Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #54

Um mein Interesse an der Globalisierung in einigen wenigen Saetzen zusammenzufassen, wuerde ich gerne ein Phaenomen zur Beschreibung anfuehren, das vorzufuehren vermag, wie unterschiedlich die Globalisierung gefasst werden kann. Ein solches Phaenomen waere das >Swarming<, ein Modell, das inzwischen von Militaers und Oekonomen, Philosophen und Kybernetikern verwendet wird. Ein globaler Schwarm besteht aus einer Menge von Knoten und Verbindungsmoeglichkeiten, die weltweit verteilt sind und sich ad hoc zu bestimmten Anlaessen verknuepfen - etwa zu einem Terrorangriff, wenn man Al Qaeda als Schwarm ansieht, oder zu einem transnationalen Netzwerk von oekonomischen Akteuren.

Ein distribuierter, lateraler, globaler, transnationaler Schwarm ist fuer Autoren wie Hardt und Negri ein Vorbild fuer die Multitude und fuer Militaerberater der Feind der Zukunft. Die Netzwerkgesellschaft ist eine Herausforderung der systemsoziologischen Ueberzeugung, dass unsere Moderne aus funktionsdifferenzierten Sozialsystemen besteht und die Kommunikation vor allem an entsprechenden Funktionscodes ausgerichtet ist: Man denke an Geld und die Codierung Haben / Nicht-Haben, an die Wissenschaft und den Code wahr/falsch oder an Kunst und den Code interessant/langweilig. Die Netzwerkgesellschaft waere eine Selbstbeschreibungsformel, die impliziert, dass funktionale Ausdifferenzierung vor dem Ende steht.

Der Modus der Netzwerke waere die Verknuepfung und es ginge um Moeglichkeiten der Verbindung von Knoten, die Bruno Latour als Versammlung des Sozialen in einem Aktor-Netzwerk beschrieben hat. Die grosse Frage, die ueber die Anschlussfaehigkeit von Beitraegen entschiede, waere also nicht, wie codiere ich richtig, sondern: wie verknuepfe ich mich. Die klassische Weltkarte des 19. und 20. Jahrhunderts ist eine geopolitische Karte, eine Karte voller Nationalstaaten mit Territorien und Grenzen. In diesen Raeumen werden dann Bodenschaetze und Bevoelkerungen, Industrien und Sehenswuerdigkeiten eingezeichnet, die in der Summe dann fuer den Staat X stehen.

Sowohl die Theorien der Weltgesellschaft als auch die Theorien der Netzwerkgesellschaft sind sich einig darueber, dass diese Art von Flaechenraum der Vergangenheit angehoert, weil Kommunikationen alle raeumlichen Grenzen ueberschreiten und sich von geopolitischen Grenzen und Gegebenheiten nicht aufhalten lassen. Karten, die dem gerecht werden, zeigen Knoten und Verknuepfungen, um Verknuepfungsdichten und Maschen im Netz deutlich zu machen. Das >mappa.mundi<-Projekt im Internet hat diese kartographische Veraenderung sehr gut dokumentiert. Es gibt keine >globale Perspektive<, die nicht auf der Hochrechnung lokaler Beobachtungen bestehen wuerde. Wenn ich hier in Innsbruck gerade die Vorbereitung auf die EM verfolge und beobachten kann, wie man Sand zu Beach-Cafes aufschuettet und Public-Viewing-Areale einrichtet, dann weiss ich deshalb, dass es ein >globaler< Trend zu sein scheint, weil ich dasselbe schon in Berlin 2006 erfahren habe. Das Globale waere also vor allem ein Medium des Vergleichs: Die Moeglichkeit, mehrere regionale Auspraegungen von Kultur in einen Zusammenhang zu stellen, der dann beispielsweise die Frage ermoeglicht, was ist an diesen Events post-regional oder global und waere kontextunabhaengig ueberall zu finden und was ist an ihnen noch typisch tirolerisch. Man koennte also auch so formulieren: das Globale manifestiert sich ueberall in einer regionalkulturellen Ausformung. Die >Le Monde< gibt seit Jahren mit der >taz< einen Atlas der Globalisierung heraus. Dies ist ein sehr verdienstvolles und kritisches Projekt. Doch sieht man an diesem Atlas auch, wie Karten >Evidenzen< erzeugen und zugleich andere Sichtweisen ausblenden. Eine Karte beispielsweise, in die Wasserquellen eingezeichnet sind und diese alle einem bestimmten Nationalstaat zuschlaegt, waehrend seine Nachbarn kein Wasser haben, suggeriert natuerlich, dass alle Konflikte >faktisch< auf dem Verteilungskonflikt um Wasser basieren und laesst andere Ursachenkomplexe ausser Acht, die sich nicht so leicht auf einer Karte eintragen lassen, etwa solche historischer und kultureller Art. Statt Wasser koennte man natuerlich auch Oel nehmen, Uranerz oder Zugang zum Meer... [Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Autor zahlreicher Buecher und vertritt derzeit die Professur fuer >Intermedialitaet und Medienkomparatistik< an der Universitaet Innsbruck.]

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