Taten also, nicht Gedanken verbinden Menschen eher – sagt Dietmar Dath und das ist in der Tat eine schoene Umschreibung fuer das, was bei den Projekten meiner Performance-Gruppe Rimini Protokoll oft passiert: dort finden sich die unterschiedlichsten Menschen ein, die alles, was sie von ihren Leben oder ihren jeweiligen politischen Position erzaehlen, eher trennt als eint. Es ist mir immer ein schoenes Gedankenexperiment mir vorzustellen, wie diese Menschen – ohne sich zu kennen – mit einander in dem Grossraumwagen eines ICEs aussehen wuerden, wie scheel die Blicke waeren, wie laut das Echauvieren, wie heftig der Zungenschlag oder das unglaeubige Gaffen. In den wenigsten Faellen wuerden sie sich aber oeffnen und miteinander ein Gespraech fuehren, Gedanken austauschen.
Sind wir jetzt mit den gleichen Menschen unterwegs? Sind es die anderen Mitreisenden die sich keinen Reim auf die Verbindung zwischen diesen Menschen machen koennen? Es herrscht der raue Ton einer Grossfamilie aber auch die freundschaftliche Hingabe und Herzlichkeit; eine Menge nicht zu Ende gesprochener Saetze und groesstes Selbstverstaendnis im Umgang miteinander. Der Vietnamveteran, der jetzt in der Friedensbewegung aktiv ist, sitzt neben dem Polizeichef von Weimar, ihm gegenueber die Leiterin einer Seitensprung-Agentur, ueber den Flur die Astrologin, die dem gescheiterten CDU-Politiker etwas ueber das Verhaeltnis von Macht und Gehorsam erzaehlt.
Es eint also das Erlebnis auf der Buehne, obwohl sie gerade auf dieser ihre Unterschiedlichkeit >zu Markte tragen< und genau davon berichten und vor diesem Hintergrund agieren. >Die Tat< ist in diesem Zusammenhang die Verfuehrung des Publikums, sie zu Komplizen zu machen – fuer diesen Abend, diese Annahme, diesen Gedankengang. Sich mit ihnen vertraut zu machen und dennoch zuallererst vor ihnen [tatkraeftig] zu bestehen.
In mein eigenes Leben zurueckgedacht, fand ich immer genau die Schwelle zwischen Gedanken und Taten und Taten und Gedanken wesentlich. Durchmachen, hiess es: Eine gemeinsam durchwachte Nacht. Das war das wichtigste, intensivste. Eine Art Trance. Die Welt wurde stiller, die Stimmen vor allem die inneren wahrnehmbarer und in diesem Zustand wurden Plaene geschmiedet, die im besten Fall ihre direkte Umsetzung fanden. [Frueher gab es sowieso mehr Worte mit …machen, merke ich gerade. Auch schlussmachen – das geht heute so auch nicht mehr! Oder abmachen – in dem Sinne von alles hinter sich lassen, aussteigen.]
Den inneren Bruechen folgenden aeussere: diverse Schulwechsel, Wohnungswechsel und an dem point of no return meine Flucht ins Ausland. Mit 16. Das erste halbe Jahr lebte ich als part-of-the-family – nach ihrem Willen zur Suehne – bei einer orthodoxen juedischen Familie mit neun Kindern in London. Ich wurde im wesentlichen immer dann gebraucht, wenn die religioesen Regeln den Alltag unbequem machten. Irgendwann gab es auch dort den Moment der Entscheidung – lieber weiterziehen – ins Ungewisse – als so weitermachen.
Die Protagonisten unserer Stuecke sind fuer mich an genau diesem Punkt interessant: Wie entscheide ich mich als Individuum in einem System? Wo werden mir Brueche abverlangt? Wo werden sie mir von aussen verordnet? Wie lang muss ein Gedanke schwelen bevor er in eine Tat, eine Aktion muendet? Der Weg von Jochen Noth zum Beispiel – einer der Protagonisten des Stuecks >Karl Marx: Das Kapital, Erster Band< – sein Weg schien so klar gezeichnet und konsequent und dann gab es doch den Moment, in dem er aus der Logik ausscherte und nach der bewegten Studentenzeit, dem Leiten von K-Gruppen und dem Gang als ueberzeugter Maoist nach Peking, stolperte, sich ploetzlich neu sortieren musste, den Ausstieg riskierte, Amnestie in Deutschland beantragte und nun als Unternehmensberater deutsche und chinesische Konzerne beraet.
Oder Heidi Mettler, schweizerische Hausfrau mit Mann und zwei Kindern, deren Herz aus dem Takt geriet und durch ein zweites – gespendetes – ausgetauscht werden musste und deren Leben sich nach der Transplantation in ein voellig neues verwandelte, zur Scheidung fuehrte. Sie musste sich komplett neu erfinden. Sie stand auf der Buehne mit weiteren >Experten<, die das Herz noch mal von einer anderen Seite betrachteten und ihre Erfahrungen aus den speed-dating-Bereich laut machten. Gemeinsam trafen sich dann alle sieben Protagonisten auf der virtuellen Plattform Second Life. Mit ihren Avataren konnten sie dort noch mal eine ganz andere Rolle spielen sich verwandeln, aber auch preisgeben, was sie in ihrer menschlichen Huelle verborgen hielten.
Und obwohl die Taten hier eigentlich nur noch Gedanken sind, troestet die vielen User wahrscheinlich vorallem die Tatsache, dass gerade jetzt auch ein anderer Mensch irgendwo da draussen seine Nacht durchwacht um seinen Avatar auf dieser virtuellen Buehne spazieren zu fuehren.
Ein Kommentar zu “Gemeinsam durchmachen”