Mapping-Macht für Umweltgerechtigkeit nutzen? Die Politik des Zooms in der globalen Waldüberwachung

Startseite von Global Forest Watch (Screenshot vom 13.6.2025).
Startseite von Global Forest Watch (Screenshot vom 13.6.2025).

Um ein planetarisches Bewusstsein zu entwickeln, müssen wir unter anderem den Anthropozentrismus überwinden. Das gilt auch für Diskussionen über Überwachungstechnologien, die meistens außer Acht lassen, dass diese Technologien auch in mehr-als-menschlichen Lebensräumen zum Einsatz kommen, beispielsweise in der Wildtierforschung und Atmosphärenüberwachung. In ihrem Beitrag konzentrieren sich Lynda Olman und Birgit Schneider auf das Mapping von Wäldern. Sie dekonstruieren die Metapher des Zooms und diskutieren die Möglichkeit, Kartografietechnologien zu nutzen, ohne die zugrunde liegenden Machtstrukturen zu perpetuieren.

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Ein nicaraguanischer Bauer geht auf seine Felder, um die Bäume zu überprüfen, die er im Rahmen eines Emissionshandelsprogramms gepflanzt hat. Dort steht ein Europäer mit einem Smartphone in der Hand mitten auf seiner Plantage. Der Mann aus Europa spricht nicht genug Spanisch, um den Bauern um Erlaubnis zu bitten, sein Land zu betreten. Er hat einfach eine App verwendet, die von dem Emissionszertifikateprogramm seines Arbeitgebers bereitgestellt wird, auf Google Earth basiert und ihm die Navigation mit dem Mietwagen zur Plantage ermöglicht hat. Wenn er berichtet, dass die Bäume nicht so gut wachsen wie erwartet, werden die Zahlungen des Bauern aus dem Emissionszertifikateprogramm gekürzt. Das hätte zur Folge, dass der Bauer die Bäume fällen und Mais anbauen müsste, um seine Familie zu ernähren.

Dies ist eine wahre Geschichte, die uns eine Kollegin erzählt hat, die in Nicaragua im Bereich Nachhaltigkeit und Landwirtschaft arbeitet. Sie veranschaulicht mehrere Probleme, von denen die meisten nicht leicht zu lösen sind. Wir können jedoch einen Teil der Geschichte beleuchten: die interaktive, webbasierte Plattform zur Visualisierung von Wäldern. Diese gab dem Europäer das Gefühl, das Grundstück des Bauern betreten zu dürfen, seine Forstwirtschaft bewerten zu können und somit dessen Lebensgrundlage zu beeinträchtigen. Doch selbst dieser kleine Aspekt des Problems, die technologische Plattform, ist kompliziert: Im Umkreis von 100 Kilometern um diese Plantage nutzen indigene Aktivist*innen eine sehr ähnliche Visualisierungsplattform, um ihre Wälder vor illegalem Holzeinschlag zu schützen.

Unsere Frage lautet daher: Ist es möglich, diese Plattformen so zu nutzen, dass das erste Szenario vermieden und das zweite gefördert wird? Nach der Untersuchung der ersten Waldvisualisierungsplattform Global Forest Watch (GFW) und der Veröffentlichung der Ergebnisse unserer Analyse in unserem frei zugänglichen Buch „Global Forest Visualization: From Green Marbles to Storyworlds“ (Routledge, 2024) glauben wir, dass die Antwort ‚Ja‘ lautet. Im Folgenden fassen wir unsere Argumentation für die BG-Leser*innen kurz zusammen.

„Forest monitoring designed for action“

Global Forest Watch (GFW) ist eine vom World Resource Institute (WRI) betriebene Online-Plattform, die offene Daten zum Zustand der Waldlandschaften auf globaler Ebene bereitstellt. Ihr Ziel ist „forest monitoring designed for action“. GFW wurde 1997 als Forest Frontiers Initiative des WRI gegründet. Die Initiative veröffentlichte Waldatlanten von Ländern wie Kamerun, der Republik Kongo und Gabun, „um Maßnahmen der Regierung und der Zivilgesellschaft für eine effektive und gerechte Landnutzung in diesen Ländern zu unterstützen“. Der statische Atlas wurde 2011 dynamisch und interaktiv, als das neue Online-Tool auf der Google Earth Engine eingeführt wurde.

Eine Mercator-Weltkarte mit Europa im Zentrum dient als Startseite für die Kartenfunktion von GFW (siehe Bild oben). Über das Navigations-Dashboard können Nutzer*innen aktuelle Informationen zu Waldverlusten und -gewinnen, Schutzgebieten, Waldbränden, mit Waldveränderungen zusammenhängenden Rohstoffen und den Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder, wie z. B. Kohlenstoffverluste, abrufen. Ausgehend von der Basiskarte können Nutzer*innen mithilfe des Zoom-Tools von Google Earth Engine die Veränderungsmuster in den Wäldern, die sie besonders interessieren, genauer untersuchen und die Wechselwirkungen dieser Muster mit geopolitischen Gebieten, wie beispielsweise Bergbaukonzessionen oder Nationalparks, betrachten.

Kontinuierliches Zoomen – ein Schein

Ausgehend von den Disziplinen Medienökologie und Rhetorik betrachten wir Zoom-Tools, wie das zentrale Tool von GFW, als Teil eines Prozesses, der als „Glokalisierung“ bezeichnet wird und das gleichzeitige Zusammenspiel lokaler und globaler Prozesse beschreibt. GFW erzeugt durch sein scheinbar kontinuierliches Zoom-Tool einen einzigartigen, vollständig skalierbaren Raum und liefert eine ästhetisch kontrollierbare, totalisierende Darstellung des Globus. Das ‚Zoomen‘ verbindet jedoch globale und lokale Maßstäbe nicht physisch oder wörtlich, sondern über eine aus der Kinematografie entlehnte Metapher. Denken Sie beispielsweise an den berühmten Film „Powers of Ten“ des Ehepaars Charles und Ray Eames. Aus einer Montage statischer Bilder wird die Illusion erzeugt, aus den Zellen einer Hand heraus in unseren Kosmos zu zoomen. Ebenso enthält keine einzelne Satellitenkarte oder Ansicht alle Informationen, die GFW auf jeder Ebene bzw. in jedem Schritt des Zoomvorgangs liefert. Vielmehr werden in jedem Schritt mehrere Karten aus verschiedenen Quellen interpoliert, wobei die Daten kontinuierlich neu verarbeitet werden, um die relative Pixelgröße der thematischen Karten an die Basiskarte anzupassen (siehe Abbildung unten).

Zoom-Schritte von ‚Zoom 2.0‘ (am weitesten entfernt) bis ‚Zoom 19‘ (am nächsten) in die Karte von Global Forest Watch zur Harzregion in Deutschland, die aufgrund von Trockenheit und Borkenkäfern Fichtenmonokulturen verloren hat. Graue Flächen markieren den Waldverlust (Screenshot: 13.6.2025).
Zoom-Schritte von ‚Zoom 2.0‘ (am weitesten entfernt) bis ‚Zoom 19‘ (am nächsten) in die Karte von Global Forest Watch zur Harzregion in Deutschland, die aufgrund von Trockenheit und Borkenkäfern Fichtenmonokulturen verloren hat. Graue Flächen markieren den Waldverlust (Screenshot: 13.6.2025).

Dennoch hält sich die Metapher des kosmischen Zooms in Visualisierungsplattformen im Zusammenhang mit Google Earth hartnäckig – und ihre Persistenz hat politische Konsequenzen. Wie Zachary Horton, Bruno Latour und andere argumentiert haben, erliegen wir, wenn wir das Zoom-Tool in einer Plattform wie GFW verwenden, zwei politischen Illusionen: Erstens, dass alle Wälder als holografische Ausschnitte eines ‚globalen Waldes‘ funktional austauschbar sind und zweitens, dass wir diese Wälder (die sich in der Regel im Globalen Süden befinden) von einem Computerbildschirm (der sich in der Regel im Globalen Norden befindet) aus kontrollieren können. Leon Gurevitch hat dieses Prinzip als „Google Warming“ bezeichnet. Das ist die Politik des Zooms in der Waldbewirtschaftung.

Ein Beispiel für die Umsetzung der Zoom-Politik in der Praxis ist die gemeinnützige Organisation Taking Root. Diese verkauft Unternehmen Emissionszertifikate, die von einem Netzwerk von Baumzüchtern in den Tropen, vor allem in Südostasien sowie Mittel- und Südamerika, erzeugt werden. Die Kundenunternehmen nutzen die von der Organisation bereitgestellten Visualisierungstools, um die von ihnen ‚gekauften‘ Parzellen zu vergrößern und den Fortschritt der Bäume und Bäuer*innen zu überprüfen. Ein Beispiel hierfür ist der oben vorgestellte Fall aus Nicaragua oder das Bild unten.

„Erreichen Sie Ihre Baum- und CO₂-Ziele, indem Sie die Leistung von Landwirten und Parzellen im Laufe der Zeit verfolgen“. Das Unternehmen Taking Root mit Sitz in Vancouver, Kanada, ermöglicht es seinen Partner*innen, den Fortschritt ihrer finanzierten Wiederaufforstungsprojekte über Satellitenkarten zu überwachen (Screenshot: November 2017).
„Erreichen Sie Ihre Baum- und CO₂-Ziele, indem Sie die Leistung von Landwirten und Parzellen im Laufe der Zeit verfolgen“. Das Unternehmen Taking Root mit Sitz in Vancouver, Kanada, ermöglicht es seinen Partner*innen, den Fortschritt ihrer finanzierten Wiederaufforstungsprojekte über Satellitenkarten zu überwachen (Screenshot: Nov. 2017).

Ein weiteres Beispiel ist die räuberische ‚Bioprospektion‘ von pharmazeutischen Wirkstoffen in den indigenen Wäldern Brasiliens durch die Pharmaindustrie. Begründet wird dies damit, dass diese Wirkstoffe, die beispielsweise für die Behandlung von Krebs eingesetzt werden, zum ‚globalen Gemeingut‘ gehören und nicht einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Teilweise durch eine Politik des Zooms legitimiert, dringen Pharmaunternehmen in indigene Gebiete ein und entnehmen ohne Erlaubnis Waldprodukte.

Stärkung der Waldhüter*innen

Gleichzeitig setzen indigene Aktivist*innen und NGOs in Wäldern auf der ganzen Welt erfolgreich Plattformen wie GFW ein, um Wilderer und illegale Holzfäller zu stoppen und Waldbrände zu bekämpfen, durch die Wildtiere und alte Baumbestände gefährdet werden. Die nahezu in Echtzeit bereitgestellten Warnmeldungen aus der PLANET-Datenebene in GFW ermöglichen es Waldhüter*innen, schwer zugängliche Gebiete aus einer Entfernung zu überwachen, die sie vor Vergeltungsmaßnahmen schützt. Anschließend können sie die Strafverfolgungsbehörden hinzuziehen oder selbst Ermittlungen anstellen, wenn dies sicher ist.

Dies haben wir in Interviews mit Personen erfahren, die an der Entwicklung von GFW beteiligt waren, sowie mit Power-User*innen aus Peru, Kamerun, Indonesien und Georgien. In unserem Buch beschreiben wir dies ausführlich. Mithilfe von Think-Aloud-Protokollen haben wir außerdem beobachtet, wie Nutzer*innen die Plattform für ihren Schutz der Wälder einsetzen. So konnten wir miterleben, wie Aktivist*innen die Zoom-Politik umgingen und nutzten, um ihre Ziele im Bereich der Umweltgerechtigkeit zu erreichen. Nach der Analyse unserer Daten sind wir zu den folgenden praktischen Empfehlungen für Entwickler*innen und Nutzer*innen von Systemen wie GFW gekommen. Diese Empfehlungen richten sich an alle, die die Möglichkeiten globaler Überwachungsplattformen nutzen möchten, ohne die Zoom-Politik in ihren heimischen Wäldern zu reproduzieren.

Die Macht globaler Überwachungsplattformen

Zunächst empfehlen wir Nutzer*innen globaler Umweltüberwachungsplattformen, sich bewusst zu machen, dass Satellitenbilder von Wäldern (und anderen Ökosystemen) standardmäßig transnationale, neokoloniale Lösungen für die Waldbewirtschaftung fördern. Dies kann durch die aktive Einbeziehung anderer Ansichten ausgeglichen werden. Wir empfehlen ihnen daher, einerseits auf die Souveränität der Daten zu achten und andererseits sicherzustellen, dass alle Visualisierungen ihrer heimischen Wälder ihre Sicht der Dinge widerspiegeln. Hierzu können sie Gegenkarten, Storymaps und andere multimediale Darstellungsformen nutzen. In unserem Buch haben wir einige beeindruckende Beispiele für solche ‚Storyworlds‘ von Wäldern zusammengestellt, darunter die Projekte Environmental Justice Atlas, Forensic Architecture und Ciclos Tíquie.

Wir empfehlen Entwickler*innen von Plattformen für die globale Umweltüberwachung unter anderem, Schutzmaßnahmen für den Datenschutz ihrer Kund*innen zu integrieren, die Einstellungen für die Datenfreigabe transparent und flexibel zu gestalten sowie die Integration von Drohnen-, GPS- und Kameradaten in Handheld-/Feldkartierungs-Apps zu berücksichtigen.

Zudem sollten sie sich generell auf die Entwicklung mobiler Anwendungen konzentrieren und das Drucken und Exportieren von Karten, Videos und GIS-Daten in verschiedenen Formaten (einschließlich eines speziellen Graustufenmodus, der den Schwarz-Weiß-Druck unterstützt) vereinfachen.

In der Umweltvisualisierung lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen. Wir können nicht zu einem Zeitpunkt zurückgehen, zu dem unsere heimischen Wälder und Ökosysteme noch nicht als Teil eines globalen Regimes betrachtet wurden. Ebenso wenig können wir die koloniale Geschichte der Kartografie ungeschehen machen, durch die transnationale Unternehmen und Organisationen glauben, sie könnten in Ökosysteme auf der anderen Seite der Welt eingreifen. Wir sind jedoch der Meinung, dass Hersteller*innen und Nutzer*innen von Umweltvisualisierungstools ein kritisches Bewusstsein für ihre Beteiligung an der Politik des Zooms entwickeln können. Dies könnte zu einer gerechteren Anwendung dieser Tools führen.

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