Der neue David Fincher Film “The Social Network” fange den Zeitgeist und das Lebensgefühl einer Generation ein, heißt es allenthalben. Doch so schön der Film gemacht ist, der positive Trip hat einen bitteren Nachgeschmack. Denn am Ende wissen wir: Kapitalismus ist unsterblich. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki kommentiert.
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Wer Mark Zuckerberg vor dem Film suspekt fand, wird ihn jetzt mögen. Oder zumindest sympathisch finden. Wem Facebook vorher als Eintagsfliege galt, weiß nun, dass hier ein bedeutendes Kapitel der Gegenwartsgeschichte geschrieben wird: Selbst in der übelsten Phase des Kapitalismus kann sich ein Märchen ereignen, das vom jüngsten Milliardär der Welt erzählt.
Das Kino war schon immer am Puls der Zeit. Als es erfunden wurde, wollte man damit die Umwälzungen in der Stadt- und Industriegesellschaft reflektieren. Der Dokumentarfilm und der Spielfilm erprobten unterschiedliche Realitätsmodelle und unterschiedliche Möglichkeiten auf die Gegenwart Bezug zu nehmen. David Finchers The Social Network wirft in dieser Hinsicht etliche Fragen auf. Ich komme gleich darauf zurück.
Kapitalismus und Kino
Wovon der Film handelt, muss an dieser Stelle wohl kaum erzählt werden. Die Geschichte von Facebook ist den meisten Menschen, die die Berliner Gazette lesen, spätestens seit dem Facebook-Day bekannt: Ein gerade mal 20 Jähriger baut eine exklusive Online-Community für die schicken Campus-Kids von Harvard. Bald sind auch andere Unis infiziert. Zuckerberg, der Programmierer und Motor dieses Netzwerks, ist von Konkurrenten, Neidern und Bewunderern umgeben, erstere machen ihm später juristisch die Hölle heiß.
All das passiert während der Kapitalismus zu Beginn dieses Jahrhunderts in eine seiner tiefsten Krise stürzt: Während das Ende dieser Wirtschaftsform an die Wand gemalt wird, lässt sich Facebook Zeit für ein Wachstum ohne Business-Modell, um sich selbst (als Geschäft) zu finden; während es dann an den Finanzmärkten weltweit richtig kracht, wächst das soziale Netzwerk von Freunden mit Millionen von NutzerInnen zu einem social empire und macht aus Zuckerberg den jüngsten Milliardär der Welt.
Ist der Film nun eine Dokumentation der Zuckerberg-Saga im Format des Spielfilms? Oder ist er ein Spielfilm, der mit den Effekten des Dokumentarfilms größtmögliche Authentizität erzielt? Wurde jemals zuvor ein vergleichbar affirmativer Film über ein aufstrebendes Wirtschaftsimperium gemacht? Was gewinnt der Film in ästhetischer Hinsicht durch diese Nähe, durch diese Affirmation – abgesehen davon, dass er als größter Werbeclip aller Zeiten in die Geschichte eingehen wird?
Ein Liebesfilm über den Kapitalismus
Für mich bleibt es am frappierendsten, wie glorifizierend hier ein US-Unternehmen portraitiert wird (selbst das Firmenlogo verschmilzt mit dem Filmtitel-Logo) und wie hier die Saga vom schnellen Geld erneut erzählt wird, nachdem der Zusammenbruch der Märkte die Sinnlosigkeit dieses ständigen Speed-High vor Augen geführt hat und ebenso sinnlos scheinende Kriege um Öl und wirtschaftliche Macht angezettelt worden sind. Und wie Fincher es fertig bringt in seinem Film nichts von dieser Kehrseite sichtbar zu machen – geschweige denn irgend eine Kehrseite dieser Geschichte.
Ist all dies Absicht, weil der Regisseur damit den Autismus der Facebook-Welt aufzeigen möchte? Selbst wenn der Autismus als strukturelles Prinzip dieser Welt die Gefühlslage und damit auch die Motivation des Helden strukturiert – der Film erzählt nur vordergründig von den Konsequenzen: unerfüllte Liebe. Auf einer tieferen Ebene ist dieses Motiv der Stellvertreter für ein Unternehmertum, das Liebeskummer braucht, um seine Potenz und sein Genie zu entfalten. Deshalb lautet die hässliche Botschaft dieses in wunderschönen Bildern erzählten Films: Nicht in erster Linie die Liebe, sondern der Kapitalismus ist unsterblich.
Hallelujah!
Habe den Film noch nicht gesehen, aber lässt er sich tatsächlich auf diese Aussage reduzieren. Führt er nicht auch vor Augen, wie sehr sich die Menschen nach sozialen Kontakten und Bindungen sehnen, eben weil wir im HighSpeed-Kapitalismus leben?
@Magdalena: “Punk, Genie, Verräter, Milliardär” heißt es auf den Postern über die Zuckerberg-Figur. Der Film wäre nicht in dieser Größe, nicht in dieser Wucht entstanden, wenn es nur hätte heißen können: “Punk, Genie, Verräter”.
Der unternehmerische Erfolg ist das stärkste Motiv, nicht zuletzt, weil es das Alleinstellungsmerkmal der Geschichte ist. Interessant ist, wie dieses Motiv verwoben ist mit dem sozialen Ding, dass Du ansprichst.
Das Scheitern des Sozialen (Zuckerbergs persönliche Geschichte) und der Erfolg des Sozialen (Zuckerbergs professionelle Geschichte) — das sind die beiden Seiten des kapitalistischen Dramas.
Ich hörte neulich jemanden sagen, das in der Aufzählung “Punk, Genie, Verräter, Milliardär” nur noch “Jude” fehle – das war so als Witz gemeint, ich wusste nicht, ob ich drüber lachen sollte.
@Lehmann: und ich hörte jemanden fragen, wieviel vom Zuckerberg-Skeptizismus latenter Antisemitismus ist?
Die Vorbehalte gegenüber Zuckerberg sind zunächst einmal identisch mit den Vorbehalten gegenüber Facebook, was es damit auf sich hat, steht in Ansätzen in meinem Facebook-Day-Artikel:
( http://berlinergazette.de/am-31-mai-ist-facebook-day )
Was der Film schafft, ist diese Figur total faszinierend darzustellen, was eine Leistung Finchers ist, aber auch des Schauspieler, der für meine Begriffe wahrhaft virtuos performt.
Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung hat darüber nachgedacht, wie die Film-Figur die reale Figur und ihren Mythos überschreibt; aber ich glaube eher, dass hier eine Verschmelzung stattfindet, der eine win-win-Situation zu Grunde liegt.