Planetarische Bündnispolitik und solidarische Arbeitsteilung: Notizen zur Überwindung der imperialen Lebensweise

Verbindungen zwischen Umwelt- und Arbeitskämpfen herzustellen und zu politisieren, bedeutet nicht zuletzt den Zusammenhang zwischen den ökologischen Katastrophen und den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen, die sie ausgelöst haben, wiederherzustellen. Eine Weiterentwicklung existierender intersektionaler Ansätze im Zeichen planetarischer Bündnispolitik und solidarischer Arbeitsteilung ist dafür grundlegend, wie Autor und Aktivist Alexander Behr in seinem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” argumentiert.

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Der Begriff der imperialen Produktions- und Lebensweise (Brand/Wissen) besagt im Wesentlichen, dass die meisten Menschen im globalen Norden, also in den reichen, westlichen Industrienationen, sowie eine wachsende Anzahl von Menschen in den sogenannten Schwellenländern auf Kosten des größten Teils der Menschheit sowie auf Kosten des Klimas und der Umwelt leben. Die imperiale Lebensweise produziert und festigt zudem die wachsende Ungleichheit innerhalb der Länder des globalen Nordens.

Um ihr entgegenzutreten, sollten verschiedene emanzipatorische Strategien produktiv zusammenwirken. Oder anders formuliert: Wir sollten zu einer solidarischen Arbeitsteilung finden. Basisbewegungen, fortschrittliche Zivilgesellschaft und NGOs, Gewerkschaften, linke religiöse Communities, Journalist*innen, Kulturschaffende, Aktive an Universitäten und in progressiven Parteien können – bei aller Unterschiedlichkeit in der Wahl der Methoden und Ansätze – Synergien entwickeln und verlässliche Austausch- und Aktionsstrukturen schaffen. Dies ist oft unbequem und bringt häufig Konflikte mit sich. Doch gerade in der produktiven Austragung dieser Konflikte steckt großes Potenzial.

Durch erfolgreiche Kämpfe im globalen Norden können die Handlungsspielräume im globalen Süden vergrößert werden. Der Sozialwissenschaftler Ingar Solty argumentiert etwa, dass Klassenkampf im globalen Norden den Freihandels- und Imperialismusdruck nach außen verringert. Dazu gehören zum Beispiel die erfolgreiche Verteidigung des Sozialstaats, jede Mindestlohnerhöhung und jede erfolgreiche Tarifauseinandersetzung. Sie sind laut Solty strukturell antiimperialistisch, weil sie überschüssiges Kapital binden, Exportorientierung verringern und den Ländern im globalen Süden so mehr Luft zum Atmen lassen. In diesem Sinne müsste laut Solty ein neuer Antiimperialismus auch Formen der De-Globalisierung (Walden Bello) und des aufgeklärten Protektionismus (Hans-Jürgen Urban) einbeziehen. Solty gibt zwar zu bedenken, dass ein solches Reformprogramm den Kapitalismus erst einmal nicht überwindet. Im Gegenteil: es stabilisiere ihn womöglich in gewisser Weise. Doch als konfliktorientiertes, antineoliberales Programm verbessert es die Kampfposition der sozial-ökologischen Bewegungen für darüberhinausgehende antikapitalistische Strategien.

Eine solidarische Arbeitsteilung in Prozessen transnationaler Organisierung kann auch bedeuten, dass Organisationen im globalen Norden materielle und symbolische Ressourcen denjenigen Aktivist*innen im globalen Süden zur Verfügung stellen, die darauf keinen Zugriff haben.

Bewegungspolitische Crossovers

Solidarische Arbeitsteilung bedeutet darüber hinaus, dass verschiedene auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität ausgerichtete Kämpfe kombiniert und nicht nach ihrer vermeintlichen Wichtigkeit „hierarchisiert“ werden. Martin Birkner, Leiter der Buchreihe Kritik & Utopie beim Wiener Mandelbaum Verlag, ruft in Erinnerung, dass der Begriff der Multitude, der zu Beginn der

Nullerjahre viel diskutiert wurde, dafür wichtige Denkimpulse geben kann: „Für heutige Auseinandersetzungen lässt sich mit dem Begriff der Multitude eine Form der Kollektivität denken, die gerade nicht auf eine Vereinheitlichung ihrer internen Differenzen abzielt, sondern vielmehr auf deren Anerkennung. Erst durch diese Anerkennung lässt sich politische Gemeinsamkeit und in Folge eine gemeinsame Strategie entwickeln.“

Eine Politik der Multitude, so Birkner, „überschreitet zunächst den scheinbaren Antagonismus zwischen Interessen- und Identitätspolitik. […] In der unaufhebbaren Verbundenheit von (ökonomischer) Ausbeutung und (‚kultureller‘) Unterdrückung findet eine Politik der Multitude die Kraft ihrer Radikalität.“ Wichtig ist also stets, in den verschiedenen sozialen und ökologischen Kämpfen Synergien zu suchen und sie nicht gegeneinander auszuspielen.

Ein sehr erfolgreiches und immer wieder zitiertes Beispiel für diese spektrenübergreifende Solidarität ist die Unterstützung eines Bergarbeiterstreiks in Großbritannien im Jahr 1984 durch queere Aktivist*innen der LGSM (Lesbians and Gays Support Miners). Die Trennung zwischen Klassen- und Identitätspolitik wurde hier praktisch überwunden. Die LGSM sammelte Geld und besuchte die Streikenden in der südwalisischen Ortschaft Onllwyn. Ihr Einsatz bewegte die britische Gewerkschaft der Bergarbeiter anschließend dazu, sich stärker für die Rechte von Queers einzusetzen, und hatte zur Folge, dass sexuelle Gleichberechtigung Teil des Labour-Parteiprogramms wurde. Der Film „Pride“ aus dem Jahr 2014 wurde 30 Jahre nach der Solidaritätsaktion zu einem großen Kinoerfolg. Die verfilmte Geschichte von LGSM hat heute eine neue Organisation inspiriert, nämlich die Lesbians and Gays Support the Migrants. Sie sammelt nicht nur Geld für migrantische Projekte, sondern hat sich auch einen Namen mit spektakulären Solidaritätsaktionen gemacht, nicht zuletzt durch die Blockade eines Flugzeugs im Sommer 2018, mit dem Geflüchtete abgeschoben werden sollten.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Diese bewegungspolitischen Crossovers sind gelebte Solidarität. Wie im genannten Beispiel können sie dafür sorgen, dass sich die Arbeiter*innenbewegung nicht nur um das Widerspruchsfeld zwischen Arbeit und Kapital kümmert. Darüber hinaus können sie verhindern, dass Bewegungen für die Rechte von LGBTIQA*-Personen vom viel zitierten „progressiven Neoliberalismus“ (Nancy Fraser) vereinnahmt werden. Dauerhafte und vitale Verbindungen zur Arbeiter*innenbewegung und zu globalen Solidaritätsbewegungen betten die eigenen Forderungen in einen größeren Kontext ein, der für die Verwirklichung der Ziele entscheidend sein kann.

Im besten Fall ermöglicht diese Zusammenarbeit, dass die unterschiedlichen Szenen und Milieus aufeinander zugehen und etwaige Vorbehalte und Ressentiments entschärfen und abbauen. Dass dies nicht immer konfliktfrei ist, versteht sich von selbst, ist aber kein Grund, es nicht zu tun. Oder wie es Naomi Klein mit Blick auf die notwendige intersektionale Orientierung der Klimabewegung formuliert: „Über lange Zeit hinweg wurde uns eine Politik präsentiert, die die ökologischen Katastrophen von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen trennte, die sie überhaupt ausgelöst hatten.“ Doch Rassismus und Sexismus, kapitalistische Ausbeutung, Armut sowie Zerstörung der Biodiversität und des Klimas sind laut Naomi Klein keine entkoppelten Ereignisse, sondern unserem System inhärente Strukturkomponenten – sie bedingen einander. Die Suche nach Alternativen kann nur erfolgreich sein, wenn sie diesem Umstand Rechnung trägt.

Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für solidarische Arbeitsteilung und Bewegungs-Crossover beschreibt Friederike Habermann in ihrem Porträt der mit 54.000 Mitgliedern äußerst starken Postgewerkschaft CUPW (Canadian Union of Postal Workers): Es handelt sich um eine Gewerkschaft, die sich „seit Jahrzehnten mit den Marginalisierten dieser Welt verbündet, erschwingliche Kinderbetreuungsstätten mitträgt, am Nationalfeiertag eine indigene Flagge hisst, schon mal das Bankenzentrum Torontos besetzt hat, bereits vor Jahren dafür streikte, zum Transformationstool in eine ‚klimaneutrale sozioökonomische Struktur, die niemanden zurücklässt‘, zu werden, und für die die Bevölkerung die Streikposten übernimmt. […] Die CUPW strebt eine Wirtschaft mit 100 Prozent erneuerbarer Energie an, die aber auch Ungleichheiten abbaut und die Communities in die Lage versetzt, sich besser zu organisieren und Veränderungen vorzunehmen.“ Die Gewerkschaft unterstützt auch die Proteste der indigenen Wet’suwet’en, die Anfang 2020 ihr traditionelles Gebiet im Norden von British Columbia wieder besetzt hatten, um die geplante Coastal-GasLink-Pipeline, die Erdgas aus dem nordöstlichen Teil der Provinz quer durch ihr Territorium an die Küste transportieren soll, zu verhindern.

Um noch einmal auf die streikenden Minenarbeiter in England zurückzukommen: Zwischen 1992 und 1995, mitten im Jugoslawienkrieg, organisierten britische Aktivist*innen Hilfskonvois in die Stadt Tuzla, die im heutigen Bosnien und Herzegowina liegt. Die Konvois waren nicht als humanitäre Hilfe gedacht, sondern als ein Versuch, die lokalen Arbeiter*innen zu unterstützen: Denn viele von ihnen weigerten sich, sich aufgrund der ihnen zugeschriebenen ethnischen Zugehörigkeit gegeneinander aufhetzen zu lassen. Tuzla liegt in einem Bergbaugebiet mit einer langen Geschichte des Arbeiter*innenwiderstands, die bis zum Bergarbeiterstreik von 1922 zurückreicht. In den Jahren 1984 und 1985 hatten die Bergarbeiter der Region einen Tageslohn pro Monat an ihre streikenden britischen Kolleg*innen gespendet. 1992 reagierten die britischen Bergarbeiter auf einen Appell, die Solidarität von damals zu erwidern.

Nicht immer gelingen solche solidarischen Bezugnahmen. Sie sind in der Regel höchst voraussetzungsvoll und erfordern beharrliche und geduldige Bündnisarbeit. Manchmal bedarf es auch schlicht eines guten Moments. Immer wieder nach solidarischen Verknüpfungspunkten zu suchen ermöglicht aber den Blick über den Tellerrand und stärkt die eigene Bewegung.

Solidarische Arbeitsteilung bedeutet auch, dass die unterschiedlichen Akteur*innen innerhalb der jeweiligen Bewegungen ihren je spezifischen Zugang zu unterschiedlichen Milieus nutzen sollten. Wichtig sind offene Kommunikationskorridore und Gesprächsräume, die sich beispielsweise durch gemeinsame Konferenzen, Aktionen, Camps oder Demonstrationen herstellen und verstetigen lassen.

Ein Beispiel dafür war das erste Klima- und antirassistische „Doppelcamp“, das im Sommer 2008 in Hamburg stattfand und an dessen Aktionen sich mehr als 2.500 Menschen beteiligten. Das Aktionscamp kombinierte zum ersten Mal bewusst klimapolitische und antirassistische Forderungen und brachte dadurch verschiedene Akteur*innen aus unterschiedlichen aktivistischen Milieus zusammen. Zu den gemeinsam durchgeführten Aktionen gehörten die Abriegelung der Zufahrtsstraßen zum Hamburger Flughafen, die Besetzung der Baustelle des Kohlekraftwerks Moorburg oder die Blockade eines Supermarkts in der Hamburger Innenstadt. Motto des Camps war: „Für ein ganz anderes Klima – globale soziale Rechte für alle!“ Seither hat sich vieles weiterentwickelt.

Vielfältige Bündnisse sind entstanden und Slogans wie „Antifa for Future“ oder „Burn borders not coal“ haben sich etabliert – diese Brückenschläge spiegeln die notwendige Verschränkung von Klimabewegungen und antifaschistischen bzw. antirassistischen Kämpfen wider. Solidarische Arbeitsteilung zwischen unterschiedlichen Protestmilieus findet auch bei Aktionen gegen Straßen- oder Kraftwerksbau statt, etwa wenn lokale Bürger*inneninitiativen mit autonomen Gruppen und NGOs zusammentreffen. Obwohl sich die Organisations- und entsprechenden Umgangsformen deutlich voneinander unterscheiden, können sich gerade dadurch produktive Ergänzungen ergeben. Denn auch hier können die Fähigkeiten und Ressourcen der unterschiedlichen Akteur*innen Türen zu unterschiedlichen Milieus öffnen.

Transnationale Solidarität

Die Aufgabe radikaler Solidaritätsarbeit besteht vor allem auch darin, mit denjenigen solidarisch zu sein, die in ihren sozial-ökologischen Auseinandersetzungen am meisten aufs Spiel setzen. Was die Kämpfe für Klimagerechtigkeit anbelangt, so riskieren Aktivist*innen in Indien, Brasilien oder Indonesien weit mehr, wenn sie auf die Straße gehen oder Aktionen zivilen Ungehorsams durchführen, als Aktivist*innen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz.

Mit ihren spezifischen Privilegien, dem Zugang zu Medien, Bildungseinrichtungen und mächtigen politischen Institutionen, mit finanzieller Unterstützung und vielem mehr können Aktivist*innen im globalen Norden dabei helfen, sie zu verteidigen. Sie können ihre Kämpfe an die Öffentlichkeit bringen, Übersetzungsarbeit leisten und Ressourcen dorthin leiten, wo sie gebraucht werden. Wenn es nötig ist, müssen sie dafür sorgen, dass Aktivist*innen Zuflucht finden und Asyl erhalten. Das bedeutet auch, den Kampf gegen die Umwelt- und Klimakatastrophe nicht mehr abstrakt als „Kampf für die Zukunft“ zu bestimmen, sondern als den gegenwärtigen Überlebenskampf, der er für viele Menschen schon lange ist. Kampagnen wie „Shell must fall“ liefern konkrete Ansatzpunkte, wie globale Solidarität aussehen könnte.

Drei Namen von Aktivist*innen, die ihren Einsatz für den Schutz der Biodiversität, des Klimas und für soziale Gerechtigkeit mit ihrem Leben bezahlt haben, seien hier stellvertretend genannt: Berta Cáceres aus Honduras, Vorkämpferin für die Rechte von Indigenen und den Erhalt der Umwelt, Marielle Franco, feministische Stadträtin in Rio de Janeiro, und Paulo Paulino Guajajara, ebenfalls aus Brasilien und Umweltaktivist im Bundesstaat Maranhão. Globale Solidarität heißt, dass wir das Andenken an sie hochhalten, Straßen und Plätze nach ihnen benennen und dafür sorgen, dass sie Eingang in die Geschichtsbücher und Unterrichtsmaterialien in den Schulen finden. Globale Solidarität heißt aber auch, unsere Kämpfe in dem Bewusstsein zu führen, dass die mutigen Aktionen zahlloser Aktivist*innen, die ihr Engagement ebenfalls mit ihrem Leben bezahlt haben, einer breiten Öffentlichkeit niemals bekannt geworden sind.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Beitrag zur “Allied Grounds”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der “Allied Grounds”-Website. Schauen Sie mal hier: https://berlinergazette.de/de/projects/allied-grounds

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