehmen die Welt oral in uns auf, befuehlen sie. Wir lernen nicht >Objekte zu bezeichnen<, indem wir eine Sprache erlernen; wir lernen vielmehr sie bedeutungsvoll zu formen, lernen den Sound mit der materiellen Anhaeufung zu verschmelzen bis uns >die Welt< bedeutungsvoll geformt erscheint. Gesprochene, verkoerperte Sprache ist Sprache jenseits von Zeichen und gezogenen Linien, Sprache, die auch nicht dazu dienen kann, Objekte zu be-zeichnen. Gesprochene Sprache laesst sich nicht als >Namenstaefelchen< verwenden, ist sich stetig wandelnder, verkoerperter Sound.
Wir gehen aus Koerpern hervor, schluepfen aus bereits Welt gestaltenden Subjekten und werden zu Welt gestaltenden Subjekten, wir drehen uns im Kreis bis uns schwindelig wird und kein Anfangs- und Endpunkt mehr erkennbar ist. Und doch neigen wir dazu, uns als Subjekte anzusehen, die getrennt von anderen Subjekten leben, als Individuen existieren. Wir neigen dazu, die Spiele zu vergessen, die wir erst zu spielen lernten, kaum haben wir die Regeln begriffen. Waren und sind wir nicht immer schon miteinander verwoben, lange bevor es dafuer ein Schlagwort gegeben hat, lange bevor das Inter-net erfunden wurde?
[Anm.d.Red.: Die Verfasserin dieses Beitrags ist Psychologin und hat im Passagen Verlag soeben das Buch >Philosophie eines Ungeborenen< veroeffentlicht.]