Ich wurde 1967 in Dresden geboren. Meine Mutter war Bulgarin und mein Vater Ungar. Beide waren Stipendiaten und haben an der TU in Dresden studiert. Mein Vater lebte seit elf Jahren in Dresden, meine Mutter seit neun. Sie haben sich hier kennen gelernt und schliesslich 1963 im Rathaus Pankow geheiratet. Da mein Vater kein Bulgarisch sprach und meine Mutter kein Wort Ungarisch, ist die deutsche Sprache die Sprache ihrer Liebe gewesen und wurde auch zu unserer Familiensprache. Als ich geboren wurde, kamen meine Grosseltern aus Sofia nach Dresden um zu helfen. Sie wohnten zwei Jahre lang in einer kleinen Wohnung im gleichen Haus. Hier war die Windelwaescherei und hier wurde der Brei fuer mich gekocht. Mit meinen Eltern sprach ich Deutsch, mit meinen Grosseltern Bulgarisch. Als ich zweieinhalb wurde fiel die Entscheidung, nach Budapest zu ziehen. Obwohl ich Ungarin war, sprach ich bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort Ungarisch.
Inzwischen hatte meine Mutter auch Ungarisch gelernt und wir sprachen selbst zu Hause immer weniger Deutsch. Meine Eltern bemerkten, dass ich die deutsche Sprache sehr schnell verlernen wuerde, wenn sie sich nicht kuemmerten. So kam es, dass ich jeden Fruehling nach Dresden zu Freunden geschickt wurde und im Sommer fuer drei bis vier Wochen zu Freunden nach Fulda oder in die Naehe von Stuttgart. Es dauerte immer ein paar Tage, aber dann fuehlte ich mich sicherer und sprach wieder problemlos Deutsch.
Als ich 1989 zum Studieren nach Berlin kam, war ich der festen Ueberzeugung, dass ich gut Deutsch sprach. Nach meiner ersten Vorlesung an der FU bekam ich einen Heulkrampf. Ich war endlos verzweifelt. Ich habe kaum etwas verstanden; die wissenschaftliche und empirische Ausdrucksweise und Formulierungen waren mir absolut fremd. Es war eine interessante aber auch schwere Phase – eine Sprache, in der ich mich im Alltag problemlos verstaendigen konnte, erneut zu lernen und zu erweitern. Ich bemerkte auch, dass meine Ausdruecke etwas altmodisch waren bzw. ich viele moderne Woerter oder Redewendungen nicht kannte oder nicht benutzte. Ich sprach wie ein 19 Jahre altes >Fossil<. Bewusst habe ich mir Serien angeschaut und bin extrem viel ins Kino gegangen. Ich denke, dass Filme oder selbst die bloedeste Nachmittagsserie in dieser Beziehung sehr viel helfen koennen. Eines Tages traeumte ich auch Deutsch. Ich kann mich daran sehr gut erinnern. Ich habe eigentlich bewusst auf diesen Tag gewartet. Ich wusste, wenn ich irgendwann auf Deutsch traeume, dann bin ich endlich hier angekommen. Ich habe viele Freunde, die ungarische Eltern haben und hier aufgewachsen sind oder aus Ungarn hierher gezogen sind. Sie sprechen also beide Sprachen taeglich und gut. Ein Mischmasch dieser Sprachen, also so etwas wie >Denglisch< gibt es auch mit Deutsch und Ungarisch. Nennen wir es Deugarisch oder Ungtsch. Wir verwenden oft die Woerter, die uns schneller einfallen - egal ob es ungarische oder deutsche Woerter sind. Das mag hier in einem Umfeld, wo jeder beide Sprachen spricht, kein Problem sein; man bemerkt es im Dialog kaum. Ein Satz wie >Felakasztom a Waesche-met< [>Ich haenge meine Waesche auf<, wobei das deutsche Wort >Waesche< wie das ungarische >Vese< [Nieren] klingt und der Satz eine besondere Komik hat, denn eigentlich sagen wir: Ich haenge meine Nieren auf. Also so ein Satz ist hier, in meinem Deugarischen Umfeld kein Problem. Doch wenn ich diesen Satz dann in Budapest sage, versteht mein Vater zum Beispiel nur noch Bahnhof. Dieses Gleichgewicht kann man leicht verlieren und nur schwer wiedergewinnen. Mann muss die Sprachen immer ein wenig bewusster sprechen, als wenn man im Leben immer nur eine einzige Sprache verwendet. Ich spreche taeglich Deutsch, Ungarisch und Englisch. Mein Freund kommt aus North Carolina; wir sprechen also zu Hause immer Englisch. Mit meinem Vater in Budapest telefoniere ich taeglich. Auch mit meiner Schwester sprechen wir Ungarisch, obwohl auch sie bereits seit 1990 in Deutschland lebt. Ich versuche in meiner Arbeit, in meinen Texten bewusst die anderen Sprachen einfliessen zu lassen. Manchmal, wenn ich eine ungarische Redewendung wortwoertlich uebersetze, ernte ich damit mehr Verstaendnis oder Lacher, als haette ich die original deutsche Redewendung benutzt. Manchmal hilft mir die ungarische Sprache, etwas auf Deutsch genau auf den Punkt zu bringen. Wenn wir Kinder haben, werden sie bestimmt mindestens dreisprachig aufwachsen. Ein grosser Schritt in der Evolution der Beherrschung einer Sprache ist fuer mich die Faehigkeit, in einer fremden Sprache witzig zu sein, also Wortspiele zu entdecken oder zu erfinden. Obwohl ich in Ungarn als eine witzige Person mit Schwerpunkt Wortspiele galt, war ich hier in Berlin in den ersten Jahren ploetzlich staubtrocken. Das hat mich wirklich gestoert. Aber auch umgekehrt: Ich habe mehrere Jahren gebraucht um die Komik hier zu entdecken, den deutschen Witz zu verstehen und darueber wirklich lachen zu koennen. Darunter habe ich wirklich gelitten, nachdem ich nach Berlin gezogen bin. Aber auch daraus koennen gute Sachen entstehen. So landete ich damals durch Zufall auf einer Dinnerparty, von der ich wusste, dass es etwas mit einem Film zu tun hatte. Ich sass neben einem blonden Typen, mit dem ich mich unterhalten habe. Er war wirklich witzig, und es war das erste Mal, dass ich seit meinem Umzug so viel lachte. Nach zwei Glaesern Wein sagte ich dann zu ihm: >Du bist der erste Deutsche, den ich kennen lerne, der Humor hat!< Daraufhin fingen an alle um mich herum an zu lachen. Sie lachten ueber mich. Sie haben mich direkt ausgelacht. Ich habe es zuerst nicht verstanden warum, bis mir jemand zu Hilfe kam: Das ist doch Otto, der Komiker; wusstest du das nicht? Es war der Anfang einer langjaehrigen Freundschaft mit ihm, denn ich traf [endlich] einen Deutschen der witzig war und er jemanden, der ihn nicht kannte und ihn mochte und aus ganzem Herzen mitlachen konnte. Fuer mich gibt es zwei Gruppen von Migranten: Leute aus dem Ausland, die sich nicht wirklich wohl fuehlen und immer das Gefuehl haben, ein Dorn im Auge der Deutschen zu sein; und dann die Anderen, die versuchen, die Gewohnheiten, die Umstaende, die kulturellen Hintergruende zu verstehen und sich mit dem [ganzem] Herzen integrieren. Ich meine damit, problemlos die Sprache zu lernen und sie auch zu benutzen, die staendige Neugierde nach der Stadt, in der man lebt und das Kennenlernen von Leuten, die hier leben, Anekdoten, Geschichten. Also eine emotionale Integration. Meine Schwester war einige Jahre lang mit einem brasilianischen Musiker zusammen. Er wachte jeden Tag schlecht gelaunt auf. Es kam ihm vor, als wuerde jeder auf ihn zeigen und sagen: Aha, ein Auslaender! Er war Tag und Nacht unzufrieden und ungluecklich. Und obwohl er musikalischen Erfolg hatte, hat er es nie zugelassen, dass er hier wirklich ein Zuhause findet. Irgendwann ist er auch wieder nach Brasilien zurueck. Ich habe mich nie wirklich als Auslaenderin gefuehlt, obwohl ich mich immer als Ungarin gesehen habe. Ich versuchte dadurch mehr zu werden und nicht weniger.