Fit im Internet: ZIA und das Blog “Riesenmaschine”

Prototypische Internet-Macher wie die in den 1990er Jahren haeufig beschworenen Nerds, Medienaktivisten und >Flaneure< gibt es zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Die Bloggerin und Schriftstellerin Kathrin Passig wagt eine Bestandsaufnahme.

Das soziale Panorama hat sich stark ausdifferenziert. Das merkt man nicht zuletzt daran, dass eine E-Mail-lesende Mutter – zumindest fuer diejenigen, deren Eltern ueber 50 sind – in den 90er Jahren noch ein rares Wundertier war, inzwischen aber viele Eltern eigene Websites pflegen oder Internetforen [nicht nur ueber Krankheiten] moderieren. Und dass ihnen das Bloggen noch ein wenig fremd ist, kann man ihnen kaum vorwerfen, wenn selbst Werbeagentur-Chef Jean-Remy von Matt das Medium bisher nicht begriffen hat.

Auffaellig ist im Vergleich zum Internet-Angebot vor zehn Jahren der gestiegene aesthetische Anspruch. Konnten inhaltlich interessante Websites frueher noch im ungestylten grauen Gewande daherkommen, geht man mittlerweile automatisch davon aus, dass Lesenswertes nur noch da zu finden ist, wo ein gewisser layouttechnischer Mindestaufwand betrieben wurde. Bunte Schrift auf gemustertem Hintergrund war allerdings bereits im vorigen Jahrtausend eine Garantie fuer wirre Inhalte. Vorkonfigurierte und benutzerfreundliche Loesungen sind zwar auf dem Vormarsch, aber trotzdem ist es schwerer geworden, im Alleingang ein Internetprojekt zu stemmen, wenn man neben dem Content, nicht erhebliches Interesse an Technik- und Gestaltungsfragen mitbringt.

Die Zentrale Intelligenz Agentur und das Blog Riesenmaschine – beides Projekte, an denen ich mitarbeite – sind daher Gemeinschaftsunternehmen an der Schnittstelle von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik, die nach Antworten auf die uralte Menschheitsfrage suchen, ob es moeglich ist, mit dem, was man gern tut, Geld zu verdienen. Bei der Zentralen Intelligenz Agentur funktioniert das seit ihrer Gruendung 2003 ueberraschend gut, bei der im Juni 2005 entstandenen Riesenmaschine muss es sich erst noch erweisen. Derzeit dient sie als Spielwiese, auf der einerseits die Agenten der ZIA mit neuen Formen experimentieren, andererseits alte und neue Mitarbeiter ihre Faehigkeiten und Spezialgebiete ausloten und unter Beweis stellen koennen.

So hat sich auch das Selbstverstaendnis der Riesenmaschine in den sieben Monaten ihres Bestehens gewandelt: Urspruenglich war sie mit dem etwas vagen Plan angetreten, >so was wie das deutsche BoingBoing< zu werden. Ihr wisst schon: Das riesengrosse US-Blog. Schnell stellte sich heraus, dass es in der Blogosphaere erstens im Unterschied zum Feuilleton auffaellt, wenn man schamlos abschreibt, was in den USA passiert, und dass zweitens grosse kollaborative Blogs wie We-Make-Money-Not-Art.com oder eben BoingBoing.net auf einen ganz anderen Pool an Zutraegern zurueckgreifen koennen als selbst die ZIA mit ihrer umfangreichen Kartei der inoffiziellen Mitarbeiter und Schlaefer. Die Riesenmaschine hat daher ihre spezifisch deutschen Aspekte noch staerker herausgearbeitet, passend zu Name und Logo, die dem Jahrbuch >Das neue Universum< aus den spaeten Fuenfzigern entstammen. Auch die Wortwahl auf beiden Websites und in den Claims der ZIA [>Der Denkpanzer aus dem Gehirnschwimmbad<, >Zweiter zu gar nichts<] greift gerne auf eingedeutschte englische Wendungen zurueck. Das Konzept scheint auf Zustimmung zu stossen, denn die Riesenmaschine ist schnell unter die 20 beliebtesten deutschen Blogs aufgestiegen und verzeichnet pro Monat einen Zuwachs von etwa 1.000 neuen LeserInnen. Aber, wie es im Gedicht vom Wasserhahn und dem Wasserhuhn heisst: >Viel ist schon getan, mehr bleibt noch zu tun<. Deutschland hat im Vergleich zum angelsaechsischen Sprachraum weiterhin Nachholbedarf an professionellen Blogs und innovativen Internetprojekten. Und obwohl es zu den Kernkompetenzen der Zentralen Intelligenz Agentur gehoert, alles zu wissen: Woran das liegt, wissen wir auch nicht.

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