Mit Globalisierungskritik habe ich so meine Schwierigkeiten. Da sind mir zu viele Wunschfantasien im Spiel, von denen ungeklaert bleibt, ob wir sie uns ueberhaupt wuenschen sollen. Hinzu kommt, dass die Kritik von einem kruden Schwarz-Weiss-Denken lebt und mitunter von ideologischer Verbohrtheit untermalt wird. Nun verhalten sich die Dinge aber weit komplizierter und komplexer, als es diese Leute darstellen oder wie es sich die Negativrhetorik des >Neoliberalismus<, des >Cyber-Kapitalismus< oder >der militaerisch-industrielle Komplex< vorstellt, die Sachverhalte arg versimplifiziert.
Andererseits gereicht die Globalisierung nicht allen Akteuren gleichermassen zum Nachteil. Damit meine ich nicht all die Finanzakrobaten und Private Equity Fundraiser, die ueber Nacht steinreich, aber genauso schnell, wie die Immobilienkrise in Amerika zeigt, ihr investiertes Kapital wieder los werden koennen. Sondern vor allem die Bevoelkerungen von Laendern wie Indien, China und anderer Schwellenlaender, die von der >flachen Welt< und dem globalen Handel enorm profitieren und die alte und neue Welt herausfordern. Der Schwarzmalerei, die die Globalisierungskritik haeufig betreibt, kann ich also auch deshalb nicht viel abgewinnen. Was den >bunten Haufen< in Heiligendamm angeht, kann ich wahrlich keinen Einschnitt erkennen. Es gab Krawall und Klamauk wie immer. Seit den seligen Tagen der 68er Generation, als die Kameras und Mikrofone im Plural auf den Marktplaetzen in Berkeley, Berlin und Frankfurt auftauchten und die >Gesellschaft des Spektakels< ihren Gruendungsakt erfuhr, gehoert das zum Begleitchor und Hintergrundrauschen derartiger Ereignisse. Mittlerweile hat es eher den Anschein, als ob dieses Rauschen mit den Truppenstaerken dieser Treffen mitgewachsen waere. Das Problem, vor dem wir heute stehen, ist doch, dass alle weltwirtschaftlichen Zusammenhaenge, die dieser >Multitude< auf den Naegeln brennt: Patentrechte und Erderwaermung, Aids und Entwicklungshilfe, oder auch: Hedge Fonds und gerechte Loehne, Kinderarbeit und fairer Handel weder mit Trillerpfeifen, Molotow-Cocktails und Sambatrommeln noch durch runde Tisch geloest werden koennen. Nicht nur, weil die Interessen der einzelnen Akteure [Laender, Regierungen, Kulturen...] viel zu unterschiedlich sind, weswegen es nach solchen Meetings immer die viel kritisierten Absichtserklaerungen gibt. Sondern auch, weil gar nicht sichergestellt ist, ob sich die Welt tatsaechlich zum Besseren wenden wuerde, wenn es fairen Handel, keine Kinderarbeit oder fuenfmal so viel Geld fuer Entwicklungshilfe gaebe. Mal abgesehen davon, dass stolze Afrikaner von derartigem Paternalismus sich in ihrer Ehre gedemuetigt fuehlen; und abgesehen davon, dass Kinder wenigstens einer geregelten Arbeit nachgehen, nicht auf der Strasse herumlungern und so das Einkommen ihrer Familie erhoehen: Was wuerden all die Schnaeppchenjaeger sagen, wenn das Pfund Kaffee ploetzlich acht oder zehn Euro, die Sweatshirts bei C & A 100 Euro oder der Flachbildschirm 5.000 Euro kosten wuerde. Wie haben die Leute aufgeheult, als es kuerzlich hiess, Milchprodukte wuerden wegen der grossen Nachfrage aus China um 40 Prozent teurer. Und was wuerden erst all die Gewerkschafter sagen, wenn Europa seine Grenzen aufmachen und all die Gluecksritter, politisch Verfolgten und Arbeitssuchenden aus Nordafrika und Osteuropa sich hier niederlassen koennten. Dass die EU ihre Aussengrenzen mit Zaeunen, Stacheldraht und Infrarotmelder sichert, um den ungezuegelten Zuzug von Asylanten und Armutsfluechtlingen zu unterbinden, ist ebenso im Interesse des Lombarden, Niederbayern oder Katalanen wie die Forderung, dass sie ihre Subventionspolitik fortsetzt, hohe Einfuhrzoelle auf Agrarprodukte erhebt und sie dadurch unverkaeuflich macht. Damit will ich nur sagen: All diese Themen sind weit vielschichtiger und komplizierter, als es sich die bunte Truppe der Globalisierungskritiker vielleicht vorstellt. Asiatische oder afrikanische Kulturen sehen viele westliche Selbstgewissheiten anders: Kinderarbeit, den Vorrang der Familie vor dem Individuum, das Zeitbudget usw. Und auch die enge Verbundenheit eines, sagen wir mal, bretonischen Landwirts mit dem Reisbauern in Bangladesh haelt sich daher in Grenzen. Bei Meinungsumfragen mag es zwar eine Bereitschaft fuer eine unmittelbare Verbesserung der Lebensverhaeltnisse in Asien, Afrika oder Lateinamerika geben; sie werden auch, sollten sie >Christenmenschen< sein, den Luxus der Reichen auf Kosten der Armen anprangern und fuer einen fairen Welthandel plaedieren; steht aber der eigene Arbeitsplatz zur Disposition, die Pendlerpauschale oder die Erhoehung der Praxisgebuehr, werden sie sich kaum noch dafuer begeistern. Dann ist ihnen das eigene Hemd naeher als der afrikanische Rock. Sicher kann die Politik mit Beschluessen wirtschaftliche Rahmenbedingungen verbessern. Sie kann Dynamiken ausloesen, Geldstroeme umsteuern und Produktionszyklen hemmen. Doch wie sich ihre Entscheidungen auf Produktion und Nachfrage auswirken, welche Nebeneffekte sie moeglicherweise zeitigen, bleibt stets ungewiss. Die Politik ist, wie jedes andere soziale Systeme auch, dem Spiel von Versuch und Irrtum unterworfen. Die G-8, die OPEC oder eine angetraeumte Weltregierung machen da keine Ausnahme. Wie maechtig die Nation oder Organisation auch immer ist, letztlich ist auch sie nur Akteur in einem Marktgeschehen, das sich seine Waren, Produzenten, Stuetzpunkte und Profite selbst sucht. Dass diese Themen auf der Agenda bleiben, dafuer sorgen sowohl Medien als auch Protestierer. Fuer beide ist es ja auch ein lohnendes Geschaeft. Fuer die einen, um Quote zu machen; fuer die anderen, um herumzureisen und im Gespraech zu bleiben. Nimmt man all die Gegen-Gipfel, Konferenzen und alternativen Treffs, die auf der ganzen Welt dazu stattfinden, so hat sich mittlerweile auch unter den NGOs eine globale Elite entwickelt, die versorgt und beschaeftigt werden will. So gesehen muessen sie hoffen und beten, dass G8-Gipfel kuenftig nicht doch auf einsamen Inseln, in der Antarktis oder im Weltraum stattfinden. Letztlich wissen auch die protestierenden Marschierer: Die Geschichte, verstanden als blutiger Konflikt widerstreitender Kraefte, ist seit dem Fall der Mauer und dem Sturz des Kommunismus zu Ende. Es gibt keine >grossen Erzaehlungen< mehr, die ueberzeugen koennten. Vermutlich auch nicht der politische Islamismus, der versucht, einen neuen Krieg um [kulturelle] Anerkennung anzufachen und den >vakanten< Platz des Sklaven zu besetzen. Die Macht hat keine konkrete Namen und Adressen mehr. Die flache Welt, die die Globalisierung schreibt, hat keinen geeigneten Ansprechpartner mehr. Maerkte, Rechnernetze und Boersen schoepfen ihre Kraft und Dynamik gerade aus ihrer Anonymitaet, Unverfuegbarkeit und Neutralitaet. Die Erwartung, dass sich diese Entwicklung vom Kabinettstisch aus gestalten oder dirigieren liesse, hat etwas Ruehrendes an sich. Die Weltgesellschaft ist die erste, welche im Posthistorie angekommen ist. Das ist auch der tiefere Grund, warum sich Krawallmacher und Protestumzuegler neuerdings wieder mit Maske, Schminke und Mimikry drappieren und sich zum Clownesken und Karnevalsken hingezogen fuehlen. Der aufgeklaerte Protestierer handelt nur noch >als ob<. Statt zu kaempfen, will er >Zeichen setzen<; und weil er sich schuldig fuehlt, wenn ein Pflasterstein fliegt, trifft er mit Polizei und Behoerden klare Absprachen, wie der Protestzug zu verlaufen hat, damit der Medientross ungestoert darueber berichten kann. Den meisten unter ihnen geht vor allem darum, dass bunte und jugendbewegte Bilder um die Welt gehen, die vom friedlichen Protest kuenden. Man geht gewiss nicht ganz fehl in der Annahme, darin jenen beruehmten >Sonntagsspaziergang< zu erblicken, den Hegel nach Abschluss der Geschichte zur Alltagsform und zum Lebensinhalt aller erkoren hat. Ob der in Form von Klamauk, in Maskerade oder mit Randale stattfindet, bleibt letztlich unerheblich. Geht es um politische Agitation, halte ich wenig von Medienaktivismus und den Neuen Medien. All die Blogs, die es dazu gibt, sind mir viel zu subjektiv. Kein Mensch kann ueberpruefen, wieviel >Wahrheit< oder >Realitaet< hinter diesen Wortmeldungen steckt. Im Uebrigen ist das kein neues Problem, das mit Vernetzung und Digitalisierung uns erreicht haette. Schon vor etlichen Jahrzehnten entdeckte man die authentische Berichterstattung als Agitprop. Beispielsweise bot man im WDR mit >Vor Ort< streikenden Arbeitern bei Ford oder Buergerinitiativen vor dem Atomkraftwerk Whyl eine Plattform bot. Die Leute konnten ausreden was ihnen auf der Seele lag, ohne dass ihre Aussagen durch Politiker-Statements relativiert wurden. Auf diese Weise wurden schon damals Agitationsmuster jugendlicher Subkulturen, kuenstlerischer Avantgarden oder politischer Aktivisten subversiv in die oeffentlich-rechtlichen Kanaele eingeschmuggelt. Grosse Folgen hat das aber schon damals nicht gezeichnet. Andererseits misstraue ich der >Weisheit der Massen< generell. Die Masse ist dumm und gefaehrlich. Schnell kann sie sich zum Mob entwickeln. Dazu braucht man sich nur ein paar Tage in einschlaegigen Foren oder Blogs aufhalten. Was vor Jahren mal als >basisdemokratische< Einrichtung gefeiert worden ist, als direkter Kontakt zum Leser oder Hoerer, hat sich laengst in sein Gegenteil verkehrt. Von einer Kultur des Streitens und Debattierens ist nichts uebrig geblieben. Der Ton ist ruede, der Stil verroht, die Sprache versaut. Die Anonymitaet, die den Beitraegern zugesichert wird, verstaerkt diesen negativen Trend. Seitdem macht sich dort ein digitaler Hoologanismus breit, der zunehmend von Wichtigtuern, Halbgebildeten und Besserwissern, von Rechthabern, Selbstdarstellern und digitalen Heckenschuetzen befeuert wird. Dass ausgerechnet dieser Mob und Poebel es besser weiss oder kann als entwickelte politische Institutionen, wage ich zu bezweifeln. Gewiss kann man an Hierarchien, Kontrollinstanzen und Meinungsfuehrerschaft viel herumnoergeln, die ideologische Verbohrtheit vieler Kunden und Klienten zeigt aber auch Vorzuege der >repraesentativen Demokratie<. Und solange es Konkurrenz und Wettbewerb unter den einzelnen Medien gibt, muss man sich keine Sorgen machen, dass der Oeffentlichkeit allzu viel vorenthalten bliebe. [Anm. d. Red.: Der Autor ist Ko-Herausgeber des Buches Renaissance der Utopie]
Die Beschwichtigung der Radikalen hat leider unausweichlich den Nebeneffekt, dass man zum Advokatus der bestehenden Institutionen wird. Wenn man lange und gründlich in seinem politischen Unbewußten forscht, dann merkt man aber, dass es sich dabei um ein Grundproblem der politischen Teilhabe handelt. Selbst wenn man (so verstehe ich Rudolf, obwohl er nihct ganz explizit wird an dieser Stelle) eine ungeordnete mordlüsterne Gruppe die Regierungsgeschäfte antragen würde, dann hätte diese Gruppe stante pede genau dieselben Probleme, ein Machtgefüge sprich eine interne Organisation aufzubauen, um die Geschäfte zu führen, wie die Parteien es besitzen. Die politschen Wilden, die nur im Vorfeld agieren, kümmern sich natürlich nicht um die Probleme von Morgen. Das gibt ihnen einen überlegenen Anstrich, mehr auch nicht. Utopie ist das keine!
Es war doch die Leistung der angehenden Neuzeit, der Übergang von Religion zu Politik und schließlich in Recht, dass sie einen Weg gefunden hat, wie man Kontinuität in Diskontinuitäten finden kann. Du kannst das an den two bodies of the king exemplifieren. Die Personen wechselten, die Institution überdauerte. Auf diese Weise kamm Stabilität und Ordnung in die Unordnung.
Die Revolutionären entzünden sich an dieser Figur, sie haben kein Vertrauen in die Institutionen. Aber acuh sie kommen nicht umhin, Institutionen zu bauen, wenn sie mal an der Macht sind. Und weil das ad hoc äußerst schwierig ist und Zeit braucht (siehe Irak, siehe Afghanistan …), kommt es danach meist zu Autokratien, also Autoritäten, denn die Loyalitäten abhanden kommen.
Dies soll kein Anbeten von Institutionen sein, eher als Hinweis verstanden werden, dass sie vielleicht auch ganz gutee Dienste leisten.
Soll man den Revoltierenden das Ordnungspotenzial der Institutionen entgegenhalten, das war mein Grundproblem? Ein Aufrührer kümmert sich um den organisatorischen machtaspekt vermutlich nicht, er folgt lediglich einem anti-autoritärem Impuls. Zu meinem Bedauern leben wir in einem Machtgefüge, dass schon von seiner Größe her jedes bloße Revolution-Spiel verbietet. Man müßte also wissen, was man tut, was nachher kommt, was besser ist, etc. Aber man weiß es nicht besser… Die einzige schlüssige Antwort, die ich auf diese schwer erträgliche “Groß-Dimensionalität, die die Geschichte vorschreibt” gefunden habe, ist die Mikroskopisierung des Freiheitsbegriffs.
Na – das kann man ja nie wissen. Wäre es, dann wäre Revolutionen vermutlich ausgeblieben und man hätte sich das: So-aber-haben-wir-das-nicht-gewollt vermieden. An Burma wird man es vermutlich wieder erleben können.
Und auch was “das Anti-Autoritäre” angeht, wäre ich äußerst vorsichtig. Das zeigt schon so ein läppisches und blödes Beispiel wie “die Pauli”.
Schließlich würde ich behaupten, dass es nirgendwo ein Machtgefüge gibt, das “revolutionsresistent” ist. Wenn sie kommt, die Revolution, dann kommt sie. Das wäre genauso ,als ob man behaupten wolle, das Ereignis abzuschaffen.
Was den Freiheitsbegriff angeht, dann ist der doch sowieso schon ruiniert. Ich weiß nicht, warum man den heute noch in den Mund nehmen kann – nach all den Erfahrungen oder den Schindludern, die mit ihm getrieben worden sind.
Klar will ich keine Anti-Autorität sein, das ist mir psychologisch viel zu mühsam. Aber die Revolutionen in good old Europe sind abgeschafft, da bin ich mir ziemlich sicher. Mit deinen Worten: das Verschwinden dieser Möglichkeit ist für mich ein sehr wichtiges Ereignis gewesen, auch wenn nicht gerade mit einem Donnerschlag passiert. Die utopische Komponente war immer die Frucht der Blindheit. Damit gibt es nur noch die Möglichkeit für Revolten, Aufstände, Wutausbrüche,- Bataille in vivo, kennst du ja. Das ist nicht weiter tragisch, aber ich muss gestehen, das interessiert mich nicht besonders. Geschichtlich-politisch ist es mir hier längst zu langweilig. Deshalb muss ich mein eigenes kleines Freiheits-Ding aufziehen. Keine Angst vor diesem durchgenudelten Begriff!