Globale Umschlagplätze, globale Kämpfe? Häfen und Konflikte um Arbeit, Ökologie und Geopolitik

Arbeiter an der Baustelle des Panamakanals (um 1900) bei der Beseitigung eines Erdrutsches, was neben Überschwemmungen und Krankheiten damals die größten Probleme darstellte; ein zeitgenössisches Frachtschiff und Hafenarbeiter im Panamakanal. Artwork: Colnate Group, 2025 (CC BY NC)
Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)

In Zeiten militärischer Konflikte, wirtschaftlicher Krisen und ökologischer Krisen integrieren Staaten häufig Logistikzentren wie Häfen in ihre geopolitischen Strategien, um ihren Einfluss und ihre Kontrolle über kritische Infrastrukturen zu erhöhen. Dies macht Hafenarbeiter*innen zu unverzichtbaren Verbündeten im Kampf für globale Solidarität und Entmilitarisierung. In ihrem Beitrag zur Textreihe „Pluriversum des Friedens“ argumentieren Janina Puder und Jule Elena Westerheide, dass Hafenarbeiter*innen auch starke Partner*innen bei der ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Transformation der Weltwirtschaft sein könnten.

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Kaum im Amt, verkündete Präsident Donald J. Trump seine Absicht, den Panama-Kanal künftig unter US-amerikanische Kontrolle bringen zu wollen, um bessere Handelsbedingungen für die USA durchzusetzen – notfalls auch unter Einsatz militärischer Gewalt. Zur gleichen Zeit gehen die USA seit dem Frühjahr vermehrt militärisch gegen die Huthi im Jemen vor. Mit dem Krieg in Gaza ist die maritime Handelsroute durch den Suezkanal und die Straße von Bab al-Mandab in der Meerenge zwischen Jemen, Eritrea und Dschibuti zur Zielscheibe der Huthi geworden. Durch gezielte Angriffe auf eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt verursacht die Miliz massive Störungen im globalen Warenverkehr und trifft dabei insbesondere die Kernindustriestaaten an einem wirtschaftlich neuralgischen Punkt. Infolgedessen weichen Frachtschiffe derzeit auf eine alternative Route aus, die einen monatelangen Umweg über das Kap der Guten Hoffnung bedeutet. Dies führt zu massiven Disruptionen, infolgedessen sich Warenumschlagszeiten erheblich verlängern und Transportkosten steigen. Mit den zuletzt durchgeführten Luftangriffen im Jemen versucht die USA nun, die Durchfahrt für Handelsschiffe wortwörtlich ‚freizubomben‘.

Trumps Drohgebärden gegenüber Panama und die Militäroperationen im Jemen sind zu einem gewissen Grad Ausdruck einer historisch-spezifischen Konstellation der globalen Staatenkonkurrenz, in der sich geopolitische Interessen an der Kontrolle von Seewegen und Hafenindustrie im Zuge sich verschiebender Machtverhältnisse im kapitalistischen Weltsystem zunehmend überlagern und militärisch entladen. Gleichzeitig verweisen diese Konflikte in der Logistik auf ein tieferliegendes Moment kapitalistischer Warenproduktion, das mit der grundlegenden Bedeutung von Raum und Zeit bzw. der Zirkulationssphäre für die Kapitalakkumulation verknüpft ist und bereits Karl Marx‘ beschäftigte.

Logistik und die Raum-Zeit-Dimension des Kapitalismus

Marx frühes Interesse am Waren- und Gütertransport rührt daher, dass dessen Entwicklung entscheidend für die Umschlagszeit des Kapitals ist; also dafür, wie schnell vorgeschossenes Kapital zur Warenproduktion über den Verkauf produzierter Waren zurück in die Produktion fließen kann, um in einen neuen Produktions- und damit Verwertungszyklus des Kapitals eingespeist zu werden (MEW 24: Kap. 14). Je näher ein Absatzmarkt an der Produktionsstätte liegt, desto schneller kann dieser Zyklus durchlaufen werden. Doch unter den Bedingungen des Wettbewerbs und durch die Entwicklungen im Transportsystem wird es notwendig und möglich immer neue, entferntere Märkte zu erschließen (MEW 24: 254), wodurch sich auch neue politökonomische Verflechtungsräume herausbilden.

Das Streben nach niedrigen Distributionskosten bei gleichzeitigem Streben den Absatz zu expandieren, impliziert also logistische Infrastrukturen, die Staatsgrenzen überschreiten und Luft- wie Seewege nutzen. Ebenso erfordern knappe, räumlich ungleich verteilte Ressourcen, die als Energie oder Materialien in die Produktion eingehen, entsprechende Transportsysteme und verzweigte logistische Infrastrukturen. Jedoch hat der Logistiksektor nicht nur im Hinblick auf die Kapitalakkumulation und Warenzirkulation eine gewichtige Funktion, auch für die soziale Reproduktion der Gesellschaft ist er unerlässlich, da u.a. die Versorgung mit Nahrungsmitteln, medizinischen Gütern und Energie in modernen Gesellschaften in hohem Maße von logistischen Infrastrukturen abhängt.

Folgt man Marx‘ Überlegungen, dann ist es wenig überraschend, dass die Logistik heute einen Kernindustriezweig des Weltmarktes darstellt. Auch deshalb dürfte der Sektor zuletzt ins Visier der US-amerikanischen Regierung geraten sein. Gleichzeitig gibt es in den logistischen Lieferketten, besonders fragile Knotenpunkte, deren Kontrolle essenziell für reibungslose Abläufe ist. In Zeiten krisenanfälliger Wirtschaft und militärischer Auseinandersetzung kann es daher oftmals Teil staatlicher geopolitischer Strategien sein, den Einfluss auf logistische Knotenpunkte zu erhöhen und sie als kritische Infrastruktur zu kontrollieren. Doch die Logistik wird nicht allein durch die Interessen gewichtiger Kapitalfraktionen und Staaten geformt, sondern ihre Entwicklung ist stets Ergebnis von Klassenkonflikten.

Der gesellschaftliche Stellenwert der Hafenindustrie

Dass die Logistik als Rückgrat des globalen Kapitalismus stets umkämpft ist, beschäftigte z.B. den Arbeitsgeograph Andrew Herod. Anhand seiner Forschung zu Arbeitskämpfen in der Hafenindustrie in der Ostküste der USA zeigte er, wie Arbeiter*innen als kollektive Akteure direkten und indirekten Einfluss auf die sozial-räumlichen Restrukturierungen von Lieferketten und Zeitlichkeiten in logistischen Netzwerken ausüben (2001). Herods Fokus auf den Hafen ist dabei gewiss kein Zufall, da die Hafenindustrie im Speziellen einen Kristallisationspunkt darstellt, an dem sich historisch-spezifische Konflikte um die Re-/Konfiguration von Raum und Zeit im globalen Kapitalismus im Spannungsfeld von staatlicher Steuerung, geopolitischer Interessen und dem strukturellen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit materialisieren (vgl. Puder/Westerheide i.E).

Mit etwa 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs, der über den Seeweg abgewickelt wird, kann die Hafenindustrie zweifellos als kritische Infrastruktur gelten (ebd.). Ausschlaggebend dafür ist die Kosteneffizienz des maritimen Waren- und Gütertransports, die sich aus dem günstigen Raum-Zeit-Verhältnis ergibt. Große Warenmengen lassen sich mittels riesiger Containerschiffe vergleichsweise günstig und zeitsparend über weite Distanzen transportieren. An Board herrschen oft prekäre Arbeits- und Einkommensbedingungen vor, was den Hochseetransport aufgrund seiner geringen Arbeitskosten attraktiv für kapitalistische Akteure macht – bis Reedereien an die Kaikante treffen, wo sie auf besser organisierte und höher bezahlte Arbeiter*innen treffen (Engelhardt 2020; Puder 2025). Die Geografie von Wasserrouten und daran angepassten Hafeninfrastrukturen suggerieren eine naturwüchsige Infrastruktur maritimer Handelswege und verschleiern dabei jedoch, dass diese Räume technisch konstruiert, politisch umkämpft und ökonomisch von entscheidender Bedeutung für den Welthandel sind.

In öffentlichen Debatten um die Hafenindustrie wird der Fokus meist auf die Interessen von Nationalstaaten und transnationalen Konzernen gerichtet. Die Rolle von Hafenarbeiter*innen als handelnde Subjekte wird dabei meist unsichtbar gemacht. Jedoch sind sie nicht nur Träger*innen von Machtressourcen, die sie in Arbeitskonflikten gezielt zum Einsatz bringen, um ihre sozioökonomischen Interessen durchzusetzen, wodurch sie temporär ganze Volkswirtschaften zum Erliegen bringen können; in Vergangenheit haben sie von ihrer ‚logistischen Macht‘ auch punktuell in politischen Auseinandersetzungen Gebrauch gemacht.

Arbeit und politische Kämpfe im Hafen

Als verdichtete Räume der Globalisierung sind Häfen schon immer Orte sozialer Kämpfe gewesen, in denen Arbeiter*innen eine wichtige Rolle spielten (Engelhardt 2020). Beispiele hierfür finden sich etwa in Blockaden von Waffenlieferungen wie zuletzt in Schweden oder Italien. Aber auch Arbeitsniederlegungen, mittels derer sich Arbeiter*innen mit gesellschaftlichen Bewegungen solidarisierten, sind kein Einzelfall der Geschichte. So stellten sich beispielsweise zahlreiche Hafenarbeiter*innen und -gewerkschaften in Chile auf die Seite der Studierendenproteste, die 2019 infolge der explodierenden Lebenshaltungskosten und der wachsenden Ungleichheit in dem Land ausbrauchen.

Wer allein auf Konflikte zwischen staatlichen (bzw. staatlichen und para-militärischen) Akteuren oder die Interessen transnationaler Unternehmen blickt, verkennt damit nicht nur die Rolle von Arbeiter*innen, die sich immer wieder in die Geschichte der Entwicklung des Sektors eingeschrieben hat. Eine derartig verkürzte Perspektive verstellt gleichzeitig den Blick auf mögliche Strategien kollektiver Gegenwehr gegen Aufrüstung und die Zunahme geoökonomischer Konkurrenz.

Zwar betreffen heutige Auseinandersetzungen in Häfen, in denen Arbeiter*innen und Gewerkschaften offen in Erscheinung treten, häufig vor allem arbeitsrechtliche oder betriebliche Fragen. Doch das historische Erbe sowie ihre logistische Macht verweisen auf ein fortbestehendes Potenzial: Angesichts sich zuspitzender und überlagernder Krisendynamiken sollten Hafenarbeiter*innen erneut als wichtige gesellschaftliche Akteure auch für politische Allianzen in den Blick genommen werden. Ihre strukturelle und politische Bedeutung für die Realisierung des Waren- und Güterverkehrs sowie generell für die Versorgung der Bevölkerung macht sie zu unverzichtbaren Verbündeten für globale Solidarität und Demilitarisierung. Doch auch für eine ökologisch nachhaltige, sozial gerechte Transformation der Weltwirtschaft könnten sie ein mächtiger Partner sein.

Die (soziale) Ökologie der Hafenindustrie

Häfen sie bislang ein blinder Fleck vieler sozialer Bewegungen. Ein strategisch ungenutztes Potenzial vor allem für die Umweltbewegung, die in den letzten Jahren ein beachtliches Mobilisierungspotenzial entfalten konnte und der es langfristig an strategischen Allianzen fehlt. Dies liegt auch daran, dass die Rolle der Arbeit als Klassenfrage (Rackwitz 2022) im Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung lange Zeit ausgeblendet wurde (Pye 2017). Dabei ist eine strategische Annäherung zwischen Hafenarbeiter*innen und Umweltaktivist*innen zwar schwierig, keineswegs aber unmöglich: Die ökologischen und sozialen Kosten der globalen Logistik treffen unter kapitalistischen Bedingungen grundsätzlich beide Seiten, Gesellschaften und die Natur.

Soziale und ökologische Belange werden im aktuellen Logistiksystem gleichermaßen ausgeblendet. Zwar gilt der Seetransport gemeinhin als klimafreundlicher als der Verkehr zu Land oder in der Luft; in der Realität folgt er jedoch zuvorderst einer wachstumsorientierten Effizienzlogik. Megaschiffe, für welche Häfen massiv ausgebaut und Flüsse vertieft werden müssen, verkehren teils unterausgelastet; leere Container werden teilweise über weite Strecken hinweg verschifft. Privatisierungsschübe wie im Fall des Hamburger Hafens, wo Reedereien wie MSC mit hohen Umschlagsmengen für ihre Beteiligung an öffentlichen Hafenbetreibern werben, drohen diese Dynamik weiter zu verschärfen. Das Ergebnis ist ein expandierendes, ressourcenintensives Logistiksystem, das kaum Rücksicht auf gesellschaftliche Bedürfnisse nimmt – weder auf sozial-ökologisch sinnvolle Warenströme noch auf eine gesellschaftlich gerechte wie ökologisch tragfähige soziale Reproduktion.

Dass Hafenarbeiter*innen ein berechtigtes Interesse an hohen Umschlagszahlen haben, unabhängig von Art und Ziel der gehandelten Güter, liegt auf der Hand, da daran ihre Arbeitsplätze und Löhne hängen. Doch daraus lässt sich keineswegs ein pauschaler Mangel an ökologischem Bewusstsein ableiten. Vielmehr stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen sich ökologische und arbeitsbezogene Interessen verbinden lassen jenseits vereinfachender Gegensätze.

Für eine soziale und ökologische Transformation des Hafens

Die Effekte des Klimawandels deuten sich bereits heute in den Arbeitsbedingungen und -prozessen im Hafen an: Extremwetterlagen wie etwa niedrige Wasserpegel infolge von Dürren können Abläufe in der Abfertigung von Schiffen behindern. Hitze und Stürme beeinflussen die Arbeitssicherheit und -gesundheit negativ. Die Hafenindustrie zieht nicht selten auch negative ökologische Konsequenzen, die auf lokaler Ebene (Bloom 2024) für die Bevölkerung in Form von Luftverschmutzung oder der Zerstörung von sensiblen Ökosystemen spürbar werden, nach sich.

Die ökologischen Konsequenzen der maritimen Wirtschaft für Arbeiter*innen bleiben aktuell politisch noch weitgehend unübersetzt. Im Globalen Norden entkoppeln Digitalisierung, Automatisierung und Auslagerung von Arbeitsprozessen zunehmend die Arbeit von konkreten Umweltwahrnehmungen. Im Globalen Süden, wie etwa in kleineren Häfen Chiles, sind die ökologischen Auswirkungen – etwa auf Naturschutzgebiete – direkter spürbar. Doch auch hier werden soziale und ökologische Probleme bislang getrennt voneinander diskutiert. Aus Angst vor Rationalisierungsprozessen im Hafen halten viele Arbeiter*innen an ihren Arbeitsplätzen selbst dann fest, wenn sich Arbeitsbedingungen langfristig verschlechtern und die Belegschaften zunehmend fragmentiert werden. Doch genau hier liegt ein entscheidender Hebel: Statt ökologische Transformation und Beschäftigungssicherheit gegeneinander auszuspielen, gilt es, gemeinsam mit Beschäftigten, Gewerkschaften und ökologischen Bewegungen Perspektiven für eine nachhaltige Logistik zu entwickeln.

Eine solche müsste verschiedene Transportwege sinnvoll miteinander verzahnen, die Binnenschifffahrt stärken und zugleich Programme zur Weiterqualifizierung von Arbeitskräften einschließen. Auf diese Weise ließe sich langfristig nicht nur eine ökologisch tragfähige, sondern auch sozial gerechte Transportlogistik schaffen – mit stabilen, gut bezahlten und sinnstiftenden Arbeitsplätzen. Solche Überlegungen sind unerlässlich, um eine politische Logistik zu entwickeln, die ökologische Gerechtigkeit und soziale Teilhabe nicht als Gegensätze, sondern als gemeinsame Aufgabe begreift. Dies könnte unter anderem dabei helfen, den Hafen zukünftig nicht nur als Spielball geopolitischer und ökonomischer Interessen, sondern auch als möglichen Ort widerständiger Praxis von Arbeiter*innen zu verstehen – als Akteur*innen einer besseren Welt, vielleicht sogar eines Pluriversums des Friedens.

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