Der Aufschrei war gross, als US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor etwas mehr als einem Jahr fuer die deutsch-franzoesischen Bedenken gegen einen Militaereinsatz im Irak nur Spott uebrig hatte. Er sagte, er sehe in Deutschland und Frankreich das >alte Europa< und fuegte hinzu: >Deutschland ist ein Problem, Frankreich ist ein Problem. Aber wenn sie sich die riesige Zahl anderer Laender ansehen, so sind sie auf der Seite der USA und nicht Frankreichs und Deutschlands.<
Luc Bondy, Intendant der Wiener Festwochen, war einer der vielen europaeischen Intellektuellen, die es sich nicht nehmen liessen, darauf zu reagieren. Bondy sagte: >Wenn Herr Rumsfeld nun veraechtlich sagt, das friedenssuechtige Europa sei eben >das alte Europa<, dann ehrt uns dies. Wenn das alte Europa, das den Krieg gekannt hat, nun die Vernunft und die Raison besitzt, den Krieg nicht mehr zu wollen, dann bin ich fuer dieses alte Europa, das das neue Europa ist.< Die grosse Kluft, die seit geraumer Zeit zwischen Europa und den USA zu Tage tritt, hat nicht zuletzt befluegelnd auf ein sich neu formendes europaeisches Selbstbewusstsein gewirkt. Man weiss, was man nicht will: Bush, Berlusconi, Haider, etc. Bei dieser sich ex negativo formenden Identitaet, kann der Nobelpreis als gemeinsamer Nenner bezeichnet werden. Der seit mehr als 100 Jahren in der Regel vom norwegischen Koenig in Oslo verliehene, teils jedoch auch vom schwedischen Koenig in Stockholm ueberreichte Preis, steht schliesslich fuer ein Sendungsbewusstsein, das im Zeichen von Humanismus und Aufklaerung steht und einer geistigen Kultur, die im Zuge der europaeischen Expansion weltweit Verbreitung gefunden hat. So global und universal dieser >europaeische< Kanon anmutet - mit der Verleihung des Friedensnobelpreises vergewissert sich das >alte Europa< jedes Jahr seiner Urspruenge, die bereits einige hundert Jahre vor Christus [im Gegensatz zum damaligen >neuen Europa<] mit Werten wie Frieden assoziiert worden sind. Man versteht jedoch auch im gemeinsamen Haus Zeichen zu setzen: Etwa mit der Verleihung des Nobelpreises fuer Literatur an ein enfant terrible wie Dario Fo, ein Schauspieler und Theatermensch, der in seinem Land erbittert gegen die Berlusconi-Regierung ankaempft. Damit scheint klar, wofuer der Nobelpreis steht. In der Serie des Sueddeutsche Zeitung Magazins >Kinder fragen, Nobelpreistraeger antworten< sind elementare Fragen gestellt [>Warum gibt es Krieg?<, >Warum kennt ein Indianer keinen Schmerz?<, >Warum gibt es Jungen und Maedchen?<] - und beantwort worden. Doch eine entscheidende Frage nicht: Wer oder was ist eigentlich Nobel? Als ich ein Kind war, dachte ich nicht, dass sich dahinter ein Mensch verbirgt. Der Nobelpreis hiess in meinen Augen so, weil er grossmuetigen, edel gesinnten und nicht zuletzt menschlich vornehmen Individuen verliehen wurde: Nobel. Irgendwann erfuhr ich, dass dem nicht so war. Und erst neulich wurde mir durch die Mutter meiner Freundin zugetragen, dass Nobel mehr als nur der Gruender dieses wichtigen Preises war. Sie hatte seine Biografie gelesen und konnte ihre Faszination nicht fuer sich behalten: Alfred Nobel war ein schwedischer Chemiker und Industrieller, der am 21.10.1833 in Stockholm geboren wurde und am 10.12.1896 in San Remo starb. Sein grosser Beitrag zur Geschichte war nicht die Erfindung des Nobelpreises - dies konnte er ohnehin erst aus dem Grab heraus bewirken. Nein, seinen grossen Beitrag leistete er noch waehrend seiner Lebenszeit: Als Nobel 34 war, erfand er das Dynamit, 8 Jahre spaeter entwickelte er Sprenggelatine und wiederum 12 Jahre danach rauchschwaches Pulver. Aufgrund seiner Erfindungen und Patente entstanden Sprengstofffabriken in vielen Industrielaendern, so in Deutschland 1865 die Firma Alfred Nobel & Co., die heutige Dynamit Nobel AG. Nobel war also ein geradezu vorbildlicher Unternehmer, der ein Imperium geschaffen hat, das bis heute nicht aufgehoert hat zu wachsen. Dass sein Name heute mit der geistigen Kultur von Europa synonym ist, scheint im leisen Widerspruch zu den eigentlichen Leistungen des Alfred Nobel zu stehen. Oekonomie wird schliesslich nicht nur hierzulande als Feind von Geist, Kultur und Bildung angesehen. Von der Oekonomisierung aller Lebensbereiche ist die Rede - Wissenschaft und Forschung inklusive. Die Debatte um Studiengebuehren ist nur ein Symptom: Waehrend die einen das Heraufdaemmern einer elitaeren Gesellschaft an die Wand malen und damit die Polarisierung der sozialen Matrix a la USA, fordern Opinion Leaders wie Juergen Kluge, der Chef von McKinsey Deutschland, die rasche Amerikanisierung der hiesigen Verhaeltnisse. Damit nach der >japanischen Dekade< in den 1980ern, nach der >US-amerikanischen Dekade< in den 1990ern, jetzt die >europaeische Dekade< anbrechen kann. Auch hier scheinen sich die Geister ueber die Identitaet von Europa in zwei antagonistische Lager zu scheiden. Und Nobel scheint wie kein anderer dazu geeignet zu sein, die dieser Situation zu Grunde liegenden Gemeinplaetze zur Diskussion zu stellen. Wie kein anderer scheint er - im Kontrast zu einer Identitaetsbestimmung ex negativo - eine positive Definition dessen zu provozieren, was Europa ausmacht. Ja, was Europa sich auf seine Transparente schreiben muss, um die universale Strahlkraft der USA zu ueberbieten und somit den Traum einer europaeischen [sprich: friedlicheren] Dekade wahr zu machen.