Kriege befeuern die Klimakrise – und umgekehrt. Ist diese Abwärtsspirale unabwendbar und alternativlos? In seinem Beitrag zur Serie „Pluriverse of Peace“ argumentiert Kevin Rittberger, dass es höchste Zeit ist, eine Art Klimapazifismus zu entwickeln, um der planetarischen Polykrise des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.
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Gegenüber der Klimakatastrophe, die noch allzu oft als Klimawandel beschönigt wird oder als Wahlthema gar neuerdings durchs Raster fällt, gibt es bekanntermaßen nur mangelhafte Maßnahmen. Klimawissenschaftler*innen verleihen ihrer Ohnmacht und Depression inzwischen offenen Ausdruck.
Anlässlich der Eröffnung der COP 29 in Aserbaidschan bezeichnete der Generalsekretär der Vereinten Nationen das Jahr 2024 als „Meisterklasse der Klimazerstörung“. Parallel dazu ist ein drastischer Anstieg der Kriegstoten zu verzeichnen, insbesondere durch die Kriege in der Ukraine, in Äthiopien, in Israel/Palästina und im Sudan. Über den Zusammenhang von Klima und Krieg wird jedoch kaum gesprochen. Selbst wenn die internationale Klimagerechtigkeitsbewegung auf die verheerenden ökologischen Folgen der Kriege in der Ukraine, im Sudan und in Gaza aufmerksam macht, ist eine Diskussion darüber in der deutschen Öffentlichkeit höchst unwahrscheinlich. Doch die Klimawissenschaften lassen keinen Zweifel: Wer die Klimakatastrophe noch abmildern will, muss sich auch für den Frieden einsetzen. Und der Frieden ist, das haben vor allem die letzten Wahlen gezeigt, mehr und mehr im Interesse der Wählenden.
Planetare Pattsituation
Vor Russlands vollumfänglicher Invasion hatte die Ukraine einen jährlichen CO2-Ausstoß von 186 Millionen Tonnen. Zwei Drittel dieser Emissionen entsprechen in etwa dem Ausstoß der Niederlande und wurden durch den Krieg im ersten Jahr zusätzlich produziert. Mitten in der vom globalen Norden verschuldeten Klimakatastrophe kommt durch Russlands Krieg sozusagen noch ein weiteres Industrieland hinzu. Die Luft wird verschmutzt, Wälder verbrennen, Böden werden kontaminiert, Grundwasser wird vergiftet und Arten sterben aus. Auf beiden Seiten werden weitere Rohstoffe für den gegenwärtigen Rüstungswettlauf ausgebeutet. Der enorme Energieaufwand für das Wachstum der Militärindustrie beschleunigt die globale Erwärmung. Auch der notwendige Wiederaufbau nach dem Krieg wird für erhebliche Emissionen verantwortlich sein. Kriege sorgen also dafür, dass die Klimaziele in noch weitere Ferne rücken. Projekte wie HOPE HOME – НАДІЯ, die sich für ein ‚radikal anderes Bauen in der Ukraine‘ einsetzen, werden von großer Bedeutung sein, um den Wiederaufbau ökologisch zu gestalten.
Eine Pattsituation, in der beide Seiten erkennen, dass die Kosten des Krieges größer werden als die erhofften Gewinne, wird als ‚mutually hurting stalemate‘ bezeichnet. In der Regel ziehen die Beteiligten schließlich Verhandlungen in Erwägung. Für einen Klimafrieden, der die ökologischen Kosten/Schäden einpreist, ist ein solcher Begriff noch nicht gefunden. Gewaltfreie Formen des Widerstands anstelle kriegerischer Handlungen, wie Erica Chenoweth sie beschreibt, sowie der „Primat des Zivilen“ (Jan van Aken) sind in der Friedensforschung bekannt. Doch gibt es eine Friedenspraxis, die der planetarischen Polykrise, wie wir sie im 21. Jahrhundert erleben, gerecht wird?
Zwar dient das Anthropozän manchen als Begriff, um das atomare Zeitalter seit 1950 als geologischen Marker für planetare Veränderungen auszuweisen. Veränderungen, die nahelegen, dass wir nicht mehr unter den stabilen Bedingungen des Holozäns leben. Aber wird die Dringlichkeit erkannt, dass sich für den Frieden einzusetzen kein pazifistisches Anliegen ist, wie es noch zu Zeiten von Käthe Kollwitz der Fall war, sondern dass dies inmitten des ungewissen Übergangs zu den drastischen Instabilitäten eines neuen Zeitalters geschieht? Jeder andauernde und eskalierende Krieg zieht nicht nur ökologischen Kollateralschaden nach sich, sondern stellt auch eine potenzierte humanitäre Katastrophe dar. Die besagte Pattsituation, die Friedensforscher*innen zur Basis von Friedensverhandlungen machen, ist im planetaren Maßstab, d. h. in Bezug auf die Stabilität unserer Lebensgrundlagen, längst eingetreten. Warum gibt es also immer noch kein Verständnis für die ökologischen Mehrfachkrisen, das zu konzertiertem Handeln zwingt?
Die Autonomie der Anderen
„Im Krieg geht es um die Vernichtung des Willens, also der Autonomie der anderen. Der Gegenpol dazu wäre die Herstellung der Autonomie oder des Willens der anderen.“ Dies haben Oskar Negt und Alexander Kluge in ihrem epochalen Werk „Geschichte und Eigensinn“ notiert, das in den Jahren nach dem NATO-Doppelbeschluss von 1979 entstand. Für den Krieg gäbe es Verkehrs- und Bewusstseinsformen, für den Frieden jedoch nicht, „wenn es um die Anerkennung von fremdem Willen und die wechselseitige Produktion gemeinsamer Autonomie“ ginge. Das gegenwärtige Wettrüsten lässt jedoch darauf schließen, dass die Menschheit diesen Grad der Bildung trotz der Lehren aus dem Kalten Krieg nicht erreicht hat. Ganz im Gegenteil: Friedenspraxis und Friedensforschung sind völlig ins gesellschaftliche Abseits geraten.
Für den sowjetischen Oberstleutnant Stanislaw Petrow, der die Welt 1983 vor einem dritten Weltkrieg bewahrte, stand fest, dass der (nukleare) Krieg, der die gegenseitige Auslöschung bedeutet hätte, unbedingt abgewendet werden musste. Frieden war für Petrow eine äußerst unwahrscheinliche Vorstellung, denn die Bildschirme zeigten damals fälschlicherweise an, dass der Westen angreift. Dennoch entschied sich Petrow gegen einen atomaren Gegenschlag. Heute gibt es solche Reaktionszeiten nicht mehr. Auch die Zeit der anti-martialischen Helden ist vorbei. Eine atomare Eskalation ist heute wahrscheinlicher geworden. Die 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Ärzte-Organisation IPPNW drängt daher gegenwärtig darauf, dass die westlichen Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich unbedingt auf Russland und China zugehen, um eine ‚Doktrin des Verzichts auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen‘ zu erklären.
Bis 2026/27 wird Deutschland über zahlreiche Marschflugkörper und Hyperschallgleiter verfügen. Bis 2027 werden zudem 35 neue Tarnkappenbomber mit Atomwaffen ausgerüstet sein. Im Gegensatz zum NATO-Doppelbeschluss gibt es heute jedoch keine janusköpfige Strategie. Damals standen die Zeichen einerseits auf Aufrüstung, gleichzeitig wurden jedoch aufgrund einer behaupteten Sicherheitslücke Verhandlungen über die Stationierung von Raketen angeboten, die schließlich zum INF-Abrüstungsvertrag führten. Die gegenwärtig Regierenden setzen „Kriegstüchtigkeit” als neue Handlungsmaxime durch. Und keinerlei Dialogangebot. „Kriegstüchtigkeit beginnt nicht bei der Bundeswehr, sondern bei uns allen“, schreibt etwa das Springer-Blatt Die Welt. Zur Sicherheit Europas zählt auch die Energie- und Rohstoffsicherheit. In Shevchenko (Oblast Donezk) lagern mutmaßlich die größten Lithiumvorkommen Europas. Momentan sind sie jedoch von Russland besetzt. Ein Beitritt der Ukraine zur EU würde das nötige Lithium für den Binnenmarkt verfügbar machen und auch die Unabhängigkeit Deutschlands von anderen Ländern (wie China) erhöhen.
Rückbau der Automobilindustrie?
Die aktuelle Interpretation der Friedenssicherung durch die große Koalition in Deutschland kann sich auch als Klimapolitik tarnen, denn Lithium und weitere seltene Erden, die für die Energiewende wichtig sind, lagern in der Ukraine. Genau an dieser Stelle würde ein sogenannter „Diktatfrieden“ (Friedrich Merz) den Verlust rohstoffreicher Territorien bedeuten. Dabei wird jedoch ausgeblendet, dass eine klimaverträgliche Energiewende auch eine Rohstoffwende miteinschließen müsste. Eine seriöse Rohstoffwende würde nämlich bedeuten, dass die Autoproduktion zurückgefahren und der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden müsste, da Elektroautos zehnmal so viel Lithium und seltene Erden benötigen wie erneuerbare Energien. Dies wird in der sogenannten Energiewende häufig in einen Topf geworfen. Unter Umständen wäre eine wirklich grüne Rohstoffwende (inklusive Kreislaufwirtschaft) gar nicht auf die ukrainischen Lagerstätten angewiesen. Ein Rückbau der Automobilindustrie (sowie kleinere Autos) ist für Deutschland jedoch ein rotes Tuch. Und wie sieht es mit einer fairen ökologischen Verwertungskette aus, die von der Ukraine selbst betrieben werden könnte (wie es sie inzwischen auch in Bolivien gibt)?
Die von weltweit führenden Atomphysiker*innen und Nobelpreisträger*innen alle zwei Jahre neu eingestellte Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) steht angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine auf 89 Sekunden vor Mitternacht. Das ist so alarmierend wie nie zuvor. In seinem Buch „Den Frieden gewinnen“ mahnt Heribert Prantl scharf, dass die derzeitige Kriegspolitik keine Sicherheit gewährleistet, obwohl die Regierung das Gegenteil verspricht. Die moralische Integrität des Westens sei diskreditiert und wir als Gesellschaft seien friedensungebildeter denn je. Friedensaktivist*innen wie Reiner Steinweg, der 1961 im Rahmen des ‚San Francisco-Moskau Friedensmarschs‘ zu Fuß von Westdeutschland nach Moskau ging, geraten in Vergessenheit. Die heutige Friedensbewegung ist fragil und von Spaltungslinien durchsetzt. Seit die Friedenstaube auf Montagsdemos gesichtet wurde, ist sie in Deutschlands Mitte in Verruf geraten. Dabei wäre es höchste Zeit, Friedenspolitik klimagerecht zu interpretieren.
In ihrer viel zitierten Studie „Civil Resistance – What Everybody Needs to Know“ hat Erica Chenoweth untersucht, welche gewaltfreien Strategien es angesichts militärischer Aggressionen gibt. Ihre Analyse von über 300 Fällen aus dem Zeitraum von 1900 bis heute zeigt, dass gewaltfreier Widerstand nicht nur die Zahl der Opfer mindert, sondern im Vergleich zu langjährigen kriegerischen Konflikten auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich demokratische Verhältnisse (wieder) etablieren lassen. Aken fragt, wie viele Hunderttausende Tote sich verhindern ließen, wenn der Krieg in der Ukraine nicht noch einige Jahre im besagten ruinösen Patt verharren würde.
Für Demokratie und Klimaschutz
Ein Krieg, der mit Kriegstüchtigkeit statt mit Deeskalation, Diplomatie und dem wechselseitigen Versuch ‚gemeinsamer Autonomie‘ beantwortet wird, ist nicht nur für das Klima, sondern auch für die Demokratie verheerend. Die weltweite Zunahme des Autoritarismus ist ein deutliches Zeichen dafür. Doch was, wenn Frieden keine naive Forderung ist, die die Aggression des Angreifers relativiert, sondern wenn Klima und Demokratie gar nicht anders überleben können? Darf es angesichts der Klimakatastrophe noch antifaschistischen Bellizismus und sogenannte ‚friedensichernde Kriege‘ oder ‚friedensicherndes Wettrüsten‘ geben? Ist es nicht offensichtlich, dass Gerechtigkeit und Demokratie nur erreicht werden können, wenn Militarismus und Krieg abgeschafft und gleichzeitig das Klima geschützt wird? Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich Bewegungen für Demokratie, Klimagerechtigkeit und Frieden zusammenschließen und sich für einen neuen Pazifismus einsetzen können.
In der Klimawissenschaft geht man heute mehrheitlich davon aus, dass die 1,5-Grad-Marke nicht mehr eingehalten werden kann und eine Erwärmung um 2,5 bis 3 Grad zu erwarten ist. Dies hätte irreparable Folgen für die Erdsysteme und würde laut Hans-Joachim Schellnhuber das „Ende der menschlichen Zivilisation“ bedeuten. In Baku sagte Einur Soltanov, der CEO der COP 29: „Natürlich geht es um die Lösung der Klimakrise und den Übergang weg von den Kohlenwasserstoffen.“ Dann fügte er hinzu: „Ich spreche von einer Zukunft, die fossile Brennstoffe vielleicht für immer einschließt.“ Der Widerspruch könnte nicht eklatanter sein. Doch ein Aufschrei bleibt aus. Die Verhältnisse sind nicht haltbar, attestiert auch der Soziologe Ingolf Blühdorn. Sie öffnen Tür und Tor für Resignation. Ein ums andere Mal schlägt die Stunde der Doppelgänger. Laut Naomi Klein ist dies der Moment, in dem die politischen Rechten die Unhaltbarkeit der Zustände für sich nutzen.
Nachdem sich die Begründung für den Irak-Krieg als Propaganda erwiesen hatte, schrieb Etel Adnan 2005 in ihrem beklemmend aktuellen Text „To Be in a Time of War“ die folgenden Zeilen: „To bomb, to eliminate a country, to blow up a civilization, to destroy the living.“ Kurz: Es geht derzeit nicht zuletzt um die Auslöschung der planetaren Lebensgrundlagen – das sollte bei jeder abgeworfenen Bombe bedacht werden.
Ist Krieg verzichtbar? Das müsste heute die tägliche, unnachgiebige Frage aller sein. Eine Frage, die neben der notwendigen sozialökologischen Transformation der Gesellschaft und der Dekolonisierung des westlichen Universalismus auf der Tagesordnung stehen sollte. Um des eigenen Überlebens willen müssten Menschen heute zwangsläufig Pazifist*innen werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Klimakrise und die damit einhergehende Ressourcenknappheit die Wahrscheinlichkeit von Gewaltkonflikten wiederum erhöhen. Diese tödliche Spirale muss um jeden Preis vermieden werden. Für die Mütter und Väter des Grundgesetzes stand vor 76 Jahren fest, dass Deutschland dem Frieden in Europa dienen müsse. Heute müsste dem Paragrafen hinzugefügt werden, dass jeder Frieden ein für das Überleben notwendiger Klimafrieden ist.
Krieg und Klimakrise…
Diese K&K Themen sind eigentlich für sich schon zu komplex um sie in einen Text zusammen zu „patchen“.
Wenn dann könnte man sich vielleicht an die Völkerwanderungen erinnern mit den Hunnen, Germanen, die am Ende auch Rom in die Knie zwangen.
Aber mit Krieg…
Kein Wunder also, dass In den meisten von Menschen inszenierten Weltuntergangs-Szenarien Krieg herrscht.
Im Text wird die Klimakrise wie ein nukleares Patt beschrieben, das selbst kriegstreibende Atommächte in Schach halten sollte, weil:
„Um des eigenen Überlebenswillens müssten Menschen heute zwanghaft Pazifist werden“…
Die Klimakrise befreit Sibirien vom ewigen Eis/Frost und neben dem ganzen entweichenden CO2 werden auch neue Erdöl- und Erdgasfelder für Russland kommerziell nutzbar.
Gleiches gilt auch für den Nordpol.
Russland verfügt dann über Vorkommen, die höher sind als die der USA oder z.B. Saudi Arabien und könnte in 100nJahren die Preise diktieren.
P.S.:
Eines der größten Lithium Felder ist in Serbien. In solchen Ländern sind längst chinesische Firmen oder Konzerne wie Albemarle am schürfen mit schweren Folgen für Umwelt und Menschen.