Als Thema trat Wasser das erste Mal Ende der 90er Jahre in mein Leben. Die Chaostheorie war als noch junge Disziplin in der Mode und zog durch die Mischung aus paradoxem Namen und >hard science< die Aufmerksamkeit eines wissenschaftlichen enfant terrible auf sich. Wasser begegnete mir hier an zwei Stellen: einer sichtbaren und einer theoretischen.
Die sichtbare fand sich ganz real im Winter am Kuechenfenster in Form von Eisblumen, die Tag um Tag die Scheibe erklommen und in faszinierender Schoenheit Wasser zu selbstaehnlichen geometrisch und fraktalen Figuren formten. Dabei erstaunte, dass gerade das sonst so formlose und normale, weil allgegenwaertige, Wasser ohne jegliches Zutun sich temporaer zu einem mathematischen Wunder formt, um hernach spurlos zu verschwinden.
Auf theoretischer Ebene begegnete mir Wasser in diesem Umfeld vielfach. Neben dem unvorhersagbar chaotisch tropfendem Wasserhahn – einem ernstzunehmenden wissenschaftlichen Problem – laesst sich mit Wasser der Unterschied zwischen linearer Physik und nicht-linearem Chaos anschaulich erklaeren: In der klassischen Physik fuehren aehnliche Zustaende zu aehnlichen Ergebnissen.
Eine Kugel, die auf den Boden faellt, faellt aus ungefaehr gleicher Hoehe ebenso zu Boden. Zwei sich beruehrende Tropfen im Fluss jedoch nehmen schon bald einen voellig verschiedenen Weg. Auch kleinste Unterschiede in den Ausgangsbedingungen fuehren hier zu unvorhersehbaren Ergebnissen. Schon hat das Wasser in unverzeihlicher Kuerze die Chaostheorie erklaert. Besser als es der Fluegelschlag des Schmetterlings je konnte.
Chaostheorie und die Entdeckung fraktaler Geometrie fielen nicht zufaellig mit der Verbreitung von Computern zusammen. Waehrend Wasser bereits einen Beruehrungspunkt mit dem Digitalen im wissenschaftlichen Rechnen hat, sticht ein weiterer hervor: Die Simulation von Wasser. Es gibt wohl kaum etwas, was sich per se nicht mehr der Simulation entzieht als Wasser, jener Nicht-Ort, der sich einer oertlichen Zuschreibung entzieht und durch Formlosigkeit fasziniert.
Und dennoch sind bis heute Aquarien-Bildschirmschoner ein beliebtes Motiv, die mit ihren berechneten Fischen, simulierten Pflanzen und voellig unchaotischen Rastern die Virtualitaet des Aquariums zur Virtualitaet des berechneten Wassers quadrieren. Nicht ohne dabei im zugegeben Aquarien-foermigen Bildschirm eine perfekte Darstellungsform gefunden zu haben.
Waehrend die virtuelle Aquaristik heute sicher nicht mehr so faszinieren mag, wie im letzten Jahrzehnt, ist der >Wassereffekt< noch heute wichtiges Qualitaetskriterium von Computerspielen, die den Spieler unter die Wasseroberflaeche tauchen lassen. Je widerspruechlicher die Berechnung und Darstellung des Wassers, desto realistischer wirkt es dabei. Waehrend Computer durch diskrete Zahlenberechnungen glaenzen, lassen sie das Wasser wieder unscharf werden, den Nutzer absichtlich schlecht und verschwommen sehen, um ihm durch diese vermeintliche Natuerlichkeit, eben jener, die vielleicht auch das Kunstprodukt Aquarium als kleines Natur-Idyll erscheinen laesst, eine Realitaet zu suggerieren, die es so nie gab. Und so stellt spaetestens das Wasser den Computer vor die Aufgabe, sich selbst zu leugnen.