Die Politik von Zborovi: Räte, direkte Demokratie und das Gespenst der Revolution auf dem Balkan

Erklärung der Student*innenbewegung vom Juni (Auszug). Screenshot mit rotbehandschufter Hand von Colnate Group
Erklärung der Student*innenbewegung vom Juni (Auszug). Screenshot mit rotbehandschufter Hand von Colnate Group

Der Zbor (Zborovi im Plural) ist ein basisdemokratischer Rat, der gegenwärtig eine Renaissance als Modell politischer Partizipation in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens erlebt. Ein anschaulicher Indikator hierfür ist die Aneignung der Zborovi durch die Student*innenbewegung in Serbien, die sich mittlerweile auch auf andere Bereiche der Gesellschaft ausgedehnt hat. Während der autoritäre Präsident Aleksandar Vučić warnt, dass solche Räte den Bolschewismus ins Land bringen werden, wird in staatstreuen Talkshows im Fernsehen diskutiert, ob die wiederbelebten Zborovi Serbien in die Anarchie führen könnten. In einem Interview erkunden Stefan Gužvica und Gal Kirn die Geschichte und das politische Potenzial der Zborovi.

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Magdalena Taube/Krystian Woznicki: Das Rätemodell Zbor wird oft als ein Erbe des sozialistischen Jugoslawiens betrachtet, das von 1945 bis 1992 existierte. Aber es gab es auch schon vorher. In welchen historischen Konstellationen wurden die Zborovi erstmals eingeführt, geprägt und verbreitet?

Gal Kirn: Historisch gesehen war der Zbor-Rat eine politische Institution, die während der feudalen Ära der Habsburgermonarchie auf regionaler Ebene eingesetzt wurde. Manche sehen in den frühen Formen des
‚nationalen Erwachens‘ Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts die erste embryonale Form der politischen Partizipation des Volkes. Am Ende des Ersten Weltkriegs, mit der Auflösung der Habsburgermonarchie, entstand eine politisch artikuliertere Form des Rates. In Ljubljana beschloss der Volksrat im Oktober 1918, sich dem neuen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben anzuschließen. Es gab auch korporatistisch inspirierte, kirchenbezogene politische Ideen und Organisationen, die bestimmte Hierarchien in verschiedenen gesellschaftlichen Einrichtungen festlegten. Diese Organisationen identifizierten sich mit Räten als Repräsentanten eines bestimmten Teils der Gesellschaft. Einige dieser politischen Organisationen wurden in den 1930er Jahren von den Faschist*innen übernommen. Die revolutionärere Geschichte der Räte ist jedoch der Partisanenbewegung und dem antifaschistischen Widerstand zuzuschreiben, der zu einer transformativen Bewegung wurde. In jedem befreiten Gebiet und jeder besetzten Stadt gab es Räte des Befreiungskampfes. Diese Selbstverwaltungsorgane erhielten ihren wichtigsten politischen Ausdruck im AVNOJ (Antifaschistischer Rat des Befreiungskampfes von Jugoslawien). Der AVNOJ kündigte unter anderem die Schaffung eines neuen, föderal organisierten Jugoslawiens im Jahr 1943 an. Dieses neue Jugoslawien sollte sich auf die internationale antifaschistische Solidarität stützen und die Gleichheit aller Nationen und Nationalitäten garantieren. Josip Broz Tito leitete diesen Rat und die gesamte Befreiungsbewegung der Partisanen. Dies war ein doppelter politischer Prozess. Einerseits gab es einen stärker organisierten Prozess unter der Führung von Kommunisten, der ideologische und kommunikative Netzwerke beeinflusste und Kämpfe und Delegationen koordinierte. Auf der anderen Seite gab es einen Emanzipationsprozess in allen Regionen Jugoslawiens. Ab 1943 brachte dieser Prozess die Massen auf die historische Bühne. Die Räte zeigten eine zunehmende politische Autonomie und waren sowohl dem Volk als auch dem AVNOJ gegenüber rechenschaftspflichtig.

Stefan Gužvica: Das Wort Zbor hat eine ziemlich breite Bedeutung, und die beste Übersetzung ist wahrscheinlich Versammlung. Allerdings war damit immer eine breitere Volksversammlung gemeint, und nicht ein Parlament aus gewählten Vertreter*innen. Im Jahr 1804 beschloss beispielsweise die aufstrebende städtische Kaufmannsschicht Serbiens, einen Aufstand gegen den osmanischen Sultan zu beginnen. Daraus entwickelte sich schließlich eine nationale Revolution mit Forderungen nach einem unabhängigen Staat und der Abschaffung des Feudalismus. Diese Entscheidung wurde auf einem Zbor, einer Versammlung, in einem Dorf in Zentralserbien getroffen, an der zahlreiche bekannte Persönlichkeiten der Region teilnahmen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen der organisierten Arbeiter*innenschaft, wurde der Begriff Zbor zu einem Begriff für Demonstrationen. Ein Zbor wurde zu einer Versammlung von wirtschaftlich (und manchmal auch politisch) organisierten Arbeiter*innen, die sich zu einem bestimmten Zweck oder zu einer allgemeinen Machtdemonstration an wichtigen sozialistischen Feiertagen wie dem 1. Mai versammelten. Im sozialistischen Jugoslawien bezeichnete der Begriff Zbor nach der Revolution von 1945 zunächst ein Aufsichtsgremium der lokalen Regierung – im Grunde ein ideales öffentliches Forum, in dem die Regierung ihre Aktivitäten vorstellte und von der Bevölkerung kontrolliert wurde. Mit den Verfassungen von 1963 und 1974 bezog sich der Begriff dann ausdrücklich auch auf wirtschaftliche Versammlungen innerhalb eines bestimmten Arbeitsplatzes.

MT/KW: Wie funktionierten die Zborovi vor dem sozialistischen Jugoslawien? Wo und wie wurden sie durchgeführt? Welche Bedeutung hatte der Zborovi damals für gesellschaftliche Prozesse?

Stefan Gužvica: Was die Geschichte betrifft, so ist es meiner Meinung nach wichtig, die Verschiebung der Organisation von gemeinsamen wirtschaftlichen Einheiten zu gemeinsamen geografischen Gemeinschaften festzustellen. In den letzten 150 Jahren war ein Zbor zum Beispiel eine populäre Arbeiter*innendemonstration, und im sozialistischen Jugoslawien war es eine Arbeiter*innenversammlung in einer Fabrik. Bevor der Marxismus zur bestimmenden Ideologie der Emanzipation wurde, übernahmen serbische Populisten, inspiriert vom russischen ‚narodnichestvo‘, die ‚zadruga‘ – im Wesentlichen die Dorfgemeinde – als Grundlage für die politische Organisation. Ich stehe dieser Verlagerung von der Arbeitsplatz- zur Lokalpolitik skeptisch gegenüber. Ich glaube, dass Formen kollektiven politischen Handelns, die sich an den unmittelbaren materiellen Bedingungen der Menschen orientieren, viel wahrscheinlicher erfolgreich sind als solche, die sich an der Geografie orientieren.

Gal Kirn: Ich möchte noch hinzufügen, dass viele frühe Arbeiter*innenorganisationen von den Sowjets und der Selbstorganisation inspiriert waren. Als die kommunistischen Organisationen illegal wurden, konnte man die Organisation von Parteizellen und größeren Netzwerken als eine Art engen, geschlossenen Rat betrachten. Aufgrund ihrer Illegalität verbreiteten sich diese Organisationen in den 1930er Jahren jedoch nicht sehr weit, abgesehen von zeitweiligen Streikaktionen, die gegen Ende des Jahrzehnts aktiver und radikaler wurden.

MT/KW: Die ‚Vereinigte Militante Arbeiterorganisation‘ (Združena borbena organizacija rada), kurz Zbor, wurde 1935 in Belgrad gegründet. Sie entstand aus dem Zusammenschluss von drei faschistischen Bewegungen: Jugoslawische Aktion, die ‚Kämpfer*innen‘ aus Ljubljana und Buđenje aus Petrovgrad. An der Spitze der faschistischen Partei stand der Politiker Dimitrije Ljotić. Der Name der Partei deutet darauf hin, dass die Faschist*innen versuchten, sich die Zborovi anzueignen und sie für ihre Zwecke zu nutzen. Zu dieser Zeit gab es in Bosnien und Herzegowina (BiH) auch eine faschistische Zeitung namens Zbor. Wie kam es zu der versuchten faschistischen Aneignung, und welche Konflikte entstanden für und um die Praxis der Zborovi während der Kämpfe gegen den Faschismus auf dem Balkan?

Stefan Gužvica: Es ist wichtig, von Anfang an ausdrücklich zu sagen, dass die heutigen Zborovi nichts mit dem Zbor von Dimitrije Ljotić zu tun haben. Ljotić wählte den Namen höchstwahrscheinlich, um das Gefühl einer organischen Gemeinschaft zu erwecken, und hatte keine weitergehenden Ambitionen, sich mit bestehenden radikaldemokratischen Traditionen zu identifizieren oder sie sich wieder anzueignen, was er entschieden ablehnte. Während des Zweiten Weltkriegs bedeutete Zbor wiederum lediglich Demonstration, obwohl es sich speziell auf große antifaschistische Demonstrationen bezog, die von Kommunist*innen in den von jugoslawischen Partisanen befreiten Gebieten organisiert wurden. Diese Demonstrationen waren in erster Linie öffentlicher Ausdruck des antifaschistischen Engagements und ein Statement gegen die ethnische Gewalt, die von den Faschist*innen in der Region, insbesondere in multiethnischen Gebieten, ausgeübt wurde.

Von der sozialistischen Selbstverwaltung zur Privatisierung

MT/KW: Wie lässt sich die Entwicklung der Zborovi von einem proto-modernistischen Mechanismus der direkten Demokratie hin zur sozialistischen Selbstverwaltung, z. B. in den Genossenschaften in Jugoslawien, beschreiben?

Gal Kirn: Ich würde behaupten, dass die direkte Demokratie der Zborov-Räte das beste Beispiel für partizipative Politik und kollektive Organisation in Kriegszeiten war. Aber auch damals ist die direkte Demokratie nicht einfach vom Himmel gefallen oder willkürlich entstanden. Es gab politische Entscheidungen, die von höheren politischen Räten (wie dem AVNOJ) getroffen wurden, und politische Ideen, die eine Einheitsfront oder andere Formen des antifaschistischen Widerstands widerspiegelten, die zu Volksentscheidungen und Diskussionen führten. Es ist vielleicht eine Ironie des Schicksals, dass in Jugoslawien eines der ersten Gesetze zur Einführung einer neuen Form der Arbeiter*innenselbstverwaltung und des als gesellschaftlichen Gut konzipierten Eigentums nach dem Bruch mit Josef Stalin in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg per Dekret von oben erlassen wurde. Netzwerke von Selbstverwaltungsräten und die allerersten Betriebsräte wurden zunächst in fünfzig größeren Unternehmen erprobt und erst später vergesellschaftet und auf den Wohnungsbau, die Kultur, das Bildungswesen und das Gesundheitswesen ausgedehnt. Dies wirkte sich auf die Wirtschaftsführung aus, da die Menschen, insbesondere die Arbeitnehmer, mehr Mitspracherecht bei der Verteilung der Haushaltsmittel, bei Investitionen usw. erhielten. Zweifellos mussten viele Entscheidungen über das Delegierungssystem getroffen werden, da viele strategische Entscheidungen immer noch von der republikanischen und föderalen kommunistischen Elite getroffen wurden.

MT/KW: Wie veränderten sich die Zborovi in Bezug auf ihre politischen, sozialen und wirtschaftlichen Funktionen im sozialistischen Jugoslawien?

Gal Kirn: Sie dehnten sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche aus und lösten viele Diskussionen aus, die auch zu einer Übersättigung führten. Die Erwartung, dass ein Mensch Arbeiter*in, Elternteil, Sportler*in, kulturell und politisch aktiv sein sollte, erforderte ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Zeit, die viele nicht hatten oder nicht aufbringen konnten. Deshalb delegierten viele Menschen gerne Entscheidungen an Expert*innen, Technokrat*innen oder lokale Parteibürokrat*innen.

MT/KW: Welche Rolle spielten die Zborovi in der multiethnischen Verfassung des sozialistischen Jugoslawiens? Oder wie haben die Zborovi die multiethnische gesellschaftliche Realität widergespiegelt und unterstützt?

Gal Kirn: Sie waren Ausdruck des multiethnischen und föderalen Modells, das die Idee förderte, dass andere als ethnische und nationale Zugehörigkeiten wichtiger sind und dass der demokratische Sozialismus über die strengen Richtlinien der Partei hinausgehen sollte. So wurde beispielsweise die Teilnahme an Kultur und Sport als wichtiger angesehen als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Ebenso wurde die Identität von Arbeiter*innen als wichtiger erachtet als die nationale Zugehörigkeit. Diesem Modell stand jedoch die tief verwurzelte republikanische Organisation im Bereich der ‚nationalen Kultur‘ gegenüber, während die nationale Zugehörigkeit mit den Marktreformen in den 1960er Jahren Hand in Hand ging. Durch diese Reformen wurden regionale Ungleichheiten wieder eingeführt und bestimmte Teile der Föderation unterentwickelt. Im Allgemeinen waren die Politik und das Engagement der Arbeiter*innen, Bürger*innen und später der Interessengruppen anders und offener strukturiert als heute, wo die Politik zu einer Sphäre der Öffentlichkeitsarbeit und der Expert*innen geworden ist.

MT/KW: Was geschah mit der Praxis der Zborovi nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens 1992, und wie veränderte sie sich während der ‚Jugoslawien-Kriege‘, einer Reihe von separaten, aber miteinander verbundenen ‚ethnischen Konflikten‘, ‚Unabhängigkeitskriegen‘ und Aufständen, die von 1991 bis 2001 stattfanden?

Gal Kirn: Mehr oder weniger wurde alles, von der Selbstverwaltung bis zur direkten Demokratie, vergessen oder ausgerottet und in ein veraltetes System verbannt. Um effizient zu sein, sollten wir nicht durch unnötige Diskussionen behindert werden. Es herrschte Klassenkompetenz vor.

MT/KW: Was geschah mit der Zborovi-Praxis nach den Kriegen während der kapitalistischen Schocktherapie und der Privatisierung?

Gal Kirn: Wenn die Kriege der Praxis der Zborovi nicht ein Ende gesetzt haben, dann waren es die Schocktherapien. Einige lokale Verwaltungsebenen und Republiken nutzten jedoch weiterhin Mechanismen wie Volksabstimmungen als eine Form der direkten Demokratie. In Slowenien zum Beispiel wurde dies als Erbe des Sozialismus angesehen. Interessanterweise wurde es jedoch vor allem von der katholischen Kirche und dem rechten Flügel genutzt, um die politischen Rechte von Minderheiten zu beschneiden. Im Bereich der politischen Ökonomie hatten die Zborovi jedoch keine Auswirkungen, außer in einigen wenigen Fällen, in denen sich die Arbeiter*innen nach Konkursen und Privatisierungen wehrten, wie in Tuzla und Remedija.

Wiederaufleben von Versammlungen im 21. Jahrhundert

MT/KW: Wie sind die heutigen Zborovi entstanden?

Stefan Gužvica: Ich sehe die heutigen direktdemokratischen Versammlungen eher im Zusammenhang mit den globalen antipolitischen Bewegungen nach 1968 als mit dem sozialistischen Erbe Jugoslawiens. Die ersten größeren Ausbrüche dieser Organisationsmethoden begannen in den 2000er Jahren an den Universitäten und sind eher ein Echo der Antipolitik nach 1968, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ganz Europa Wurzeln schlug, als irgendwelche lokalen Traditionen. Zbor ist im Wesentlichen die Idee eines studentischen Plenums, das auf die breitere Gesellschaft angewendet wird – die Idee der direkten Demokratie als Lösung für die Probleme der repräsentativen parlamentarischen Demokratie im Kapitalismus. Im Kontext der Student*innenbewegung boten die Plena eine Alternative zum studentischen Parlamentarismus, der eher als Ausbildungsstätte für junge Parteikader denn als repräsentative Student*innenschaft angesehen wird. Deshalb begannen Student*innenblockaden ab der zweiten Hälfte der 2000er Jahre immer mit Plena als Alternative, um diese Defizite zu beheben.

Gal Kirn: Ja, es gab tatsächlich Plena und Zborovi in Zagreb sowie Protestbewegungen gegen die Privatisierung. Diese Bewegungen gab es auch in Bosnien und Herzegowina. Es gab verschiedene Formen des Aufbegehrens gegen Neoliberalismus, Korruption und ethnische Trennung – eine Art regressiver Identitätspolitik, die seit der Zerstörung Jugoslawiens und des Sozialismus durchgesetzt wurde. Slowenien und Serbien sind mit ihren eigenen historischen Beispielen für verschiedene Aufstände und Formen von Räten bekannt, die auch von politischen Parteien übernommen wurden. Neue sozialistische und linke politische Kräfte haben sich mit unterschiedlichem Erfolg entwickelt.

MT/KW: Die Zborovi sind in den Gesetzen von Balkanländern wie Serbien als Instrumente der lokalen Selbstverwaltung verankert. Wie ist das politische Potenzial dieses Rechtsrahmens zu beurteilen?

Gal Kirn: Einige Rechtsvorschriften und Gesetze aus der sozialistischen Zeit bleiben neben dem Neoliberalismus in Kraft. Die politische Elite entscheidet, welchen Aspekten sie Rechnung tragen will. Sie ändern bestimmte Dinge und lassen den Rest in Ruhe. Deshalb bin ich eher skeptisch, was das politische Potenzial solcher Gesetze angeht. Allerdings bin ich mit dem serbischen Übergang in dieser Hinsicht nicht vertraut.

Stefan Gužvica: Ich glaube, in den meisten ehemals sozialistischen Ländern sind die einzigen Dinge, die noch funktionieren, die Überbleibsel der Infrastruktur, die während der sozialistischen Ära aufgebaut wurden – die Infrastruktur, das Wohnungs- und das Gesundheitssystem. Manchmal haben sich auch Rechtsformen aufgrund von Trägheit gehalten.

Das Gesetz über die lokale Selbstverwaltung definierte Zborovi als eine einmalige Zusammenkunft der Mitglieder einer lokalen Gemeinschaft zu einem bestimmten Zweck. Zborovi gab es auch im sozialistischen Jugoslawien, aber sie waren nicht annähernd so wichtig wie beispielsweise die Selbstverwaltung der Arbeitnehmer in den Betrieben. Daher wurden die Zborovi als eine unaufdringliche und harmlose Form der vorübergehenden Organisation von unten nach oben betrachtet. Ehrlich gesagt vermute ich, dass diese Argumentation der Wahrheit sehr nahe kam. Als die Student*innen die Idee der Zborovi aufgriffen, betonten sie ausdrücklich, dass diese Form der Organisation legal ist und bereits im Rahmen des Gesetzes existiert. Die Polizeigewalt, die in diesen Tagen gegen Student*innen und Demonstrant*innen ausgeübt wird, ist natürlich ebenfalls völlig legal. Daher sollte die Frage nicht lauten, wie man im Rahmen des Gesetzes arbeiten kann, sondern ob eine solche Taktik überhaupt sinnvoll ist. Im weiteren Sinne geht es um die Frage, ob der Zweck des Rechtssystems darin besteht, Veränderungen innerhalb des Systems zu erleichtern oder den Status quo aufrechtzuerhalten. Ich glaube, Sozialwissenschaftler haben noch kein Rechtssystem entdeckt, das Ersteres tut.

Die Praxis der Zborovi ist als Ausdruck des direktdemokratischen Impulses wieder aufgetaucht, der häufig bei Student*innenprotesten zu beobachten ist und eine reflexartige Reaktion auf die Enttäuschung über die Mainstream-Politik darstellt, während gleichzeitig versucht wird, innerhalb der gegenwärtigen sozialen und politischen Realitäten zu bleiben. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawien wurde dies bereits mehrfach versucht, aber diese Versammlungen wurden früher Plena genannt, ein Begriff, der von den Universitätsblockaden übernommen wurde. Es gibt bereits einen Präzedenzfall für Plena auf dem Balkan, und es ist klar, dass es ihnen nicht gelungen ist, zu dauerhaften Institutionen in irgendeiner Gesellschaft zu werden. Im jüngsten und militantesten Fall sozialer Revolte im ehemaligen Jugoslawien, den bosnischen Protesten von 2014, haben die Plena mehr zur Auflösung der Proteste beigetragen als alles andere.

MT/KW: Die Zborovi als politische Form scheint nicht auszureichen, um den Status quo zu verändern. Könntetihr auf die Zunahme sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Bewegungen auf dem Balkan eingehen, wie etwa in Kroatien, Bosnien, Slowenien und Serbien, um dieses Manko näher zu fassen?

Stefan Gužvica: Diese Bewegungen sind Teil der breiteren internationalen Versuche der Linken, sich im Zuge des Neoliberalismus und des Zusammenbruchs traditioneller Institutionen und Organisationsformen neu zu organisieren. Als jemand, der einst von ihnen begeistert war, kann ich wohl mit Sicherheit sagen, dass sie alle kläglich gescheitert sind, einschließlich Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Syriza und Podemos sowie deren Ableger auf dem Balkan. Selbst wenn sie sich deklarativ gegen die etablierte repräsentative Politik wandten, waren soziale Bewegungen dann am erfolgreichsten, wenn sie sich in typische postmoderne politische Parteien verwandelten, die auf Fokusgruppen und Wahlkampf basierten, wie die Možemo in Kroatien oder die bereits erwähnte Podemos. Natürlich lässt sich darüber streiten, inwieweit das Ergebnis erfolgreich oder links war, was die daraus resultierende Politik betrifft. Sicher ist, dass es keiner großen politischen Bewegung weltweit gelungen ist, mit dem Neoliberalismus, geschweige denn mit dem Kapitalismus, zu brechen. Die großen sozialen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts waren das Ergebnis sorgfältiger, langfristiger Organisierungsarbeit an den Arbeitsplätzen der Menschen. Diese Organisierung hatte eine direkte Auswirkung auf das tägliche Leben der Menschen, etwas, das die in lokalen Gemeinschaften verwurzelte Politik nicht geschafft hat. Umgekehrt sind heute selbst gemäßigte Bewegungen, die den Neoliberalismus, nicht aber den Kapitalismus abschaffen wollen, zum Scheitern verurteilt, da ihnen der Einfluss fehlt, den sie bei der Schaffung des keynesianischen Wohlfahrtsstaates hatten. Die deutsche SPD (oder KPD) aus der Zeit vor 1933 ist vielleicht das deutlichste Beispiel dafür, wenn man sie mit der heutigen Politik vergleicht, die keine Massenorganisation hat. Die großen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen des 20. Jahrhunderts wurden nicht durch parlamentarische Parteien oder demokratische Mechanismen herbeigeführt, sondern vielmehr durch die sehr reale Drohung mit physischer Gewalt gegen die herrschende Klasse, wenn die Forderungen der Arbeiter*innen nicht erfüllt wurden. Weder die Zborovi noch irgendeine andere zeitgenössische Form der politischen Organisierung, die nach 1968 erfunden wurde, ist in der Lage, dieses Blatt zu wenden.

Politik der direkten Demokratie in der Student*innenbewegung

MT/KW: In der wachsenden Student*innenbewegung in Serbien seit November 2024, die die gesamte Bevölkerung erfasst hat, sind Zborovi nicht nur ein technisches Werkzeug, sondern auch eine ideologische Stütze. Das Handbuch für Plena ermutigt Student*innen, Zborovi als ‚Plena für Bürger*innen‘ zu organisieren und bietet Schulungen an. Infolgedessen sind Plena in der gesamten serbischen Gesellschaft populär geworden, unter anderem bei Lehrern, Eltern von Schulkindern, öffentlichen Bibliotheken, Universitätsprofessoren und lokalen Gemeinschaften. Die Student*innen haben all diese Gruppen ermutigt, direkte Demokratie zu praktizieren, entweder durch Zborovi vor einem Rathaus oder durch eine informelle Viber-Gruppe. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Gal Kirn: Für mich ist dies einer der inspirierendsten Fälle, in denen ein politisches Gremium – diejenigen, die unter kapitalistischen Bedingungen in einem bestimmten Nationalstaat mit einem hohen Grad an Korruption studieren – in der Lage war, weit über den ‚korporatistischen‘ Teil hinaus zu mobilisieren und sich zu organisieren und verschiedene Gruppen von Jugendlichen, älteren Menschen und alle von Ihnen genannten Gruppen anzuziehen. Vielleicht hat die Tatsache, dass sie nicht sofort in die offizielle Politik eingestiegen sind und nur minimale politische Forderungen hatten – eine Art Barthleby-Moment – vielen Menschen den Weg geöffnet, ihre Angst vor nationalistischen Schlägern zu verlieren und sich ganz in den politischen Prozess zu stürzen. Sie fanden Freude daran, Menschen zu treffen und mit ihnen zu sprechen, anstatt individuelle Wege zu gehen, sich ausschließlich auf ihre Karriere zu konzentrieren und das Land zu verlassen. Es gibt viele Beispiele für politischen Mut und Räte, die sich als eine Möglichkeit präsentieren, Gedanken und Aktionen zu organisieren. Auch wenn manche Diskussionen banal erscheinen, so sind sie doch wichtig. Diese Diskussionen sind Teil der politischen Erfahrung des Austauschs und der unabhängigen Schritte in den politischen Raum.

Stefan Gužvica: Die zunehmende Politisierung der serbischen Gesellschaft ist sicherlich ein positiver Schritt. Den Menschen ist bewusster geworden, wie die verschiedenen Institutionen funktionieren, wie dies ihr tägliches Leben beeinflusst und warum dieses Verständnis wichtig ist. Die politisch fortschrittlichsten Mitglieder der Gesellschaft verstehen, dass institutionelles Versagen ein Merkmal, kein Fehler, einer kapitalistischen Gesellschaft an der Peripherie ist. Sie verstehen auch, dass kosmetische Veränderungen wie Neuwahlen nicht die tiefgreifenden Funktionsstörungen lösen werden, die durch die Funktionsweise des Kapitalismus und des Profitmotivs und nicht durch die individuellen Fehler von Politiker*innen verursacht werden. Soziale Medien sind nicht in erster Linie ein Instrument der Demokratie, sondern in erster Linie ein Instrument des Marketings und der Überwachung. Die Fülle an Informationen in den sozialen Medien kann jede politische Bewegung behindern, und die großen Geheimdienste haben enge Verbindungen zu Unternehmen wie Meta, Rakuten Viber und Telegram. Wer einen sozialen Wandel anstrebt, sollte lieber Bücher lesen, als sich an Gruppenchats zu beteiligen. Die Online-Kommunikation über ernsthafte politische Themen sollte ein letzter Ausweg sein.

MT/KW: In Bezug auf die Student*innenbewegung stellt die Journalistin Suzana Ignjatović fest, dass es unklar ist, ob die Zborovi eine Korrektur der repräsentativen Demokratie oder eine revolutionäre Methode zum Aufbau einer Gesellschaft der direkten Demokratie sind. Sie vermutet, dass die jüngsten Spaltungen in der Student*innenbewegung mit der Rolle der direkten Demokratie und insbesondere der Zborovi in ihrem Kampf zusammenhängen. Wie stehen Sie zu der Frage, ob die Zborovi eine Korrektur der repräsentativen Demokratie oder eine revolutionäre Methode für den Aufbau einer direktdemokratischen Gesellschaft sind?

Gal Kirn: Man kann auch diejenigen in der Zivilgesellschaft und in der Opposition einbeziehen, die das politische Regime verändern wollen. Auch hier gibt es ein paar Spaltungen. Ich sehe ein Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen, wenn die Student*innenbewegung und ihre Ableger ihren autonomen Ansatz beibehalten, nicht zu einer weiteren liberalen politischen Partei werden und politische Forderungen formulieren, die auf die Ursachen von Korruption, neoliberaler Privatisierung und dem nationalistischen Politikmodell abzielen. Spaltungen sind nicht notwendigerweise schlecht; sie sind Teil einer antagonistischen Politik, die darauf abzielt, die Welt zu verändern, indem sie die bestehenden Verhältnisse und Themen durchbricht. Sie sind auch Teil des Prozesses, ‚das Volk‘ zu werden. Lassen Sie also nicht zu, dass Alexander Vučić und andere wie er dieses Wort oder diesen Slogan in den Mund nehmen. Lasst es stattdessen in Räten, Streiks und Protesten auftauchen.

Stefan Gužvica: Die Zborovi haben sich als viel effektiver erwiesen, wenn es darum geht, konkrete studentische Forderungen durchzusetzen, die im bestehenden parlamentarisch-demokratischen Rahmen unbehandelt geblieben wären. Zu diesen Forderungen gehört die strukturelle Unfähigkeit der serbischen Fortschrittspartei, aufgrund von Wahlmanipulation und staatlicher Vereinnahmung eine Wahl zu verlieren. Ich denke jedoch, dass die Debatte über direkte oder repräsentative Demokratie grundsätzlich am Thema vorbeigeht, denn der zentrale gesellschaftliche Konflikt besteht nicht zwischen ‚dem Volk‚ und ‚den Politiker*innen‘, sondern zwischen Kapital und Arbeit. Der größte Teil des politischen Diskurses des letzten halben Jahrhunderts hat diese grundlegende Tatsache außer Acht gelassen und damit zugelassen, dass das Kapital immer mächtiger wurde, während die Arbeit immer schwächer wurde. Das grundlegende Hindernis für die menschliche Emanzipation ist das kapitalistische Wirtschaftssystem als Ganzes, nicht die Fehlfunktion eines politischen Systems, das unter dieses System fällt. Daher ist die Frage der direkten Demokratie bestenfalls eine organisatorische Frage. Doch selbst dort sind die Ergebnisse der direkten Demokratie nicht gerade glänzend, wie jeder bestätigen kann, der schon einmal an einer linken Versammlung teilgenommen hat, die sich zu sehr auf das Verfahren konzentriert hat.

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