Thor Steinar-Klamotten sind in der rechten Szene sehr beliebt. Läden dieser Marke werden regelmässig von Linksautonomen angegriffen. Der Berliner Gazette-Autor Caspar Clemens Mierau beobachtet die Vorgänge von seinem Wohnzimmerfenster aus und muss sich fremdschaemen.
Vor einigen Wochen ereilte mich ein Schock zum Samstag: Ein Blick auf die Strasse offenbarte einen Demonstrationszug, der direkt vor meinem Haus hielt und dutzende Polizisten, die eine aufgebrachte Menge davon abhielten, noch naeher zu kommen.
>Thor Steinar schliessen< hiess es und schnell offenbarte sich das ganze Uebel: Quasi ueber Nacht hatte im Nebenhaus ein Geschaeft der fuer die Neonaziszene bekannten Marke >Thor Steiner< eroeffnet. Eine Stunde spaeter war der erste Hitlergruss auf der Strasse zu sehen. Panik schlich sich ein. Hoffnung auf >Gegenwehr<, die nicht lange auf sich warten liess. Doch treten wir einen Schritt zurueck und beschreiben die Szene abstrakt: Ein Geschaeft eroeffnet in einer Strasse. Ab dem Tag der Eroeffnung wird der Laden nahezu taeglich mit Farbbeuteln beworfen, die Scheiben tagsueber eingeschlagen, die Mitarbeiter und Einkaeufer beschimpft, vor das Geschaeft gespuckt, der Mittelfinger beim Vorbeigehen gezeigt und ueberdurchschnittlich viele Hunde erledigen unter Anleitung ihrer Halter ihre Geschaefte allabendlich nach Ladenschluss vor den verriegelten Schaufenstern. Es herrschen eine gereizte Stimmung und gegenseitiges Misstrauen zwischen Passanten und Ladenhuetern. Diese Szene kommt befremdlich anachronistisch bekannt vor. Ist es nicht eben jene Szene, die im Schulunterricht als Ur-Parabel erzaehlt wurde ueber den verwerflichen Umgang mit als Fremdkoerpern empfundenen Geschaeften vor 1945? Waren es nicht eben jene Taten wie das Einschlagen von Scheiben, das wiederholte Beschmieren, Spucken, Beschimpfen, die Betroffenheit und historisches Unverstaendnis in einem erzeugten? Dies mag zugespitzt klingen und dennoch wirft es die Frage auf, wie man eigentlich mit dem umgeht, was einem fremd und zuwider ist - ohne Dinge zu tun, fuer die man selbst andere Menschen verurteilen wuerde. Was also bleibt, ist ein aeusserst fader Beigeschmack, der die staendig praesente buergerliche Courage vorm eigenen Haus als peinlich und unbeholfenen anmutenden Aktionismus erscheinen laesst, der mit eben jenen Mitteln kaempft, fuer die er andere zur Rechenschaft ziehen moechte: Verbreiten von Angst, Zerstoerung, Diskriminierung. Es liesse sich viel einwenden im Sinne von >Recht so<, doch sind wir ehrlich, ist es nichts, worauf man stolz sein kann. Im Gegenteil - Fremdschaemen ist angesagt, spaetestens, wenn eine betrunkene Horde Jugendlicher ihr Adrenalin beim Werfen von Farbbeuteln auslebt. Doch was kann man tun? Vielleicht geben die aktuelle Debatte um die Parteienfinanzierung und John Grishams >Die Firma< eine Antwort: Man kann das Spiel spielen. Waehrend ein Laden wie Thor Steinar sicher kaum schliesst, weil ein mutiger Buerger vor das Geschaeft spuckt, sind Mieter in Haus und Umgebung, die Mietminderung verlangen, ein Vermieter, der auf Druck von Oeffentlichkeit und Politik fristlos kuendigt und eine Stadtverwaltung, die es vielleicht etwas genauer nimmt bei der Pruefung von Parkplaetzen und Muelltrennung, Mittel, die zwar weniger Aggression abbauen, dafuer aber nachhaltiger und weniger ... verkehrt.