Die Wohnungen werden immer teurer und immer weniger Menschen sind in der Lage, sich diese zu leisten. Berliner Gazette– Autor Patrick Spät ist sich sicher, das durch die Gentrifizierung seines Kiezes viel verloren geht- nicht nur die Eckkneipe in einem Eckhaus in der Torstraße 69 / Christinenstraße 1. Seiner Meinung nach, hat der “Krieg gegen die Hütten” längst angefangen.
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Berlin, Torstraße 69 / Christinenstraße 1. Viele Berliner wissen, dass unter dieser Adresse die Kultur- und Schankwirtschaft BAIZ zu finden ist. Nettes Publikum, faire Preise, Diskussionsabende und kostenlose Filmvorführungen zeichnen das BAIZ aus. Doch nicht mehr lange, wenn es nach den Plänen der Zelos Properties GmbH geht, der das Haus gehört. Obwohl im Erdgeschoss die Kultkneipe BAIZ im Betrieb ist und die 16 darüberliegenden Wohnungen von Stammmietern behaust werden, verhökern die Immobilienmakler bereits die derzeitigen Mietwohnungen als luxussaniertes Eigentum. Zelos, in der griechischen Mythologie die Personifikation des „eifrigen Strebens“, setzt momentan alle Hebel in Gang, um die jetzigen Mieter schnellstmöglich vor die Tür zu setzen.
Aber nein, es gibt ja so etwas wie ein Mietrecht und die Mieter können natürlich bleiben, wenn sie wollen. Nur müssen sie dafür tief in die Tasche greifen. Ein Rechenbeispiel für eine der Wohnungen des Eckhauses, die den jetzigen Mietern die Tränen in die Augen treiben: Die Mieterhöhung für eine 53,87 qm große Wohnung, die derzeit eine Kaltmiete von 200 Euro hat, beträgt satte 557,98 Euro pro Monat. Die Mieterhöhung von 278 Prozent führt also zu einer neuen Kaltmiete von 757,98 Euro. Darauf entfallen allein für die Türen und Balkone 179,99 Euro, für den Aufzug 112,76 Euro und für das Badezimmer 76,03 Euro monatliche Zusatzkosten.
Wer soll das bezahlen? Die Hälfte aller Berliner Familien müssen mittlerweile über 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete berappen. Angesichts der niedrigen Löhne sowie der vielen ALG-II-Empfänger in Berlin findet hier eindeutig eine soziale Selektion statt. Und keiner der Bewohner wünscht sich einen edelstahlverkleideten Aufzug oder ein luxussaniertes Bad. Die Zelos Properties GmbH profitiert vom jahrelang gewachsenen Flair des Kiezes – den sie in Ihren Verkaufsangeboten auch mehrmals anpreist–, unternimmt jedoch nichts dafür, diesen Flair zu erhalten und zerstört ihn im Gegenteil noch durch Luxussanierungen und hochpreisige Eigentumswohnungen. „Hier werden kulturelle Elemente, wie zum Beispiel der alternative Touch des Kiezes, als Verkaufsstrategien ausgebeutet. Wir haben es mit einer Kolonialisierung der Lebenswelt des Kiezes zu tun“, erklärt Martin Breger,der sich seit längerem für den Mieterschutz in Berlin engagiert.
Hai frisst Goldfisch
Konfrontiert mit diesen Vorwürfen antwortet die Zelos Properties GmbH, dass sie durchaus „von einer starken Nachfrage nach Eigentumswohnungen profitiert“, allerdings verneint Zelos, dass sie Luxusmodernisierungen vornehmen, da es sich lediglich „um notwendige dem Baujahr geschuldete Maßnahmen“ handle. Und weiter: „Warum durch neue Bewohner in Form von Eigennutzern und alten Mietern in einem Nutzermix das Flair des Kiezes zerstört werden soll verstehen wir nicht. Eine gastronomische Nutzung der heutigen vom BAIZ angemieteten Flächen nach Auslaufen des Mietvertrages wird von dem Eigentümer der Immobilie nicht gewünscht […] Gerne würden wir den Mietern die Wohnungen zum Erwerb anbieten. Diesbezüglich Gespräche werden allerdings vollständig abgelehnt.“Was vermutlich daran liegt, dass die jetzigen Mieter ihre Wohnungen eben weiterhin mieten möchten – und nicht zu astronomischen Summen käuflich erwerben.
Schließlich soll zum Beispiel eine der 2-Zimmer-Wohnungen mit 76 qm satte 273.780 Euro kosten. Viel Geld; und während die Mieter keinerlei Probleme mit dem BAIZ haben, das dort schon seit Jahren existiert, fürchten die Immobilienhaie um den Wertverfall ihrer Beute, wenn unten eine Kneipe ist. Klar, die Torstraße braucht ja auch dringend eine neue Schickimicki-Boutique. Indes setzt die Zelos Properties GmbH auf massiven Druck, wie aus den oben genannten Dokumenten hervorgeht: Die jetzigen Mieter bekommen ständig Post mit der Aufforderung, ihre Wohnung zur Besichtigung freizugeben – die potentiellen Käufer müssen schließlich wissen, wo sie später einmal ihr Bett und ihren Fernseher aufstellen können. In dem Schreiben heißt es auch ganz unverblümt: „Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass ggf. rechtliche [sic] gegen Sie ergriffen werden, sollten Sie der Vivum GmbH einen Zutritt zu Ihrer Wohnung verweigern wollen.“ Der deutschen Sprache mächtig sind die Investoren offenbar nicht, dafür aber haben sie die Macht des Geldes – und im Zweifelsfall muss der Anwalt nachhelfen.
Bei der Zelos Properties GmbH gibt es personelle Überschneidungen mit der Grüezi Real Estate AG, die wiederum Schrottimmobilien zu Wucherpreisen verhökert hat. Am 15. Juni 2012 verurteilte das Kammergericht Berlin die Investoren, weil sie eine Berliner Eigentumswohnung mit 33 qm für 76.200 Euro verkauft haben, deren tatsächlicher Marktwert bei 29.000 Euro liegt. Apropos rechtliche Beurteilung: Die Mieterhöhungen im betroffenen Eckhauses werden voraussichtlich nicht als Härtefall eingestuft. Im Klartext: Die Mieter müssen die Wohnungen verlassen und sich eine neue Bleibe suchen – in Berlin kein Zuckerschlecken, da die Preise für Neuvermietungen massiv angezogen haben. Verlassen sie ihre Wohnungen nicht, droht ihnen die Zwangsräumung – in der Hauptstadt haben die tagtäglichen Räumungen im April 2013 mit Rosemarie F. bereits ein Todesopfer gefordert. Hauptsache, Berlin bekommt schnellstmöglich neue Luxuswohnungen. Denn die sind momentan knapp, wie Markus Gruhn – Vorsitzender des Rings Deutscher Makler (RDM), Landesverband Berlin und Brandenburg e.V. – zutiefst bedauert: „Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen, Besserverdienende nach Berlin zu bekommen. Dass nur noch Luxuswohnungen gebaut werden, wäre das Beste, was uns passieren kann“,
Wohnst du noch oder kaufst du schon?
Um Fürsprache brauchen sich Markus Gruhn und die Zelos Properties GmbH keine Sorgen zu machen – selbst die Polit-Prominenz spielt ungeniert mit, obwohl momentan quer durch die Parteienlandschaft auf den Wahlplakaten zu lesen ist: „faire Mieten jetzt“ oder „bezahlbarer Wohnraum für alle“. Im Beirat von Ziegert Immobilien zum Beispiel – die sich derzeit um den Verkauf der Wohnungen und Läden des Eckhauses kümmert – sitzen Hans-Dietrich Genscher (FDP), Otto Schily (SPD) und Dorothee Dubrau (Grüne), die obendrein als Stadträtin für Stadtentwicklung in Berlin-Mitte tätig war. Seit Mai 2013 ist sie Baubürgermeisterin von Leipzig. Schön, wenn sich Immobilienmakler und Politiker so gut verstehen. Netterweise kommentieren die Beiratsmitglieder ihr Engagement mit einem persönlichen Statement; der frühere Bundesinnenminister Otto Schily schießt dabei den Vogel ab:
„Im Eigentum gewinnt die Freiheit des Menschen erst ihre konkrete Form. Im Eigentum suchen und finden wir Menschen unseren eigentlichen Ausdruck. […] Die Wohnung ist der elementare Freiheitsraum, in dem der Mensch bei sich ist, sich findet und anderen Menschen begegnet.“ Dumm nur, wenn man sich diese Freiheit nicht leisten kann. Und muss man eine Eigentumswohnung besitzen – und die früheren Mieter vertreiben –, um ein freies Leben führen zu können?
„Die Gentrifizierung verwüstet den Kiez“
Es ist an der Zeit, den gesetzlich geregelten „Milieuschutz“ im Sinne der Bewohnerinnen und Bewohner durchzusetzen. Denn kaum einer von ihnen möchte in luxussanierten und überteuerten Gebäuden hausen. Das Eckhaus steht symbolisch für den bundesweiten Mietwucher und Ausverkauf. Der Wirt vom BAIZ, Matthias Bogisch, sieht die um sich greifende Gentrifizierung ebenfalls äußerst kritisch: „Die Gentrifizierung verwüstet den Kiez. Es ist ärgerlich, dass die Protagonisten aus der Immobilienwirtschaft nicht begreifen, was sie da an Kiezkultur und nachbarschaftlichen Netzwerken zerstören. Einerseits profitieren sie von deren Existenz und machen u.a. deswegen seit Jahren sehr gute Gewinne, andererseits haben sie nicht den Anstand, wenigstens ein paar Orte wie z.B. die Kirche von Unten (KvU) oder eben unseren Laden stehen zu lassen.” Dem Jugendtreff der KvU in der Kremmener Straße, Berlin Mitte, droht momentan die Räumung, weil der Hausbesitzer den Mietvertrag nicht verlängert hat.
Wo Bedürftige mit Essen versorgt werden und Jugendlichen ein großes Freizeitprogramm geboten wird, soll ebenfalls schon bald ein luxussaniertes Spekulationsobjekt entstehen – der Ausverkauf von Wohnraum ist überall sichtbar. Das BAIZ hat mittlerweile eine Online-Petition zum Erhalt der Kultkneipe und der Mietwohnungen gestartet – zusammen mit den Stimmen der analogen Petition sind bereits 4.100 Unterschriften gesammelt worden. Bleibt zu hoffen, dass den Immobilienhaien bald die Zähne gezogen werden, dass sich weiter Protest formiert und dass die Politik angesichts der drastischen bundesweiten Wohnungsmarktsituation endlich handelt. Denn bislang heißt das Credo leider: „Krieg den Hütten! Friede den Palästen!“
Anm.d.Red.: Foto von Christian Straub; cc by 2.0.
Das ist wirklich erschreckend. Gerade auch weil im September 2012 doch immerhin das Mietenbündnis gegründet wurde, was solche Mieterhöhungen von mehr als 15 % verhindern sollte.
WIR erleben Das grade in der Elisabethkirchstrasse…
Mein kleines Cafe, samt der Mieter des Hauses an der Ecke Invalidenstrasse wanderten vor einem Jahr in den Besitz eines Griechen, der uns auch noch bat, doch bitte die erhöhte Miete auf sein neues Londoner Bankkonto zu überweisen! Die jüngste Mieterhöhung konnte ich, dank eines Anwalts; abwehren. Aber: wie LANGE noch!? Ich betreibe mein kleines Cafe mit viel Fleiß, sehr viel Arbeit und Zeit. Für MICH bleibt nach Abzug von: Löhnen, Sozialversicherungsbeiträgen, Krankenversicherungsbeiträgen, Steuerberatungskosten, Miete, Einkaufskosten, Finanzamt, BGN u.s.w., so gut wie nichts übrig. Das ist in Ordnung, noch macht es Spass und meine Stammkundschaft ist froh, mich zu haben. Allerdings entwickelt sich unsere unmittelbare Umgebung rasant in ein Anlageparadies für Steuerflüchtlinge aus Hilfspaket-Ländern und skandinavische Ferienwohnungsbesitzer. Unser KIez geht kaputt und wird enden wie der Prenzlauer Berg, nachdem die “Heuschrecken” nun die Gefilde der Kollwitz-, Husemann- und Dunckerstrassen verlassen um in Mitte Alles abzugrasen. Herr Wowereit verschachert und derweil weiter, trinkt ein nettes Gläschen Prosecco dabei und kehrt abends in sein schickes Häuschen zurück, schließt die Tür….und hat hoffentlich schlechte Träume!
in allen anderen westeuropäischen ländern ist der anteil an wohnungsbesitzern wesentlich höher, das allein hat mit gentrifizierung gar nichts zu tun.
@Stefan G.: Aber Mieterhöhungen um über 250 Prozent schon.
Gegenfrage: Ist die Gentrifizierung in den anderen westeuropäischen Metropolen u.a. deshalb vielleicht schon fortgeschrittener? (Paris, London, Barcelona, Rom, … absolut unbezahlbar für den sogenannten Normalverbraucher)
In Berlin gibts noch immer viele bezahlbare wohnungen. aber die 100 quadratmeter-altbaubuden mit stuck und parkett und kita nebenan für 300 euro kalt gibts halt nicht mehr. aber dafür fallen die häuser nicht mehr zusammen, sondern sind nachhaltig und ökologisch saniert. das ist auch was wert.