Seit dem Erfolg des Syriza-Bündnisses bei den Parlamentswahlen im Januar dieses Jahres ist das Griechenland-Thema zum Dauerbrenner der politischen Talkshows avanciert. Doch wo Kritiker Gleichschaltung wittern, konstatiert Literaturwissenschaftler Tobias Lachmann eine Wiederkehr des Immergleichen. Schließlich ist das Fernsehen wie eine Serie angelegt. Ein Kommentar.
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Mit der Wahl in Griechenland erhielt das Fernsehen eine neue Aufgabe. Im wesentlichen bestand sie darin, mittels Talkshows bestimmte Bilder von Griechenland zu vermitteln.
Die Analyse der thematisch relevanten TV-Sendungen zeigt: Die Diskussionen gruppieren sich tendenziell um zwei Komplexe. Der erste dieser beiden Komplexe bezieht sich auf den Sprechakt der Drohung. Gemeint ist die Unterstellung, die griechische Regierung drohe in einem fort mit Neuwahlen, der Forderung nach einem finanziellen Ausgleich für das EU-Embargo gegen Russland oder der Umleitung von Flüchtlingströmen nach Berlin.
Erzieherische Maßnahmen
Ein Einspieler aus der ARD-Sendung Anne Will bebildert dies treffend – nebenbei führte er zu einem der peinlichsten TV-Auftritte des nordrhein-westfälischen Oppositionsführers Armin Laschet (CDU). In dieser Sendung wird auch die Koalition von Syriza und ANEL als eine Drohung kodiert. Etwa wenn die Chefkorrespondentin für Wirtschaftspolitik der Tageszeitung DIE WELT, Dorothea Siems, jene als „recht-links-extreme Regierung“ diffamiert.
Der zweite Erzählkomplex hingegen hat erzieherische Maßnahmen zum Gegenstand. Er inszeniert einen Europa-Politiker wie den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) als Zuchtmeister, der die ungezogenen Rotzlöffel der Syriza mores lehren will.
Nicht wirklich überraschend ist dabei die Erkenntnis: Der Verlauf der Diskussion – ganz gleich, um welche Talkshow, mit welchem Konzept, welchen Talk-Gästen und welchen Thematisierungsweisen es sich im Einzelnen auch handelt – ist strukturell immer der gleiche. Die Regierung Griechenlands wird der Drohung oder der Unflat bezichtigt. Die Regierungskoalition wird verurteilt. Die Vertreter der bundesdeutschen Schwester-Parteien werden aufgefordert, sich von der Koalition oder ihrer Politik zu distanzieren.
Keine Gleichschaltung
Der augenscheinlichen Homogenität und Konformität der Talk-Formate zum Trotz, handelt es sich dabei aber wohl nicht um eine wie auch immer geartete Form von „Gleichschaltung“. Sondern um ein Phänomen, das sich – Matthias Thiele und Rainer Vowe zufolge – mit dem Stichwort der „Hegemonie“ am ehesten beschreiben und analysieren lässt. Denn ein Blick in die Geschichte des Fernsehens zeigt: Jene Konformität gehört zu den ureigensten Merkmalen des Mediums.
Das Fernsehen ist prinzipiell seriell angelegt und auch seine Talkshows sind Serien, die durch Uniformität und eine Wiederkehr des Immergleichen gekennzeichnet sind. Dennoch geht das, was formelhaft erscheint, mit Mechanismen von Variation und Variabilität einher. Schließlich ist der Zuschauer gerade wegen der Wiederkehr des Ewiggleichen an Abweichung und Improvisation interessiert.
Hier kommt der Hegemonie-Begriff ins Spiel. Denn bei der andauernden Wiederholung der Themenkomplexe und Argumente geht es letztlich um nichts anderes als um die Vorherrschaft und Dominanz von bestimmten Positionen und damit verknüpften Bedeutungen, Kodierungen und Perspektivierungen.
Definitionsmacht über Wirklichkeit
Als ein zentrales Format des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind die Polit-Talkshows tief in den Kampf um die Definitionsmacht über politische, soziale und kulturelle Ereignisse verstrickt. In Talkshows werden die vorherrschenden Diskurspositionen markiert und gesellschaftliche Sagbarkeiten erzeugt.
Erst wenn man die Talkshow als das Fernsehformat begreift, in dem es wie in keinem anderen um die gesellschaftliche Hegemonie geht, wird ersichtlich, weshalb die Talk-Sendungen zu Griechenland trotz unterschiedlicher Gäste derart stereotype Aussagen produzieren. Damit markieren sie zugleich aber auch jenen Ort, an dem die Durchsetzung hegemonialer Positionen besonders gut beobachtbar wird.
Was im Bereich der Presse mit Hilfe von Sprachbildern erreicht wird, funktioniert in den Talkshows auf dem Weg über visuelle Bilder. Das Fernsehen ist eine Bildmaschine, die auf der Diskursivierung der Sprache seine visuelle Ästhetik aufsattelt. Der Kampf der Argumente wird daher in den Talkshows von einem Kampf der Bilder und Symbole überlagert.
Professor vs. Popstar
So konnte am Beispiel der Medialisierung Yanis Varoufakis’ gezeigt werden: Die Inszenierung Varoufakis’ als Medienstar (nach dem Schema Professor vs. Popstar) führt dazu, dass das Fernsehen seine eigenen Mittel im Medium Fernsehen thematisieren kann.
So zeigte in der Sendung „Der Euro-Schreck stellt sich – Varoufakis bei Günther Jauch“ (ARD, 15.03.2015) ein in clip-Ästhetik gehaltener Einspieler den ehemaligen Finanzminister Griechenlands als medienerfahrenen Wissenschaftler und Politiker, der die Provokation seiner home story in Paris Match ebenso bewusst kalkulierte wie seine früheren Fernsehauftritte im australischen Fernsehen der 1990er Jahre.
Angesichtes der Bildgewalt des Fernsehens gerät der Austausch von Argumenten in seinen Talkshows zur Nebensache. Er erfolgt extrem komplexitätsreduziert und basiert auf allgemeinverständlichen Symbolen. An ein redaktionell bereit gestelltes Bild schließen sich im besten Fall zarte Ansätze eines Argumentationsgangs an, bevor die Debatte im Tumult endet. Oder von Moderatorenseite mittels Frage oder MAZ ein neues Bild geliefert wird, an das sich dann die gleichen Prozesse anschließen.
Mit der sogenannten „Griechenlandkrise“ sind auch die Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in ihre eigene Denormalisierung gerutscht. Das Thema zwängt sich ihnen alternativlos auf, gleichzeitig haben sie keine neuen Sichtweisen zu bieten.
Narrativ der „katabasis“
Mit der „katabasis“, also dem Abstieg Griechenlands aus der für die Eurostaaten definierten Normalität, benennt Diskursanalytiker Jürgen Link die leitende symbolische Erzählung der gesamten Medienberichterstattung über Griechenland. Dieses Narrativ wird um zwei Akteure, nämlich die Syriza-Regierung („Sie“) und die Europäer bzw. Deutschen („Wir“) aufgebaut und dabei verschiedentlich variiert.
Mal ist die Syriza-Regierung ein Haufen pubertierender Schüler oder halbstarker Rocker, die es mit autoritären Mitteln zu disziplinieren und dazu zu bringen gilt, sich an die Regeln der Institutionen zu halten. Mal erscheint sie als Gruppe extremistischer Ideologen oder politischer Utopisten, die es auf den Boden der Realität zurückzuholen gilt.
Manchmal schwingen sich die Lehrer auch zu Psychiatern auf, die bei den entwicklungsgestörten Pubertierenden Wahnsinn diagnostizieren und nach einer Therapie schreien, wie es Jan Fleischauer bei SPON tat: Griechenland und die Euro-Verhandlungen: Holt den Psychiater!
Es kann aber auch der Raffke auftreten, dem seine pathologische Gier ausgetrieben werden muss. Durch diese Variationen werden der Öffentlichkeit diverse Sichtweisen angeboten, die jedoch denselben narrativen Kern besitzen und damit ein Meinungs-Mainstreaming betreiben.
Schwäche der europäischen Gegenöffentlichkeit
Mit der Frage, wie angesichts einer derartigen Medienmacht eine andere Politik möglich sein kann, rückt als eigentliches Problem schließlich die scheinbare Schwäche der europäischen Gegenöffentlichkeit in den Fokus. Die Literaturwissenschaftlerin Ute Gerhard fragt in diesem Zusammenhang nach der (Un-)Möglichkeit anderer Stimmen im Mediendiskurs und präsentiert fünf Positionen, die einen anderen Blick auf die Dinge zumindest zulassen.
Erstens den ‚aufrechten’ Journalismus eines Harald Schumann. Zweitens eine stärkere Einbindung anderer Politiker anstelle des hinlänglich bekannten Talkshow-Personals. Drittens die Satire, die mit faktischen Darstellung mitunter jene dringend erforderlichen Informationen liefert, die die Polit-Talkshows ihrem Publikum vorenthalten. Viertens unabhängige Internetmedien und Blogs. Fünftens die sozialen Bewegungen.
Andere Stimmen können helfen, beim Blick auf die Lage Europas auch das zweite Auge zu öffnen. Es sieht aber so aus, als müssten die Bürger Europas neue Perspektiven auf Solidarität und Demokratie selber entwickeln.
Anm.d.Red.: Der erste Teil des Beitrags erschien unter dem Titel Blinde Flecken: Warum in der Europakrise die Bevölkerung Griechenlands unsichtbar bleibt. Der Text entstand im Rahmen einer Tagung, die unter dem Titel “Wie ‚einäugig’ ist die deutsche Medienberichterstattung über Griechenland” medien- und kulturwissenschaftliche Beiträge versammelte. Dort wurden all die Stimmen, die der Text zusammenträgt, eingefangen. Ein Ausgangspunkt für die Tagung war der Appell “Für eine faire Berichterstattung über demokratische Entscheidungen in Griechenland”, den die Berliner Gazette in diesem Frühjahr veröffentlichte. Das Foto stammt von Mario Sixtus. Es steht unter einer Creative Commons Lizenz. Mehr zum Thema in unseren Dossiers Europakrise und Medienkritik.
Hallo, danke für den Beitrag! Eine Frage: Die Position von Ute Gerhard – gibt es das ausführlicher online irgendwo? Konnte ich nicht finden.
Liebe Gergana, vielen Dank für Dein Interesse! Die beiden Artikel basieren auf Vorträgen der Dortmunder Tagung “Wie ‘einäugig’ ist die deutsche Medienberichterstattung über Griechenland” (das Programm findest Du hier: http://appell-hellas.de/?p=308). Alle Beiträge sollen im nächsten Heft der “kultuRRevolution. zeitschrift für angewandte diskurstheorie” (http://zeitschrift-kulturrevolution.de/) veröffentlicht werden. Darunter auch der Vortrag von Matthias Thiele und Rainer Vowe, die sich intensiv mit dem Polit-Talkshow-Format befasst haben. Ich teile Deine Einschätzung und denke, dass gerade die Frage nach der “(Un-)Möglichkeit anderer Stimmen” im Mediendiskurs eine der dringendsten ist.