Robotisierung ist in der Automobilindustrie am weitesten fortgeschritten. Doch die Produktion ist bei weitem kein vollautomatisierter Prozess. Menschliche Hände und Hirne werden nach wie vor gebraucht und üblicherweise dort rekrutiert, wo Arbeitskraft “billig” ist, etwa in Bulgarien. Die Architektin Ina Valkanova hat in einer Farbik geforscht, die errichtet wurde, um ein einziges Autoteil herzuerstellen: Rücklichter. Sie berichtet von einem spannungsgeladenen und zerbrechlichem Ort, an dem technologische Visionen auf die Realität der Arbeiter*innen treffen.
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In seiner letzten großen Ausstellung “Countryside: The Future” hat Rem Koolhas seine Aufmerksamkeit von den städtischen Zentren auf die ländlichen Landschaften gelenkt. Darin beschreibt er ländliche Gebiete, die durch den technologischen Fortschritt und groß angelegte Infrastrukturprojekte und Automatisierung umgestaltet wurden. In ähnlicher Weise zeigt Liam Young in “Machine Landscapes” einen sich schnell ausbreitenden sozial-räumlichen Zustand, in dem sich menschenleere, von Robotern bewohnte Territorien mit jedem Winkel der Welt verbunden sind. Beide Arbeiten zeigen Realitäten, die von nicht-menschlichen Akteuren regiert werden: Rechenzentren, Internet-Infrastrukturen und Logistikrobotern. Diese Geschichten sind Warnzeichen. Sie zeigen, was in unserer Welt passieren könnte und wie unangenehm es für Menschen wird, wenn sie nicht mehr im Mittelpunkt stehen.
Menschliche Sperrzonen und menschliche Abhängigkeitsprozesse
Diese Bedingungen und Orte gibt es in der Welt, sogar im zunehmenden Maße. Aber sich auf das technologisch Erhabene zu konzentrieren und die Rolle des Menschen auszublenden, ist ein reduktionistischer Ansatz, der den postindustriellen Fokus auf die Dienstleistungs- und Wissensökonomie globaler Städte widerspiegelt, während die arbeitsintensive Produktion in Entwicklungsländern außer Acht gelassen wird. Betrachtet man diese Maschinenlandschaften, so scheint es, dass das menschliche Gehirn bei der Gestaltung und Herstellung unserer Welt eine Rolle spielt, nicht aber die menschlichen Hände. Dies gilt jedoch in erster Linie für die westlichen Industrieländer.
Die meisten Gegenstände, die wir im Alltag benutzen, darunter Autos, technische Geräte, Kleidung und Haushaltsgeräte, werden zu einem großen Teil von Menschenhand hergestellt. Trotz aller Automatisierungsbemühungen spielt der Mensch immer noch eine entscheidende Rolle bei der Implementierung, dem Betrieb und dem allgemeinen Erfolg eines Fertigungssystems. So hatte beispielsweise das Schweizer Unternehmen ABB – ein führender Roboterhersteller – im Jahr 2016 nur einen einzigen Roboter in seiner bulgarischen Fabrik für elektrische Systeme. Die meiste Präzisionsarbeit beim Verflechten von Kupferkabeln zu elektrischen Schaltern wurde von einheimischen Frauen aus den ländlichen Gebieten im Südosten Bulgariens von Hand erledigt.
In diesem Artikel geht es nicht darum, einem bestimmten Narrativ – post-anthropogen oder menschenzentriert – entgegenzutreten, sondern für eine komplexe Lesart der Kräfte zu plädieren, die unsere heutige Gesellschaft formen – eine Lesart, die sowohl Träume von endlosem technologischen Fortschritt als auch die Auswirkungen auf die ungleiche Entwicklung der Arbeit umfasst. Gegenwärtig ersetzt die Technologie die menschliche Arbeit nicht, sondern verändert sie vielmehr. Während in den westlichen Volkswirtschaften und den globalen Städten innovative Produkte entworfen werden, werden sie weit entfernt von den westlichen Stadtkernen in den Wüstenlandschaften afrikanischer Städte, im vietnamesischen Hinterland oder in den ländlichen Gebieten Mexikos produziert und montiert. Das bedeutet nicht, dass diese Bedingungen auch in Zukunft so bleiben werden. Automatisierungsbestrebungen in allen Industriezweigen zielen darauf ab, “die Unsicherheit des menschlichen Faktors” zu beseitigen. Unser Verhältnis zur Technologie und die Frage, wie der umfassende technologische Übergang gesellschaftlich nachhaltig gestaltet werden kann, bleibt eine der zentralen Themen unserer Zeit.
Während transnationale Unternehmen es vorziehen würden, ein hocheffizientes, vorhersehbares automatisiertes System für industrielle Abläufe zu nutzen, anstatt Löhne an Menschen zu zahlen, erweisen sich Maschinen als unzuverlässig und gehen häufig kaputt. Die Mechanisierung erfordert immer noch hochqualifizierte Arbeitskräfte, die den Prozess kontrollieren und warten. Nirgendwo ist dieser Kampf zwischen technischem Fortschritt und menschlicher Kultur so präsent wie in der in diesem Kontext oft übersehenen Region Südosteuropas, wohin westliche Hochtechnologieunternehmen die Produktion ausgelagert haben, um von billigem Land und “postkommunistischen” industriellen Traditionen zu profitieren.
Die Automobilindustrie ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Kampf zwischen technologisch forciertem Wachstum und der Abhängigkeit von menschlicher Arbeitskraft. Die Automobilindustrie ist “in der Robotisierung führend, auf sie entfällt jährlich fast ein Drittel aller neuen Industrieroboterinstallationen.” Die Untersuchung des Cedefop zeigt, dass die Hälfte der EU-Automobilunternehmen Roboter einsetzen, was mehr als doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt der verarbeitenden Industrie insgesamt. Gleichzeitig ist der Sektor nach wie vor im hohen Maße von hochqualifizierten Arbeitskräften abhängig – eine Tendenz, die zur Verlagerung wichtiger Produktionsstandorte in der gesamten MOE-Region geführt hat. Um über die makroökonomische Perspektive hinauszugehen und zu verstehen, wie sich dieser Übergang und die neoliberale Industrialisierung auf die Menschen und Orte vor Ort auswirken, werfen wir im Folgenden einen Blick hinter die Türen eines Automobilzulieferers in Südbulgarien.
Wie die Rücklichter Ihres Autos hergestellt werden – ein Tag in einer Fabrik
Ich habe eine Woche in einer Fabrik verbracht, die Rücklichter für mehrere europäische Automobilhersteller liefert. Dort wollte ich mich als Arbeiterin ausbilden lassen und den Alltag in der Fabrik verstehen. Mehr als 250 Arbeiter*innen sind hier beschäftigt. De Nachfrage steigt. Die Arbeiter*innen erfahren ihre wöchentlichen Schichten immer eine Woche im Voraus. Heute werde ich von Nasko – einem jungen Teamleiter, den ich bei meinen Recherchen kennengelernt habe – als Arbeiterin für die Ersatzteilmontage ausgebildet. Er hat eine Frühschicht, doch an meinem ersten Tag komme ich um 9:00 Uhr in die Fabrik.
Es gibt vier Schichten. Die erste beginnt um 6:00 und geht bis 14:00 Uhr, die zweite Schicht von 14:00 bis 22:00 Uhr, die dritte Schicht von 22:00 bis 6:00 Uhr und die reguläre Schicht von 9:00 bis 17:00 Uhr. In dieser Fabrik werden nur Rücklichter hergestellt. Ich frage, wo die Scheinwerfer hergestellt werden. “In Slowenien und der Türkei”, antwortet ein Ingenieur. Ich betrete die Fabrikhalle, die voll von Maschinen und Fließbändern ist. Es gibt keinen einzigen Roboter, nur Menschen, die an den Fließbändern stehen, und noch mehr Arbeiter*innen, die hektisch herumlaufen. Es ist leicht zu erkennen, dass es sich bei den Menschen, die sich bewegen, um Teamleiter*innen oder Ingenieur*innen mit technischer Ausbildung handelt, während die Arbeiter*innen am Fließband keine spezielle Vorbildung haben (müssen). Eine der Fließbandarbeiter*innen war früher Kassiererin in einem Supermarkt.
Nasko, ein ausgebildeter Agraringenieur, wechselte aufgrund der hohen Nachfrage und der guten Karrieremöglichkeiten in den Fertigungssektor. Er führt mich zunächst durch die Fabrik. Zuerst wird das aus Saudi-Arabien gelieferte Kunststoffmaterial in Form von Körnern geschmolzen und unter den von der Automobilherstellerfirma vorgegebenen Bedingungen gegossen. Dieser Prozess ist vollständig automatisiert. Anschließend müssen die Teile zu einem Rücklicht zusammengesetzt und die Geometrie gemessen und geprüft werden, damit sie perfekt zum jeweiligen Fahrzeugmodell passen. Zwei Teile der Rücklichter-Komponenten werden am Band angeliefert und dann vermessen, mit Gummibändern umwickelt, zusammengepresst, gereinigt, markiert und zum Versand in die Logistikhalle vorbereitet. Von da an werden die Leuchten Teil komplexer logistischer Netzwerke und an verschiedene Standorte in der ganzen Welt verschickt.
In meiner Abteilung arbeiten etwa zehn Personen, überwiegend Frauen. Es scheint ein einfacher Prozess zu sein, und ich möchte sofort anfangen, aber die Pressmaschine fällt aus, und die Produktion steht still. Es herrscht Chaos, Ingenieur*innen versammeln sich um die Maschine, Leute diskutieren, gehen weg, kommen zurück. Diese Situation dauert etwa eine halbe Stunde, als Nasko einen Knopf drückt und die Maschine wie durch ein Wunder repariert. Es gibt Jubel, die Leute versammeln sich freudig und beglückwünschen sich gegenseitig. Die Produktion kann weitergehen. Alle 121 Sekunden wird an meinem Band ein Rücklicht montiert, das bedeutet 720 Rücklichter pro Tag und insgesamt 262.800 Teile pro Jahr.
Es ist fast 14:00 Uhr, und die Schicht neigt sich dem Ende zu. Ich frage Nasko, wann er gehen wird, aber er will noch bleiben und eine andere Maschine reparieren. Ich frage: “Müssen Sie bleiben, werden die Überstunden bezahlt?” Aber nein, niemand habe ihn gefragt; er will von sich aus bleiben und sie reparieren, als ob er ein Gefühl der Verantwortung und fast so etwas wie eine intime Beziehung zu den Maschinen hat. Es ist klar, dass er gerne Dinge repariert, was ihn für die Fabrik so wertvoll macht. Denn Geräte gehen täglich kaputt, manchmal sogar mehrmals am Tag, was nicht zuletzt daran erinnert, dass in einer Autoteilefabrik die menschliche Arbeitskraft immer noch ein wichtiger Bestandteil der Produktion ist.
Zukunft der menschlichen Arbeit und soziale Folgen der Automatisierung
Während die automatisierte Produktion immer noch in hohem Maße von menschlicher Arbeit abhängig ist, bleibt die Zukunft der Fertigungsprozesse sehr ungewiss. Die Erfahrung im Werk hat gezeigt, wie sehr die lokale Fabrik mit den globalen Produktionsnetzen, dem Ressourcenangebot und der Produktnachfrage verflochten ist. Daher ist es wichtig, die Geschehnisse in Bulgarien im Lichte der globalen Produktionstendenzen zu betrachten.
Die derzeitige Umstellung auf Elektrofahrzeuge, für die weniger Komponenten benötigt werden, hat in Deutschland große Sorgen über mögliche Arbeitsplatzverluste ausgelöst. Während die Vorhersagen von keinerlei Arbeitsplatzverlusten bis hin zu einem “Detroit”-Szenario mit einer halben Million verlorener Arbeitsplätze in Süddeutschland reichen, ist eines klar: Die Zulieferer werden weltweit mit erheblichen Umstrukturierungen und dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Montage konfrontiert sein, wie es bei Nasko der Fall ist. In den Entwicklungsländern, wo immer noch eine beträchtliche Anzahl von Arbeitnehmer*innen in der Montage und Lackierung beschäftigt ist, könnten “billige” und und gering qualifizierte Arbeitskräfte in Zukunft durch Automatisierung ersetzt oder zumindest in einem viel höheren Maße als andere vor Aufgaben gestellt werden, die robotisierten Vorgängen angepasst werden.
Gleichzeitig betrachtet Osteuropa die Automobilindustrie nach wie vor als den heiligen Gral für ausländische Direktinvestitionen und scheut keine Mühe, um Unternehmen der Automobilproduktion anzuziehen. Die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Serbien beteiligten sich an einem stark medialisierten Bieterwettstreit um die Ansiedlung eines neuen Volkswagenwerks. Doch die Volkswagen-Fabrik, die in Südosteuropa gebaut werden sollte, ist nicht auf dem neuesten Stand der Technik, was dazu beigetragen hätte, die lokalen Arbeitskräfte weiterzubilden und neue Kapazitäten und Kenntnisse zu schaffen. Stattdessen würde das neue osteuropäische Werk das VW-Werk in Emden, Deutschland, entlasten und die Produktion von Passat-Fahrzeugen auf Elektroautos umstellen helfen. Gleichzeitig würde die alte Technologie in Südosteuropa eingeführt und damit die Tradition fortgesetzt, innovative F&E-Arbeitsplätze in Westeuropa zu erhalten.
Nehmen wir an, wir akzeptieren die Unvermeidbarkeit post-anthropozäner, sprich: technologisch geprägter Landschaften, wie sie von Rem Koolhas und Liam Young dargestellt werden. In diesem Fall ist es entscheidend zu fragen, wie wir einen solchen Übergang gestalten wollen und welche sozialen Auswirkungen ein solches Szenario hat. Denn bei der technologischen Revolution gibt es sowohl Gewinner*innen als auch Verlierer*innen, und ein solcher Prozess würde die bestehenden sozialen und territorialen Gräben vertiefen.
Als Schlachtfeld des technologischen Fortschritts und fragiler sozialer Bedingungen eignet sich Bulgarien als Fallbeispiel, um die moderne Produktion als Instrument der Schaffung nachhaltigerer und integrativerer Lebensräume zu überdenken. Um es mit den Worten von Richard David Precht zu sagen: “Wir müssen unsere Autonomie zurückgewinnen und dürfen die Zukunft nicht einer autonomen Entwicklung der Technologie überlassen.” Diese Herausforderung muss als kollektive Anstrengung verstanden werden, die globale Unternehmen, lokale Arbeitnehmer*innen und Regierungen einschließt.