Die Schnuersenkel-Revolution

Ein Swimmingpool, gefuellt mit morastigem Wasser. Restaurants mit geschlossenen Tueren und zugezogenen Rolllaeden. Ein niedergebrannter Kiosk und Bauelemente, die einen zum Stillstand gekommenen Konstruktionsprozess erahnen lassen. Recht gut erhaltene Einrichtungen wie eine gigantische Rutsche erinnern an bessere Zeiten: an mit Sonnenanbetern gefuellte Minivans und badebegeisterte Familien, die dieses Luxus-Resort einst bevoelkerten. Heute ist Beach Park eine Geistersiedlung. Ausser den Angehoerigen einer Security-Einheit bewegt sich nichts mehr auf dem Gelaende.

Nach Sonnenuntergang machen sich die Wachmaenner auf den Heimweg. Ihre Fahrt dauert nur fuenf Minuten, bis zum Nachbarstrand, wo sich laengst auch viele Staedter niedergelassen haben, um mit Zelten, Holzhuetten und Lehmhaeuschen ein Paradies fuer die internationale Gemeinde der >Schnuersenkel-Touristen< zu errichten. Guenstige Uebernachtungsmoeglichkeiten, Reggae-Bars und bunte Hippie-Restaurants haben sich ebenso wie die gluehend roten Felsen am weissen Strand als Besuchermagneten erwiesen. Auch am spaeten Abend ist der Ort noch quicklebendig und damit nicht zuletzt ein Zeichen dafuer, dass Individual-Tourismus unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist. Ob sich Tony und Maureen Wheeler, die Paten dieser Bewegung, die Wirkung ihres Schaffens vor dreissig Jahren so vorgestellt haben? Kaum anzunehmen. Damals waren sie von einer Australien-Reise zurueckgekommen und mussten ihren Freunden erklaeren, wie sie die Tour de Force entlang unbekannter Asien-Routen fast ohne Geld in der Tasche ueberstanden haben. Sie antworteten mit dem Buch >Across Asia on the Cheap<, erschienen 1973. Anschliessend zogen sie, im Windschatten der Goa-Euphorie, wieder nach Asien. Resultat des zweijaehrigen Aufenthalts war der mittlerweile legendaere Reisefuehrer >South East Asia on a Shoe-String<, geschrieben in einer chinesischen Kaschemme in Singapur. Zum Motor einer Bewegung avancierten diese Buecher erst, als 1980 das Indien-Handbuch zum Bestseller wurde. Lonely Planet, der von den Wheelers gegruendete Verlag, in dem alle Buecher nach wie vor erscheinen, entwickelte sich zur Kultmarke und zum Symptom einer Mittelklasse-Revolution. Waren es bis dato Politiker, Seeleute, Kaufleute und Soldaten gewesen, die die Welt ueber laengere Zeitraeume bereisten, kam nun ein neuer Typus hinzu: Der Weltenbummler - in Gestalt des Durchschnittsbuergers eines Industriestaates, dessen Vorbilder die Aussteiger-Pioniere der Hippie-Aera waren. Der verhaltene Massenexodus bekam eine Eigendynamik, die es muessig erscheinen laesst, zu fragen, ob Lonely Planet zuerst da war oder die Bewegung, die in den 1980ern Suedostasien veraendern sollte. Schliesslich verwuchsen die Autoren, das Objekt ihrer Buecher sowie ihre Leser zu einer Einheit; was sich auch zeigt in den von Lesern angeregten Ueberarbeitungen und Neuauflagen der mittlerweile ueber 400 Titel. Der Eindruck einer kollektiven Autorenschaft staerkte bereits frueh den Community-Gedanken, der Lonely Planet spaetestens nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu einer geheimen Religion der Globalisierung avancieren liess. Wie gross die Bewegung geworden war, zeigte sich, als >The Beach< von Alex Garland Ende der Neunziger zum Bestseller wurde und bald darauf mit Leonardo Di Caprio in der Hauptrolle in die Kinos kam. Der Lonely Planet-Revolution wurde in der Hollywood-Produktion nicht nur gehuldigt, mit hinreissenden Bildern von thailaendischen Buchten und Straenden, sie wurde auch kritisiert: Einer der Charaktere moechte sich angesichts eines von Rucksack-Touristen ueberlaufenen Strands einen der Lonely Planet-Autoren vorknoepfen, um ihn mit der Frage zu konfrontieren, warum in Gottes Namen man einen solchen Ort fucking lonely nennen kann. Waehrend die Protagonisten in >The Beach< die Flucht vor jenen anonymen Massen antreten, die der Erfolg des Filmes noch um ein Vielfaches multiplizieren sollte, prognostizierten Beobachter der Szene ein jaehes Ende der Revolution, ohne allerdings das Phaenomen in seinen Ausmassen wirklich erfasst zu haben. Seit geraumer Zeit ist naemlich nicht mehr nur Asien Dreh-und Angelpunkt der Lonely Planet-Bewegung. Sie ist laengst global geworden, zwischen so disparaten Polen wie Aegypten, Madagaskar und Brasilien, wo sie nicht zuletzt daran beteiligt war, dass der eingangs beschriebene Beach Park derart herunterkam.

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