Die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm reihen sich ein in die Liga vergangener Gipfelproteste wie 2005 in Gleneagles, Evian 2003 oder die Europaeischen Sozialforen London und Paris. Nicht mehr und nicht weniger. Mit Genua 2001 kann Heiligendamm aber auf keinen Fall mithalten. Und mit Seattle, wo alles begann, erst recht nicht. Dazu fehlten zu sehr die inhaltlichen Impulse. Im deutschsprachigen Raum hat Heiligendamm durchaus neue Aktivisten mobilisiert. Aber schon in Suedeuropa fand der Gipfelprotest nur noch auf den hinteren Zeitungsseiten in Form von kleinen Meldungen statt.
In Laendern des Suedens wurde der Protest so gut wie gar nicht registriert. Das liegt unter anderem daran, dass es den Globalisierungskritikern in Deutschland nur wenig gelungen ist, die Themen des Suedens ausreichend aufzugreifen. Die Bemuehungen waren da, aber angesichts der vielen Probleme, die die Demonstranten zur Sprache bringen wollten, gingen Themen wie Schuldenerlass, Aids und Armutsbekaempfung als erstes unter. Auf keinen Fall sollten Fragen im Kontext der Globalisierungskritik sich kuenftig nur um die Privatisierung der Bahn oder die Zerschlagung der vier grossen Stromkonzerne drehen.
So lautete jedenfalls der Attac-Ratschlag vom vorletzten Wochenende. Als Beiwerk kann Bahn und Vattenfall Globalisierungskritiker ja gerne beschaeftigten. Aber nicht hauptsaechlich. Damit degradiert sich Attac selbst in die Regionalliga. Was interessiert einen landlosen Bauern in Brasilien, was mit der Bahn in Deutschland passiert? Die deutschen Globalisierungskritiker sollten thematisch nicht so bescheiden sein und sich wieder staerker mit den wirklich virulenten Weltthemen beschaeftigen. Dazu gehoert mit Sicherheit auch die Energiepolitik, aber nicht so kleinteilig aufgedroeselt nach regionalen Stromanbietern.
Global dramatisch bleibt der weltweite, teils gewalttaetige, Wettlauf um die letzten Oellachen, Rohstoffraub im Allgemeinen, die ausufernden Finanzmaerkte und damit einhergehend die weitere Zunahme der Kluft zwischen arm und reich, Nord und Sued, sprich: der Kapitalismus. Kritik und Selbstreflexion koennen nie schaden. So kritisch sich aber viele linke Gruppen gegenueber ihren Gegnern aeussern, so unkritisch verhalten sich viele von ihnen sich selbst gegenueber. Vieles ist bei den Protesten in Rostock und Heiligendamm sympathisch verlaufen. Einiges aber auch nicht.
Dazu gehoert der zunaechst unverhaeltnismaessige Angriff einiger Schwarzvermummter auf ungeschuetzte Polizisten, der dann leider in einen unverhaeltnismaessigen Einsatz der Polizei auf andere Demonstranten muendete. Das war sehr bedauerlich und eine sich als emanzipatorisch verstehende Bewegung muss den Mut aufbringen, haessliche Szenen ihrerseits aufzuarbeiten. Das heisst jedoch noch lange nicht, dass innerhalb der Opposition dauerhaft opponiert werden muss. Kritik ja – solange sie zu konstruktiven Entscheidungen fuehrt, die die Bewegung insgesamt staerkt.
Heiligendamm hat mit Sicherheit viele Leute politisiert und Globalisierungskritik duerfte nun auch in der tiefsten deutschen Provinz kein Fremdwort mehr sein. Ein einmaliges Gipfelevent wird aber nicht reichen, um dauerhaft eine wirkliche Sensibilitaet fuer die dringenden globalen Fragen zu entwickeln. Dazu bedarf es neben den Gipfelhighlights intensiver Bildungsarbeit in Form von Vortraegen, Kampagnen und Veranstaltungen auch kultureller Art. Kritik >aufflammen< lassen? Sehr gern - solange der politische und moralische Preis nicht zu hoch ist. Dies scheint mir bei den Brandanschlaegen der >Militanten Gruppe< derzeit der Fall zu sein. [Anm. d. Red.: Der Autor ist Redakteur der taz]
Das sieht mir nach einem sehr ausgewogenen und klugen Text aus. Vielen Dank.