Globalisierung benoetigt Artefakte wie Weltkugeln, Karten und Atlanten. Ohne sie ist das Phantasma von Welt als Ganzes nicht imaginier-, nicht denkbar. Globalisierung ist also immer auch Visualisierung, die Zeichnung folglich epistemologische Voraussetzung. Eine Karte zeigt eine aufgerollte Kugel, vermeintlich entzerrt, vermeintlich objektiv. So sieht sie aus, die Erde. In ihrem Zentrum? Europa. Tatsaechlich. Denn Norden ist oben und Westen ist Mitte. Dabei sind Weltkarten eine Vermessenheit. Kartographie ist immer Interpretation gewesen. Massstab, Details, Zentrum – Festlegungen. Die Vermessung der Welt, ein Bestseller. Ausgangspunkt der festlegenden Zeichenstifts: Das westliche Europa.
Globalisierung in der Medienkulturwissenschaft, gibt es das? Jungen Themen begegnet man in philologisch-philosophischen Geisteswissenschaften gern mit dem retrospektiven Zeige- finger. Ach, das gab es doch schon mal. Welt-Projekte? Auch. Natuerlich. Weltwaehrungsversuche, das britische All-Red-Tele- graphie-Cable, Postphantasmen. Medientechniken also. Globa- lisierung kann medienkulturell als der Prozess des gleichzeiti- gen Begreifens und Behauptens von Welt verstanden werden. Medienkulturwissenschaft kann dieses Nachfuehlen selbstge- waehlter Wege, das Nachgehen selbstgebauter Wege, das Subjektive des vermeintlich Objektiven, die Interpretation in der behaupteten naturalistischen Darstellung reflektieren.
Das Individuum wird spaetestens von Foucault als Erfindung und Wirkung des Buchdrucks entlarvt. Wem schreiben wir dann die Erfindung von Welt zu? Objektive Tatsache ist sie ebensowenig, wie Gesellschaft und Mensch es sind. Sie ist Zuschreibung, Behauptung, Effekt des Zusammenspiels technischer Medien. Globalisierungskritik wird damit zu einer Freilegung der Macht-Strukturen von Medien. Nein, kein Berlusconi, kein Kirch es geht um strukturelle Fragen. Wenn Telefon- und Datenkabel das Ader-System von Welt sind, wenn Karten sie visuell behaupten, was bedeutet das heute? Als Schiffe die Blutkoerperchen des Welt-Organismus waren, war Welt noch Handel.
Und nun? Fluechtige Elektronen. Schnell, aber vergaenglich. Ist das Globalisierung? Wenn das Elektron technisches Dispositiv von Globalisierung ist, mag eine Diskussion ueber fehlende Nachhaltigkeit kaum wundern, wenn sie auch aussichtslos zu sein scheint. Das Elektron ist nie nachhaltig gewesen, es kann es nicht sein. Es entzieht sich der Beobachtung. Nachhaltige Globalisierung wird damit zum Projekt, zum aussichtlosen Unterfangen. Oder verspricht das beweglich Elektron, das kaum kontrollierbar sich bewegt, eine Chance? Entzieht es sich per se der gesteuerten Verteilung, der Macht-staerkenden Filterung? Man wird weiterhin darueber nachdenken muessen. Eine kritische Thematisierung von Kommunikation ist ein erster Schritt.
[Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Medienkulturwissenschaftler und freier Journalist fuer Print- und Online-Medien.]