Das konkreteste Abstraktum in meiner Jugend war das Lebensgefuehl. Als klassischer Vertreter einer Zwischengeneration zwischen 68 und Atari spielten fuer uns Anti-AKW, Punk und New Romantic ebenso eine Rolle wie eine wachsende Skepsis gegenueber jeglichen Heilsversprechen. Bhagwan und Helmut Kohl hatten eines gemeinsam: Man glaubte ihnen nicht. David Bowie war da sehr viel zuverlaessiger in seinen staendig wechselnden Rollen, ebenso Kunststuermer wie Andy Warhol oder Joseph Beuys.
Das Thema Bowie ging ueberall auf der Welt, bis heute, Musik ueberhaupt, ein bisschen Hollywood vielleicht, Bier und andere weiche Drogen natuerlich. Voellig unwichtig war die aktuelle Politik. Man erwartete nichts. Es war halt immer nur Kohl. Naturgemaess gewannen mit der Volljaehrigkeit Job-Themen an Wichtigkeit, aber auch die Frage der Wehrdienstver- weigerns. Damals gab es noch eine Gewissenspruefung, die viele junge Maenner unendlich belastet hat. Darueber wurde viel geredet, auch international. Spannend war zu sehen, dass junge Israelis oder junge Schweizer dazu ganz andere Haltungen hatten. Die durften das auch, die hatten keinen Fuehrer im Gepaeck.
Wir fuehlten uns sehr sozial damals, weil wir Anstecknadeln mit Che Guevara trugen [vielleicht war es auch Bob Marley] oder die Weisagung der Cree-Indianer […letzter Fisch gefangen…] auf unsere Ente geklebt hatten. Das Soziale war eine modische Attituede, aber nur die wenigsten von uns haben sich konsequent fuer ein Leben entschieden, dass der Erkenntnis folgte. Ein Schulkamerad ist Moench geworden; zur 10-jaehrigen Abifeier kam er in Kutte. Wir dachten, der will uns veraeppeln. Aber er meinte es ernst.
Ich habe damals bestimmt ein paar zotige Bemerkungen gemacht, aber in Wirklichkeit hatte ich einen riesigen Respekt vor ihm. Er war nach unserem Massstaeben arm, weil er kein Auto hatte, keine Stereoanlage, kein Ausverkaufs-Sakko von Paul Smith. Aber er hatte sich. Darauf haben wir nicht so richtig vertraut. Statussymbole erschienen mir und vielen anderen doch deutlich zuverlaessiger als das eigene Ich.
Der Egozentrismus ist etwas sehr Gemeinsames meiner Generation. Daher finde ich es auch immer wieder putzig, dass man ausgerechnet Politikern vorwirft, sie wuerden sich die Diaeten erhoehen oder in teuren Dienstwagen durch die Gegend sausen oder von Buffet zu Buffet robben. Egomanen nennen Egomanen Egomanen. Ich habe einen Heidenrespekt vor Leuten, die in die Politik gehen, bei allen Deformationen, die diese Menschen mit sich herumschleppen oder aber kuenftig erleiden. Wer will denn soviele Bekloppte wie uns freiwillig rumkommandieren ohne effektive Machtmittel? Ein Chef kann feuern oder Gehaelter erhoehen, ein Trainer stellt auf oder wechselt aus, ein erboster Vater verhaengt Hausarrest oder schliesst die Playstation weg und ein gelangweilter Jugendlicher kloppt.
Was aber kann ein Poltiker machen? Er muss ueberzeugen, Mehrheiten zusammenbekommen, sich ueberall vergleichsweise vorbildlich benehmen, sich von jedem Deppen vollschwallen lassen, zugleich ist alles oeffentlich, was er tut und jeder Kinkerlitz wird zur Schweinerei hochgesungen. Das Schimpfen auf Politiker ist haeufig nicht viel mehr als das Entladen von Selbsthass. Unser Gemeinsames besteht in der Bereitschaft, sich uebereinander zu erregen und mithin ueber uns selbst. Die hysterische Gesellschaft, die ist Konsens.
Was ist das Gemeinsame? Doch immer kollektive Erlebnisse, von denen die tragischen deutlich tiefer wurzeln. Die Nazi-Diktatur und der zweite Weltkrieg wirken bis heute tiefer als der Mauerfall. Die kollektive Gemeinsamkeitsgesellschaft, dem Guten und Schoenen eintraechtig zugewandt, die gibt es nur in den Kinderbuechern der DDR.