Wer redet denn heute noch vom Wetter in England? Ich! Denn Manchester ist dafuer ein selten gefundenes Fressen, auch wenn ich den Aussagen der Mancunians anfangs nicht ueber den Weg getraut habe: >Hier regnet es immmmmer!< Das sagen die in Bremen auch und alles, was dahinter steckt, ist als Beschwerde getarnter, fast platzender Lokalstolz, dass man eben nur als Einheimischer in dieser rauen Gegend ueberleben kann, die, wenn man dort wirklich wohnt, ueberhaupt nicht so rau ist. Immer! Pah! Das mag vielleicht den spanischen Erasmus-Studenten so vorkommen und natuerlich den Mancs, aber doch nicht mir.
Mittlerweile habe ich jedoch festgestellt, dass an dieser Aeusserung erheblich viel dran ist und der latent spiessige Regenschirmknirps musste nach einiger Ueberwindung zu meinem taeglichen Begleiter werden, denn in der Tat: Murphys Gesetz existiert hier schlichtweg nicht – es kann jederzeit und immer und ganz ploetzlich losbrechen, auch wenn der Knirps in der Tasche ist und deswegen ist er da auch immer. Mittlerweile hat das Wetter sich in meiner Vorstellung schon personifiziert und ich betrachte es als eine launische, feuerrothaarige Dame mittleren Alters mit Hang zur Theatralik und dramatischen Abgaengen.
Das Verhalten dieser Dame hat uebrigens ganz einfache Gruende: die Wolken zischen von der irischen See her ueber Liverpool hinweg, belaestigen diese Stadt nur mit ein paar kurzen, lachhaften Schauern, um dann weiter gen Osten voranzuschreiten und vom angeblichen >Gebirge<, bei genauerer Hinsicht wohl eher eine englische Huegellandschaft namens Pennines, aufgehalten zu werden, die genau hinter Manchester liegen, mit dem Ergebnis, dass der Himmel ueber der Stadt hauptsaechlich aus stets bedrohlichen, aufgestauten Wolkentuermen besteht.
Hinzu kommt der Wind der irischen See, der, von den Pennines aufgehalten, auch nicht mehr weiss, wo er noch hin soll und daher lieber im Affenzahn um die Strassenecken flitzt und das gleichzeitige Tragen von offenen Haaren und Lipgloss in dieser Stadt unmoeglich macht, waehrend unterm Regen die Wimperntusche zerlaeuft. Um wenigsten letzteres zu verhindern, folgt mein Griff zum Knirps.
Wenn man jedoch dauerhaft in dieser Stadt leben will, reicht dieses Fliegengewicht unter den Regenschirmen nicht mehr aus, da der erwaehnte Wind die Ruhe unter meinem Schirmdach truebt, urploetzlich die Richtung wechselt, den Knirps umklappt und danach emsig in die gewaehlte Richtung blaest. Das letzte Mal ist mir dies direkt vor den Riesenfenstern der Uni-Mensa passiert, vor denen ich mit dem Knirps wie ein ueberfordertes Frauchen mit ihrem zu willensstarken Hund an der Leine herumkaempfe.
Ich habe ihn am Griff, er mich im Griff, waehrend ich vergeblich probiere, ihn in die andere Windrichtung zu halten, damit er sich wieder in seine natuerliche Form zurueckschwingt. Dabei lache ich gestellt, um dem zuschauenden, englischen, grinsenden Mensa-Publikum meinen Humor und mich als Herr der Lage zu beweisen. Und siehe da, der Knirps klappt sich auch ganz bald und natuerlich ganz ploetzlich um, so dass eine Schirmrandplastikspitze zielsicher in mein noch lachendes Auge schiesst. Der Killerschirm schlechthin.
Seitdem ist er schrott und soll es auch bleiben, laufe lieber mit meiner ungefaehrlichen Kapuze rum und verstehe immer besser, warum alle entweder nur Jacke tragen oder die teuren, durchsichtigen Mary-Poppins-foermigen Regenschirme kaufen, ueber die ich anfangs lachte – diese Maeaeaedchenschirme – die sich aber wie eine durchsichtige Kuppel ueber den halben Oberkoerper stuelpen, umklappsicher. Darunter entdecke ich im Uebrigen hauptsaechlich Asiatinnen, was ich mir allerdings noch immer nicht erklaeren kann. Warten wirs ab.
Herr und Knecht, das alte Thema, ich habe es noch nie in den Zusammenhang des Wetters gestellt gesehen und so auf den Kopf, dass der eigentliche Knecht ( hier: Knirps) den Herren (hier: die Autorin) im Griff. Das wirklich Erstaunliche an dieser Gleichung ist aber: Man diese Beziehung nicht ohne die “launische, feuerrothaarige Dame mittleren Alters mit Hang zur Theatralik und dramatischen Abgaengen” denken. Herr und Knecht und Gott? Sokrates hilf!