
Demokratische Institutionen im Westen greifen zunehmend zu Repression, um soziale Probleme anzugehen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei Protesten für Klimagerechtigkeit und gegen den Krieg in Gaza. Es wird deutlich, dass demokratische Institutionen entweder nicht willens oder nicht in der Lage sind, Lösungen für die drängenden Krisen zu entwickeln, die unsere Welt erschüttern. Ein Blick zurück in die 1970er Jahre verdeutlicht diese Herausforderung. Wie Michael Hardt jedoch in seinem Beitrag zur Reihe „Pluriverse of Peace“ argumentiert, lassen sich in jüngsten Bewegungen, die radikale Demokratie gefordert und praktiziert haben, Inspirationen für die Umsetzung von Alternativen finden.
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Protestbewegungen wie die gegen den Klimawandel und den Krieg scheinen heute bei den herrschenden Institutionen auf wenig Resonanz zu stoßen. Es ist, als würden die Machthaber*innen einfach nicht zuhören, egal wie laut, zahlreich und engagiert die Protestierenden sind. Diese Proteste sind zweifellos berechtigt und haben bereits einige wichtige Auswirkungen erzielt. Angesichts der mangelnden Reaktionsfähigkeit der Machtstrukturen müssen wir uns jedoch fragen, ob wir neue Praktiken und eine neue Strategie entwickeln müssen, um die Machtstrukturen zu bekämpfen und die sozialen Beziehungen nachhaltig zu verändern.
Ein Wandel der Machtpraktiken in den 1970er Jahren
Bevor ich auf das aktuelle Dilemma eingehe, möchte ich einen Schritt zurücktreten und es als Teil einer langjährigen Situation betrachten. Diese wurde von vielen Aktivist*innen und Theoretiker*innen in den 1970er Jahren als ‚Ende der Mediation‘ bzw. ‚Ende der Vermittlung‘ bezeichnet. Es ist sinnvoll, auf diesen Moment zurückzukommen, da ich glaube, dass die 1970er Jahre insofern den Beginn unserer Ära markieren, als die politischen Probleme, mit denen progressive und revolutionäre Bewegungen damals konfrontiert waren, auch heute noch weitgehend unsere Probleme sind. Ein politisches Problem klar zu benennen, kann ein großer Schritt zur Formulierung einer Lösung sein.
Um zu verstehen, was Aktivist*innen und Theoretiker*innen in den 1970er Jahren mit dem ‚Ende der Vermittlung‘ meinten, muss ich zunächst einige der gängigen Annahmen über die Funktionsweise von Macht und den dominierenden Institutionen in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft überprüfen. Mediation gilt als Hauptmerkmal, durch das herrschende Institutionen antagonistischen sozialen Kräften nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit Zugeständnissen, Kompromissen oder Reformen begegnen. Auf höchster Ebene betreibt der Staat Mediationsmechanismen, um organisierte soziale Unruhen zu unterdrücken. Die Verabschiedung des Voting Rights Act von 1965 in den USA wird beispielsweise als institutionelle Reform angesehen, die auf mächtige Wellen schwarzer Proteste reagierte. Auch Gewerkschaften sollen durch Mediation auf Arbeiter*innenantagonismen reagieren, ebenso wie Universitätsverwaltungen auf studentische Unruhen. Die Mediation moderner liberaler Institutionen schafft nach dieser gängigen Auffassung einen Dialog, wenn auch einen Austausch zwischen dramatisch ungleichen Parteien.
In den 1970er Jahren waren Aktivist*innen verschiedener Bereiche der Ansicht, dass diese Vermittlungsmechanismen nicht mehr funktionierten und die üblichen Taktiken zur Herausfordernung der Macht – wie organisierte Proteste – daher nicht mehr ausreichend wirksam waren. Anti-Kriegs-Organisatoren in den USA gingen beispielsweise davon aus, dass die Regierung ihre Offensive in Südostasien mäßigen müsse, wenn die Proteste groß genug seien und ausreichend breite Unterstützung in der Öffentlichkeit fänden. Doch trotz der wachsenden Größe und Intensität der Proteste bot die Regierung keine Vermittlung an, sondern eskalierte die Kriegsbemühungen im Ausland und verstärkte die Repression im Inland. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Arbeitskämpfe. Während der Streikwelle in der westdeutschen Industrie im Jahr 1973 behauptete Karl-Heinz Roth beispielsweise, dass die Kapitalistenklasse im Gegensatz zu ihrem Vorgehen bei einer ähnlichen Streikwelle einige Jahre zuvor keine Vermittlungsangebote in Form von Lohnerhöhungen machte, um der Arbeiterrebellion entgegenzuwirken. Auch die parlamentarische Politik erlebte in dieser Zeit einen Wandel. Sergio Bologna stellte fest, dass die politischen Parteien nicht mehr, wie in der Nachkriegszeit, versuchten, die Konflikte in der Zivilgesellschaft zu vertreten und zu schlichten.
Aus der Hypothese, dass diese verschiedenen Formen der staatlichen Vermittlung beendet sind oder an Bedeutung verloren haben, ergeben sich zwei zentrale Thesen. Erstens sind die herrschenden Strukturen weniger darauf ausgerichtet, die Zustimmung der Beherrschten zu gewinnen, und greifen daher stärker auf Gewalt und Zwang zurück. Zweitens sind unsere traditionellen Protestpraktiken, die durch öffentliche Appelle, Verhandlungen und Massenmobilisierung Reformen erreichen wollen, möglicherweise nicht mehr so wirksam wie früher.
Klima- und Pro-Palästina-Proteste
Das bringt mich zu unserer aktuellen Situation zurück, denn es ist leicht, etwas wie das ‚Ende der Vermittlung‘ im Zusammenhang mit heutigen Protestbewegungen zu erkennen. Obwohl der Klimaaktivismus seit weit über einem Jahrzehnt in Ländern auf der ganzen Welt an Zahl und Intensität zugenommen hat und ein außerordentlich breites gesellschaftliches Bewusstsein erreicht hat, haben die dominierenden Nationalstaaten und andere Machtinstitutionen – ob unwillig oder unfähig – keine nennenswerten Reformen als Reaktion darauf angeboten. Trotz der lauten und klaren Stimmen von Aktivist*innen auf den Straßen und der besorgten Bevölkerung in der gesamten Gesellschaft scheint es, als würden die Machthaber*innen einfach nicht zuhören oder ‚nicht hören können‘. Vermittlung steht nicht auf der Tagesordnung und ein sinnvolles Programm für einen sozialen Wandel ist nicht in Sicht. Während die Proteste immer größer werden, schreitet die Zerstörung des Planeten immer schneller voran.
Ein ähnliches Szenario zeigt sich bei den Protesten gegen das anhaltende Massaker der Israelis an den Palästinenser*innen im Gazastreifen sowie gegen die militärische und politische Zusammenarbeit anderer Regierungen mit Israel. Es hat sich eine weltweite Bewegung gebildet, um das Massaker zu verurteilen. Doch die Regierungen der USA und Europas – ganz zu schweigen von Israel selbst – haben nicht mit irgendeiner Form der Vermittlung reagiert, sondern nur mit Repression. Die Camps von US-amerikanischen Studierenden im Frühjahr 2024, in denen oft jüdische Studierende eine prominente Rolle spielten, erhielten außerordentliche weltweite Medienaufmerksamkeit. Doch weder die Universitätsverwaltungen noch die nationale Regierung boten einen Dialog oder Vermittlung an, sondern reagierten mit brutaler und anhaltender Repression. Proteste in anderen Ländern gegen das von Israel verübte Gemetzel, insbesondere in Europa, wurden mit unterschiedlicher Härte unterdrückt. Es gab jedoch keine nennenswerten politischen Bemühungen, das Gemetzel zu stoppen oder zu verlangsamen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass ich hier nicht auf eine absolute Verschiebung der Machtverhältnisse oder ein vollständiges ‚Ende der Vermittlung‘ hinweise, sondern eher auf einen Wendepunkt. Einige zeitgenössische Protestbewegungen führen nach wie vor zu bedeutenden Reformen. Ein Beispiel hierfür sind die feministischen Bewegungen, die 2020 zur Legalisierung der Abtreibung in Argentinien geführt haben. Darüber hinaus haben Massenmobilisierungen, selbst wenn sie keine politischen Veränderungen bewirken, andere wichtige Auswirkungen: die Subjektivierung der beteiligten Aktivist*innen, die Schaffung von Gemeinschaft und die politische Bildung der breiten Öffentlichkeit sowie unvorhersehbare Ergebnisse. Dennoch stellt das Ende (oder der Niedergang) der Vermittlung eine deutlich veränderte Situation für politisches Handeln dar, mit der sich die Bewegungen auseinandersetzen müssen.
In den ersten Monaten der zweiten Trump-Regierung scheint sich eine Machtbeziehung ohne Vermittlung zu verallgemeinern: Es gibt keine Verhandlungen oder Kompromisse mit antagonistischen politischen Kräften, keine Bemühungen um die Zustimmung der Gegner – nur Drohungen und Gewalt. Innerhalb der USA geht dieser Wandel mit einer Krise der Verfassungsordnung einher, während er sich auf internationaler Ebene als globales Kriegsregime manifestiert. Dabei werden Mechanismen der Soft Power, der Diplomatie und der Verhandlung über Bord geworfen und die militärische Logik auf ein breites Spektrum wirtschaftlicher, sozialer und politischer Interaktionen ausgeweitet.
Die Frage, die mich hier vor allem beschäftigt, lautet: Wenn es stimmt, dass wir zunehmend mit Machtinstitutionen konfrontiert sind, die keine wirksamen Mechanismen zur Vermittlung bei sozialen Konflikten bieten, wie müssen wir dann unsere politische Strategie ändern?
Der Kampf für eine neue Demokratie
Ein Rückblick auf die progressiven und revolutionären Bewegungen der 1970er Jahre verschafft uns zwar einen neuen Blickwinkel auf unsere politische Situation und lässt uns aktuelle politische Probleme klarer erkennen, liefert aber keine adäquaten Lösungen. Das liegt einerseits daran, dass viele der damals verfolgten Strategien gescheitert sind, andererseits und vor allem aber auch daran, dass sich die Bedingungen unserer heutigen politischen Situation erheblich verändert haben.
Ich behaupte nicht, die Antwort oder eine adäquate Strategie zu haben. Einige allgemeine Leitlinien scheinen mir jedoch klar zu sein. Erstens: Das, was ich hier als ‚Ende der Vermittlung‘ bezeichne, verstößt zwar mit den damit einhergehenden Formen von Autoritarismus und Repression gegen die bisher akzeptierten Normen der liberalen Demokratie, doch kann unsere Strategie nicht einfach darin bestehen, ‚zur Normalität zurückzukehren‘. Diese vermeintlich realistische und vernünftige Strategie nimmt in verschiedenen nationalen Kontexten unterschiedliche, aber korrespondierende Formen an. In den USA kommt sie heute häufig in der Verteidigung der Verfassung, der Unterstützung des Establishments der Demokratischen Partei und dem Wunsch nach einer Wiederherstellung der Führungsrolle der USA in internationalen Angelegenheiten zum Ausdruck. Ein solcher Wunsch nach einer ‚Rückkehr zur Normalität‘ wird jedoch zunehmend unmöglich, da die politischen Kräfte, die ihn zuvor gestützt haben – wie die traditionellen Parteien der Mitte – ihre Wirksamkeit verloren haben oder nicht mehr existieren. Darüber hinaus war diese Version der ‚Normalität‘ selbst ein Problem: ein politisches System, das zwar zu begrenzten Reformen und Vermittlungen fähig war, aber undemokratisch war und zahlreiche hartnäckige soziale Hierarchien aufwies.
Die einzige realistische und vernünftige Option muss heute viel radikaler sein. Ich schlage vor, dass sie sich an den Forderungen und Organisationsformen der sozialen Bewegungen der letzten zwei Jahrzehnte orientiert. Spätestens seit den Platzbewegungen von 2011 bis 2013 – beispielsweise in Tunesien, Ägypten, Spanien, den USA und der Türkei – fordern Bewegungen eine ‚echte Demokratie‘. Diese unterscheidet sich qualitativ von der Version, die von den herrschenden Kräften propagiert wird, und basiert auf der Praxis der Massenbeteiligung an Entscheidungsprozessen durch Versammlungen und andere organisatorische Mechanismen. Darüber hinaus haben Bewegungen die grundlegenden Strukturen der Herrschaft direkt angegriffen. Ein Beispiel ist die Black-Lives-Matter-Bewegung, die sich nicht mit einer Reform der Polizei oder des Strafvollzugs zufrieden gab, sondern letztlich die Abschaffung der weißen Vorherrschaft anstrebte.
Diese Bewegungen liefern natürlich keine fertigen Rezepte und haben alle zahlreiche Hindernisse und Niederlagen erlebt. Sie zeigen jedoch einige mögliche politische Richtungen auf, aus denen sich eine angemessene Strategie entwickeln ließe. Schließlich müssen wir erkennen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Man hat das Gefühl, dass der Blitzkrieg der ersten Monate von Donald Trumps zweiter Amtszeit viele Menschen sowohl in den USA als auch weltweit vorübergehend gelähmt und handlungsunfähig gemacht hat. Und Trump ist nicht allein. Der Aufstieg autoritärer und reaktionärer politischer Kräfte beschleunigt sich überall. Wie ich bereits sagte, können wir nicht einfach alte Formeln wieder hervorholen und sie wiederholen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, eine neue Strategie und neue Organisationsformen zu entwickeln, die der aktuellen Lage angemessen sind. Und doch steht auch fest, dass wir unter Zeitdruck stehen. Dieser Widerspruch ist Teil der Herausforderung, vor der wir stehen.