Globalisierung erzeugt und verwischt Spuren; Spuren, die in letzter Konsequenz aus der Verknuepfung und Verknotung menschlicher Schicksale an unterschiedlichsten geographischen Orten bestehen. Globalisierung aendert die Form der Abhaengigkeit der Menschen untereinander, indem sie eine Vielzahl an kleinsten und fragilen Abhaengigkeiten erzeugt und sie wieder zusammen brechen laesst.
All dies findet in einer raeumlich ungleichen und unvorhersehbaren Weise statt, die die altgeographische Logik der Distanz eindrucksvoll disqualifiziert. Der Geograph Waldo Tobler goss vor 40 Jahren diese Logik in eine Art Grundgesetz der Geographie: everything is related to everything else but near things are more related than distant things.
Wie plausibel ist so etwas heute noch? Nehmen unsere sozialen Kontakte wirklich graduell mit zunehmender Distanz ab? Hat man gesetzmaessig [!] engere soziale Beziehungen mit seinen Mitbewohnern im Mietshaus als mit der guten alten Freundin, die jetzt Oliven in der Toskana kultiviert? Nur weil die Nachbarn einem raeumlich naeher sind? Die Kommunikationsraeume, die wir tagtaeglich ueber die neuen Medien aufbauen und nutzen, >durchschiessen< diese Form geographischer Logik. Gleiches gilt fuer die raeumliche Dimension der Produktketten, die auf unseren Esstischen enden: kolumbianischer Kaffee, indonesischer Pfeffer, franzoesisches Mineralwasser Soziale Naehe laesst sich nicht angemessen durch Verweis auf geringe Raumdistanz und somit raeumlicher Naehe erklaeren, auch wenn dies ein wiederholter und verlockender Topos im nationalistischen und regionalistischen Wehklagen ist. Das Resultat der zahlreichen Verknuepfungen, die wir erzeugen, wenn wir Menschen an unterschiedlichsten Lokalitaeten auf der Erde durch unsere Handlungen zusammenbinden, kann man mit dem Adjektiv >global< bezeichnen. Jedes technische System, dessen glatte, aufpolierte und stoerungsfreie Oberflaechen wir bedenkenlos nutzen vereint in sich als Produkt zahlreiche Orte und Menschen. Anders gesagt: Ob Handy, Computer, mp3-Player, Auto oder Fahrrad - vereint werden darin Orte und Menschen, die verstreut ueber den Globus im Produktionsprozess zusammengebunden sind. Von ihnen spricht kaum jemand, sie sind im Produkt verborgen. Die heutige geographische Logik stellt diese Prozesse der Verknuepfung und die daraus entstehenden komplexen Geographien des Zusammenbindens in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Sie schaut unter die glatten und bruchfreien Oberflaechen der Produkte, die aus der ominoesen Spurenlegemaschine namens Globalisierung kommen. Die Geographie des Zusammenbindens von Orten und Menschen arbeitet aehnliche soziale Schicksale und Problemlagen heraus und schaut, wo diese auf der Erde lokalisierbar sind. Ein solches Vorgehen liegt quer zur altgeographischen Logik, wie sie exemplarisch im Nationalstaat verwirklicht ist oder in der Unterscheidung Nord/Sued fortbesteht. Denn diese Logiken beruhen weitgehend auf der Annahme homogener Interessenslagen innerhalb eines raeumlich definierten und klar abgrenzbaren Gebildes. Stattdessen geht es um ein Herausstellen der >sozialen Naehe trotz raeumlicher Ferne<, eben weil Menschen weltweit in sehr aehnlichen Kontexten unter den Bedingungen eines globalen Kapitalismus handeln [muessen] und ueber die jeweiligen Kontexte raeumlich zusammengebunden sind. Die Problemlagen und Abhaengigkeiten amerikanischer, indischer oder mexikanischer Bauern beispielsweise aehneln sich in vielen Teilen, wenn sie Abnehmer agroindustrieller Produkte und genmanipulierter Pflanzen aus Hand eines Konzerns sind. Globalisierungskritische Bewegungen, so scheint es mir, haben diese neue geographische Logik laengst verstanden und umgesetzt. Aber die Argumente haben es auf politischer Ebene nicht zuletzt deshalb schwer, weil die altgeographische Logik immer noch zu heftig in unseren Koepfen herumschwirrt! [Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags lehrt am Institut fuer Geographie der Friedrich-Schiller-Universitaet Jena.]