Während Julian Assange auf allen Kanälen zu hören ist, hüllt sich Bradley Manning in Schweigen. Erzwungenermaßen. Die vermeintliche Cablegate-Informationsquelle ist zwar nicht mehr anonym, aber sie hat noch längst keine eigene Stimme. Gerade deshalb, so der Kulturtheoretiker und Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki, müssen Assange und Manning als zwei Seiten ein und derselben Medaille gesehen werden.
In einem aktuellen Werbeclip für Deutschlands größte Talentshow: Bei einem Verhör soll ein Gefangener endlich “zum Singen” gebracht werden. Als er sich weigert und die normalen Methoden versagen, öffnet sich die Tür für die Geheimwaffe. Im Mafiafilm kommt an dieser Stelle üblicherweise der Knochenbrecher, im Kriegs- und Spionagefilm der Zahnarzt, hier tritt Dieter ‘DSDS‘ Bohlen in Erscheinung. In einem Silberkostüm springt er ins Verhörzimmer und ruft: So Freundchen, jetzt singst Du!
Es ist keinesfalls zynisch, einen politischen Beitrag über Bradley Mannings Stimme mit einer Szene aus dem Unterhaltungskosmos zu eröffnen. Zynisch, beziehungsweise unzumutbar – das sind die Umstände, unter denen Manning gegenwärtig in seiner Eigenschaft als Hauptverdächtigter für das Weiterleiten der US-Geheimdokumente an Wikileaks im Gefängnis sitzt. In den Medien wird zwar zwischen Pentagon-Sprechern (siehe Bericht im CSM ) und Bürgerrechtlern (siehe Bericht bei Alternet) darüber gestritten, ob er tatsächlich 23 Stunden pro Tag keine soziale Interaktion hat, keine Kissen sowie keine Decken bekommt und kein Sport machen darf. Doch eines lässt sich kaum von der Hand weisen: Die Bedingungen seiner Haft haben dazu geführt, dass Manning körperlich und geistig verwahrlost. Es ist von Folter qua Isolation die Rede – als Vorbereitung auf den Prozess zu Beginn des kommenden Jahres.
Während Julian Assange in einem Weihnachtsinterview mit der in New York produzierten Dylan Ratigan Show zu der Aussicht auf einen Platz im US-Gefängnis sowie den Haftbedingungen (des Bradley Manning) befragt wurde und sich überaus besorgt äußern durfte (natürlich fürchtet auch Assange, dass Manning solange bearbeitet wird, bis jener gegen ihn aussagen wird), ist von Manning nichts zu hören. Seit seiner Inhaftierung im Mai diesen Jahres ist ihm jeglicher Kontakt mit den Medien untersagt. Während Assanges mal flehende, mal anklägerische, in letzter Zeit meistens ziemlich defensiv klingende Stimme in der Öffentlichkeit quasi omni-präsent ist, kann Mannings zunehmend gebrochene Stimme seit geraumer Zeit nur noch von seinem Anwalt und dem US-Journalisten David House vernommen werden, der ihn zweimal pro Monat besucht.
Es wird sich zeigen, wie lange dieses asynchrone Verhältnis bestehen bleibt. Ebenso ist noch offen, ob es sich dadurch auflöst, dass Manning zu “singen” beginnt und Assange im Zuge dessen zum Schweigen bringt. Oder ob Assange auf ganz anderen Rechtswegen ins Gefängnis wandert oder viel früher mundtot gemacht wird – wie ernst die kursierenden Morddrohungen inzwischen zu nehmen sind, zeigt sich nicht zuletzt an einem offenen Brief, der kürzlich mit der Betreffzeile To those inciting murder upon Julian Assange and/or his family unter Hinweis auf die rechtlichen Grundlagen in diesem Kontext veröffentlicht wurde. Doch eines ist klar: Manning wird sprechen. Seine Stimme wird spätestens im Gerichtssaal (bzw. durch die damit verbundene Medienberichterstattung) zu hören sein.
Lady GaGas “Telephone” und Mannings Anrufbeantworter im Military-Entertainment Complex
Warum nur, spätestens jetzt werden Sie fragen, habe ich diesen Text mit einer Szene aus dem aktuellen DSDS-Werbeclip angefangen? Die militärgerichtliche Problematik rund um Mannings Stimme hat im medien- und popkulturellen Kontext ihre primäre Aufladung erfahren. Und die Verflechtung von Militärischem und Pop zum so genannten Military-Entertainment Complex, auf die ich im Folgenden anhand von Mannings Fall zu sprechen komme, vollzieht sich vor unserer eigenen Haustür wohl am Sichtbarsten im Star-Körper des Dieter Bohlen (von Guttenberg mal abgesehen): der Musikproduzent und DSDS-Juror kokettiert überaus gerne mit dem Image des Folterers und Bootcamp-Drill-Instructors. Doch der Reihe nach.
Anders als Assange, war Manning vor den großen Enthüllungen im Jahr 2010 in der Weltöffentlichkeit ein Niemand. Er war vom Typ her einer, der als Kandidat bei DSDS hätte auftreten können. Anders gesagt: Er hatte keine Stimme. Denn es lagen und liegen so gut wie keine Dokumente (sprich: Aufnahmen) vor, die das Licht der Öffentlichkeit erblickt hätten. Die wenigen Äußerungen (auf Facebook, etc.), die von ihm überliefert sind – sie stehen im drastischen Kontrast zu der schier unermesslichen Quantität der unter seiner angeblichen Mithilfe enthüllten Dokumente, so dass man ernsthaft fragen muss, ob Mannings Stimme nicht auch durch diese Dokumente spricht.
Was ist “Mannings Stimme” in diesem Zusammenang? Einerseits geht es hier um Mannings Stimme aus der Perspektive des Senders, also um das, was Manning uns möglicherweise sagen will. Andererseits geht es um Mannings Stimme aus der Perspektive des Empfängers, also um das, was wir, die Öffentlichkeit als solche wahrnehmen. In beiden Fällen ist die Stimme offenbar identisch, Manning sagt, wir hören: “diese Informationen gehören der Öffentlichkeit”. The Guardian unterstrich dies, als er kürzlich einen Beitrag unter dem Titel This belongs in the public domain brachte. Der Beitrag dokumentiert den verhängnisvollen Chat-Dialog, in dem Manning sich einem vermeintlich geistesverwandten Hacker anvertraut, welcher ihn letztenendes bei den Behörden angezeigt hat.
In diesem inzwischen vielzitierten Chat-Dialog, der neben Mannings Facebook-Pinnwand wohl als zentrale Textquelle gelten kann, beschreibt Manning die Umstände seiner Tat. Die selbstgebrannten Musik-CDs, die er zwecks Rundumbeschallung bei der Arbeit dabei hatte, überschrieb er mit jenen Daten, die er später an Wikileaks weiterleiten würde. Die Sicherheitsvorkehrungen seien vollkommen ungeeignet gewesen, um einen Datendiebstahl dieser Größe zu verhindern. Alles in allem eine spaßige Aktion, bei der er Lady Gagas Song “Telephone” hörte und dazu die passenden Mundbewegungen machte (“listened and lip-synced to Lady Gaga’s Telephone while exfiltratrating [sic] possibly the largest data spillage in american history”, May 22, 2:14:21 pm). Wird diese Szene in die Folklore des Ungehorsams und Widerstands eingehen?
Wir sehen und hören Mannings Mundbewegungen zu Refrainzeilen wie “Stop callin’, stop callin’, I don’t wanna think anymore!” oder “Sorry, I cannot hear you, I’m kinda busy.” – das Lebensgefühl zelebrierend unerreichbar zu sein für die Zumutungen des Alltags: hier eine unbequeme Liebes-, dort eine ebenso unbequeme Arbeitsbeziehung. Oder wird diese Szene als Mannings letzter Moment der Emanzipation in Erinnerung bleiben? Weil alle späteren Äußerungen nach der Gehirnwäsche stattfinden, die ihm derzeit im Gefängnis zu Teil wird? Und weil sich die imaginierten Mundbewegungen Mannings mit dem einzigen Tondokument verschmelzen, das von ihm vorliegt, bevor er inhaftiert wurde? Wir kommen zum vorläufig letzten “Beweisstück”.
Die Stimme: Werkzeug eines politisch mündigen Subjekts
Es gibt in diesem Fall, und hier schließen sich die Kreise des Military-Entertainment Complex in Sachen Manning, seine Stimme nicht nur im übertragenen Sinn zu hören. Sondern ganz konkret als einen durch die Stimmlippen eines Menschen erzeugten und in den Mund-, Rachen- und Nasenhöhlen modulierten Schall. Bezeichnenderweise durch Telefontechnologie verfremdet – Lady Gaga lässt grüßen. Für all jene hörbar, die Manning versucht hatten telefonisch zu erreichen und dann eine für den Fall seiner Abwesenheit eingesprochene Mitteilung zu hören bekamen. Kurz: Mannings Stimme auf dem Anrufbeantworter seines Mobiltelefons. Der Journalist Denver Nicks, der sie aufgezeichnet und wie einen prähistorischen Fund ins Netz gestellt hat (Private Manning Speaking), findet den Ton der Stimme überraschend und vielsagend (“the tone of his voice is surprising and telling”). In einem kurzen Podcast-Beitrag erklärt er warum und wie er dieser Stimme zum ersten Mal begegnete.
Die Mystifizierung von Mannings Stimme – sie dürfte bei seinem bevorstehenden Auftritt im Gerichtsaal soweit fortgeschritten sein, dass wir gar nicht mehr danach fragen werden, wie sie sich vor Mannings Versetzung in den Irak und vor seiner Inhaftierung tatsächlich angehört hat. Beziehungsweise wie sie sich unter strukturell besseren Bedingungen innerhalb der Armee und des Gefängnisses angehört hätte. Manning, so werden seine Anhänger und vielleicht auch seine Gegner sagen, hat Taten sprechen lassen. Doch gerade die Taten werden trotz oder gerade wegen des Prozesses kaum nachvollziehbarer und lassen sich heute auf ihre Auswirkungen hin nur ganz schwerlich abschätzen – haben daher keine Aussage gepachtet. Auch deshalb sollte Mannings Stimme jenseits symbolischer Vermittlungen vernommen und als paradigmatisches Werkzeug eines politisch mündigen und kreativen Subjekts hinterfragt werden.
Wenn sich derzeit die Assange-Unterstützter organisieren und quervernetzten, sicherlich beflügelt durch die globale Hörbarkeit seiner Stimme im Zuge des anhaltenden Interview-Marathons, dann sollten dabei auch die Manning-Initiativen berücksichtigt werden. Denn die Stimmen von Assange und Manning sind zwei Seiten ein und derselben Medaille und in dieser Eigenschaft der Schlüssel zum Gelingen einer zivilgesellschaftlichen Auflehnung gegenüber einer autoritären Wende des Staates, wie sie sich derzeit transnational abzeichnet.
Daniel Domscheidt Berg, der Sprecher von Wikileaks in Deutschland, hatte Assange empfohlen sich zurückzuziehen, nachdem er wegen der Vergewaltigungsanschuldigungen in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt hat. Zurückziehen. Ja. Meint sowas wie: Still halten, schweigen.
Daniel Domscheidt Berg hat sich kurz darauf mit Assange zerstritten. Offenbar hatte Assange diese Empfehlung als Angriff gegen seine Person gewertet. Das Resultat: Daniel Domscheidt Berg hat Wikileaks verlassen. Und spricht in einem Buch, das Anfang 2011 erscheinen soll, über seine Zeit bei dieser Organisation. Assange denkt nicht ans Schweigen.
Das Erheben der Stimme in diesem Fall – zumindest was Assange anbetrifft – scheint mir einerseits eine strategische Angelegenheit zu sein, andererseits eine Sache der Eitelkeit und einer ADS-Störung.
ADS? Uff…eine kurze Google-Suche könnte bzgl. dieser sehr landläufigen Fehlinterpretation schnell Abhilfe schaffen, mein wertes Zentralkomitee! “ADS”, copy and paste in die Browserzeile, Enter…und siehe da:
ADS wäre an dieser Stelle im übertragenen Sinne zu verstehen, nicht als konkretes medizinisches Problem, eine Metapher für eine Person, die viel Aufmerksamkeit benötigt, um klarzukommen.
@zk: wichtiger Hinweis auf die internen Strukturprobleme und Machtkämpfe bei Wikileaks, speziell im Kontext einer “Politik der Hörbarkeit”: schließlich geht es ja darum, wer was zu sagen hat, inhaltlich, politisch, etc. und darum, wie Wikileaks organisiert ist, wie Geert Lovink meint als Single Person Organisation (SPO).
Eine Kritik an dieser Organisationsform, die sich auch aufdrängt nachdem Daniel Domscheidt Berg ausgestiegen ist, liegt — zumindest indirekt — auch meinen Anmerkungen zum asynchronen Verhältnis zwischen den Stimmen von Manning und Assange zu Grunde.
Dass ausgerechnet Daniel Domscheidt Bergs Rat vorläufig zu schweigen, das Fass zum Überlaufen gebracht hat, ist in diesem Zusammenhang bezeichnend. Gibt zu denken.
danke! diese Sache mit dem Militär-Entertainmentkomplex ist mir ehrlich gesagt neu, aber es scheint es wirklich zu geben, ich musste gleich denken, dass neulich im SPiEGEL diese große Geschichte veröffentlicht worden, aufgemacht wie ein Hollywoodfilm und dann schreiben die Autoren auch: wie in einem James Bond film diese Geschichte mit dem Assange. Vielleicht habe ich das auch alles falsch verstanden, aber das fällt mir dazu ein, so spontan.
den Konflikt rund um Cablegate auf einzelne Personen zu fixieren, halte ich für extrem problematisch. In diesem Fall besonders, wo es doch um Netzwerke und Interesseneflechte geht. Aber die bestehende Medienagenda mit ihrer Fixierung auf Assange nun zu ergänzen, halte ich für einen fruchtbaren Ansatz, fast schon ein wenig subversiv. Assange/Manning. So kommt auch Dialektik in ein Spiel der Zeichen, das nur feste Größen und klare Identitäten kennt.
eine Kritik an Mannings Stimme ist eine Kritik an Assanges Stimme? das klingt nicht ganz auf der Hand finde ich.
Man sollte diesen Fall mehr am Schauplatz des Krieges im Irak messen und analysieren. Alle sprechen über Cyberkrieg. Aber Manning war im Irak stationiert. Und die wichtigen Enthüllungen dieses Jahres haben etwas mit diesem Krieg zu tun.
@Silvia: Der Spiegel-Titel “Kampf um das Netz” ist in der Tat ein gutes Beispiel für den MEC. Die Wochenzeitschrift kommt nicht umhin ihre wohl wichtigste Geschichte des Jahres 2010 als schnellgeschnittenen Action-Thriller zu erzählen, überzeichnet, schemenhaft von (Cyber)Krieg sprechend, mehr Unterhaltung als Analyse. Das Cover spricht Bände, oder?
( http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2010-50.html )
@RK: Ich bin auch kein Fan von personenfixitier Politikanalyse. Die Macht liegt im Zwischenraum.
@bswpl.: Es wäre zumindest mein Wunsch, wenn die Rede über Assange sowie die Rede des Assange künftig auf ihre Kehrseite (sicher, es gibt viele, nur mir ist in diesem Zusammenhang die eine wichtig: Manning) amplifiziert würde
@decker: Danke für diesen Hinweis! Ich muss da an Carloin Emcke Abu Ghraib-Recherchen („Anatomie der Folter – der Befehlskörper von Abu Ghureib”) denken und ihre Beschäftigung mit Ivan Frederick, “ein weißer, introvertierter Typ aus West Virginia”, der dort zum Folterer wurde. Sit notiert über die Arbeitsbedingungen, die für Manning strukturell diesselben gewesen sein dürften: “Auffällig an Abu Ghraib ist die Gleichzeitigkeit von Befehlsordnung und Unordnung: die Soldaten sind eingebunden in Strukturen, doch diese werden beständig verändert und aufgelöst, sie müssen gehorchen, aber die Anweisungen sind vage, fordern zu eigenmächtigem Handeln auf, sie geben Richtungen der Gewalt vor, aber lassen Raum für Exzesse. So wird der Einzelne einerseits zur Folter aufgefordert und in sie eingebunden, aber gleichzeitig als Einzelner be- und entlastet.”
( http://www.carolin-emcke.de/de/article/15.anatomie-der-folter-der-befehlskoerper-von-abu-ghureib.html )
In einem Interview sagt Ivan Frederick zu Emcke:
“I didn’t know anything about the Geneva Conventions. No one told me about them when I was in training. I just recently tried to find out about the Conventions on the internet. In addition, the intelligence people were constantly praising us. They would just say: “Keep up the good work.””
( http://www.nytimes.com/2004/08/30/international/europe/30SPIEGEL.html )
Schöner Text, reich an Referenzen: Ich denke, “Telephone” steht für das Medienzeitalter vor dem Netz, fast schon prähistorisch für die One-to-One-Kommunikation, die das Netz – als “Netz” – überwunden hat oder überwinden wird: das Sender-Empfänger-Modell wird suspendiert zugunsten einer allseitigen Kommunikation, die nicht länger kontrollierbar ist. Das Merkwürdige am Fall Assange ist doch diese Mischung aus progressiver Hacker-Ethik (“Information muss frei sein”) und reaktionärer Personalisierung. Dass diese Personalisierung eben auf einem Schweigen beruht – des Informanten – macht dieser Artikel deutlich. Dass es am Ende weder um den einen noch um den andern geht, wäre meine Schlußfolgerung, sondern darum, was mit diesen freigesetzten Informationen nun passiert. Werden sich Aktivisten-Journalisten drauf stürzen und sie der Welt zugänglich machen (wie es die Anonymous-Gruppe angekündigt hat) oder bleibt diese Arbeit dann doch bei den Experten – mit der entsprechenden Medienmacht? Polyphon statt Telephon! Wir sind alle Sender u n d Empfänger – at the same time!
Hatte den guten Bradley Manning nicht wirklich auf dem Schirm, da ich die ganze Affäre nur sehr aus der Entfernung beobachte. Nenne diesen “Stuttgart 21/ wir engagieren uns ab jetzt für alles”-Lynchmob-Ekel mein Eigen. Der lässt mich vor Bildzeitungsthemen Abstand wahren. Manning ist natürlich ein armes Schwein. Assange hat einen ausgeprägten Patrick Bateman-Style, nicht wirklich sympathisch und unverdächtig. Die Dialektik des Ganzen ist schon bemerkenswert und grotesk. Schlimmer finde ich aber, das in dieser Affäre klar wird, das dieser 60/70er Jahre Spionageromanstil alter zynischer Männer, a la Forsythe und Le Carre, nun als krude Wirklichkeit enttarnt wird. “Was ist sein schwacher Punkt? Drogen, Alkohol, Glücksspiel, Jungs, Weiber? -Weiber!- Ach, so einfach? O.k., macht ihn in Stockholm fertig! Wen haben wir da vor Ort? Kümmert euch drum!”
Prominente Erotomanen haben ne schwere Zeit im Moment und wir allesamt dazu. Neokonservativismus aller Orten! In jedem Lager… Spannend, aber auch langweilig, weil so vorhersehbar! Ist diese Welt wirklich nur ein Klischee?
@Joerg: Der Military Entertainment Complex fusst auf solchen Klischees, generiert selber welche, vielleicht ist er deshalb besonders stark wirksam in unseren Zeiten, wo Deine Frage “Ist diese Welt wirklich nur ein Klischee?” sich immer wieder aufdrängt. Ich glaube aber, dass immer wieder ein Überschuss an Zusammenhang oder ein Zuwenig vorherrscht, sprich: der Komplex wie eine Verschwörung anmutet oder keinen Sinn ergibt. Das ist der Moment, in dem auch das Klischee, nennen wir das jetzt mal so, seine Wirkungsmacht nicht entfaltet, weil eben nicht alles fein und säuberlich ineinander passt oder eben zu gut. Diese Gratwanderung beschreibt mein Text.
@Alex: was mit den freigesetzten Informationen passiert, hängt u.a. an folgenden Fragen: Handelt es sich um Spionage oder um investigativen Journalismus? Machen diese Informationen Regierungen künftig offener? Oder geschlossener? Was für rechtliche Grundlagen werden geschaffen?
Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der sich solche Fragen letztenendes am Umgang mit solchen Personen beantworten lassen.
Dein Telefon vs. Internet – Hinweis trifft die Sache absolut. Dieser Geschichte liegt ein merkwürdiger Anachronismus zu Grunde. Was sicherlich damit zu tun hat, dass die Geschichte so groß ist und nicht nur bestimmte Teile der Gesellschaft betrifft, sondern alle und alle haben nicht das selbe Schritt-Tempo. Manche leben noch im 20. Jahrhundert oder vielleicht sogar noch im 19. Jahrhundert.
Freiheit ist ein kostbares Gut, manche meinen, dass Manning viel daran lag, es zu verteidigen:
One Soldier Who Really Did “Defend Our Freedom”
http://www.informationliberation.com/?id=33915
“das Heldentum des in der modernen Gesellschaft trivialisierten faustischen Subjekts, ist, wie das literarische Vorbild zeigt, immer ein tragisches Heldentum. Der mit sich selbst und der Welt ringende Doktor Faustus, eingesperrt in der Höhle seines Selbsts, welche in der gotischen Architektur als Sinnbild einer überlieferten und marode gewordenen mittelalterlichen Gesellschaft die Notwendigkeit der Selbstbefreiung gegen die platonische Vorstellung vom Philosophenkönig stellt. Nicht mehr der von Wahrheit erleuchtete Führer weist, wie im platonsichen Höhlengleichnis erzählt, den Weg aus der Höhle, vielmehr unterliegt das moderne Subjekt der Notwendigkeit zur Selbstbefreiung durch Überhebung, Überwindung, durch Wendung zum Übermenschentum aus eigener, ihm genauso ursprünglich wie unheimlich innewohnender Kraft – die Schaffung eines Befreiungswerkes aus sich selbst heraus, der Urheber, der Alleskönner, Weltversteher und Weltbezwinger. Geblieben davon ist nur eine rechercheaufwändige Vorstellung dessen, was damit ehemals gemeint war. Und da ein solcher Rechercheaufwand selbst Literaturwissenschaftlern zu mühselig wird, bleibt das faustische Subjekt nur als gesunkenes Kulturgut zurück, und sein Heldentum als einfache Form der Arroganz. Wie traurig dieser Gedanke schon nicht mehr ist, sondern eigentlich nur noch zum Spott anregt, wird in dem Maße klar, in welchem bald beobachtbar wird, dass nicht mehr Politiker zur Zielscheibe von Karikaturisten werden, sondern der Internetuser: der ameisenfleißige Troll und Hacker, der – gemäß einer anderen Parabel, die auch von Goethe stammt – die Geister bekämpft, die er ernährt.”
Quelle:
http://differentia.wordpress.com/2010/12/17/assange-und-zuckerberg-trivialmonumente-der-postfaustischen-arroganz-fb-wikileaks/
@zk&pokaface: vielen Dank für die Hinweise. Ich habe mir beide Texte durchgelesen und bin vor allem über den Assange/Zuckerberg-Beitrag ins Grübeln bekommen (sicherlich interessante Hinweise zur post-faustischen Kondition). Statt sie jedoch als zwei Seiten der (Daten-Transparenz-)Medaille zu sehen, werden sie in einen Topf geschmissen. Ich habe heute zum Jahresbeginn dazu einen Beitrag verfasst:
http://berlinergazette.de/facebook-vs-wikileaks-transparenz-ist-nicht-gleich-transparenz/
die tatsache, dass artikel/ infos sich in rastern von actionthriller,…besser an dem mann/die frau bringen lassen finde ich – mit blick auf unser zeitalter der “alarmbereiten”, der auf der suche nach der nächsten katastrophe seienden, spannend.
wissen tut man es irgendwie, aber bewusst war es mir in dem fall assange/ manning nicht.
besonders erhellend für mich war die beschriebene glorifizierung des stimmaterials, die scheinbar einer ikonisierung gleich kommt. die frage die sich stellt ist, ob eben die berichterstattern ihre geschichte nur dann verkaufen können, wenn sie in einer übersichtlichkeit (konkrete personen, konkrete positionen,…) kreieren, die ja in “wirklichkeit” gar nicht gegeben ist.
Manfred Nowak, ein österreichischer Jurist, Professor für Verfassungs- und Menschenrechte an der Universität Wien, soll für die UNO die Haftbedingungen Mannings untersuchen.
Der Spiegel schreibt:
“Das Büro des Uno-Sonderberichterstatters über Folter, Manfred Nowak, sagte der Nachrichtenagentur AP, es habe eine Beschwerde von Unterstützern des Obergefreiten Bradley Manning erhalten, derzufolge die Haftbedingungen in einer Kaserne der Marineinfanterie im US-Staat Virginia Folter bedeuteten. […] Die Vereinten Nationen könnten die USA auffordern, von ihr vorgefundene Verstöße abzustellen.”
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,736268,00.html
Sign Our Letter: Stop the Inhumane Treatment of Bradley Manning
http://action.firedoglake.com/page/s/bradleymanning
Gerade auf YouTube entdeckt, der Free Bradley Manning-Song. Auch dort eine hitzige Diskussion:
http://www.youtube.com/watch?v=xwFN5inlRwE
zwei Artikel, die Du unbedingt lesen musst:
( http://www.salon.com/news/opinion/glenn_greenwald/2010/12/29/wired_1/index.html )
( http://www.armycourtmartialdefense.info/2011/01/motion-to-dismiss-for-lack-of-speedy.html )
So Much For The NYT Investigation Of Bradley Manning’s Confinement Conditions
http://my.firedoglake.com/bmull/2011/01/14/so-much-for-the-nyt-investigation-of-bradley-mannings-confinement-conditions/