Illustration: k masback (by-nc-sa)
Lange schon währt der Vorwurf, dass die Wissenschaft sich im Elfenbeinturm bewegt. Lässt sich mit Blogs der Akademismus überwinden? Können sie wissenschaftliches Denken, Arbeiten und Kommunizieren verbessern? Rund 15 BloggerInnen (plus sieben TheoriebloggerInnen) folgten der Einladung, sich über das eigene Tun auszutauschen und sich nicht nur virtuell, sondern auch ganz klassisch analog zu vernetzen. Ein kollaborativer Bericht der TeilnehmerInnen des Treffens.
Wie wichtig sind Offline-Aktivitäten überhaupt für Blogs? Das Ergebnis des Workshops, zu dem das Team des Theorieblogs am 9. April an die Humboldt-Uni eingeladen hatte, war eindeutig: Offline ist – trotz aller Blogeuphorie – unersetzbar. In den Diskussionen ergab sich schnell eine übergreifende Fragestellung: Wie verorten sich (Wissenschafts-)Blogs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, wie und mit welchem Ziel bloggen wir?
Die Rollen unterscheiden
Das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung einte die Teilnehmer – und förderte doch ganz unterschiedliche Haltungen und Perspektiven zu Tage. Wie man sich zwischen wissenschaftlichem und öffentlichem Diskurs verortet, wurde unterschiedlich definiert. Ulrike Spohn (Theorieblog) eröffnete den ersten Part mit dem Vorschlag, wissenschaftliches Bloggen als „wissenschaftsaffines Bloggen” zu begreifen und dabei sehr bewusst zwischen der eigenen Rolle als WissenschaftlerIn und BloggerIn zu unterscheiden.
Sie plädierte dafür, Wissenschaftsblogs nicht als Plattform zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Texte im Internet zu verstehen, sondern als Chance, anspruchsvolles Schreiben jenseits wissenschaftlicher Standards zu erproben. Wissenschaftsblogs könnten zwischen akademischer Strenge und essayistischer Kreativität vermitteln – doch das funktioniere nur, solange die Welten getrennt blieben.
Das Gespräch dazwischen
Max Steinbeis (Verfassungsblog) unterstützte dieses Trennungsgebot, machte sich aber für die Brückenfunktion von Blogs stark. Das freiere und kreative Schreiben könne durchaus einen direkten Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten. Als Bild: Blogs verhielten sich zur Wissenschaft womöglich so wie das Gespräch in der Hotelbar zum eigentlichen Geschehen im Rahmen einer Konferenz. Andersherum könnten Blogs jedoch auch von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit hinein wirken und wissenschaftliches Expertenwissen für eine breitere Öffentlichkeit übersetzen und so verfügbar machen.
Eine wieder andere Position vertrat Leonhard Dobusch (governance across borders): Wissenschaftsblogs müssten nicht unbedingt in die Öffentlichkeit wirken. Sie könnten auch einfach dazu da sein, die eigenen Gedanken zu erproben und damit einem rein innerwissenschaftlichen Ziel folgen. Wünschenswert sei deshalb eine Vielfalt an Formaten auch innerhalb des Genres Wissenschaftsblogs.
Solche und solche Blogs
Zur Systematisierung kann eine Typologie beitragen, die Cord Schmelzle und Daniel Voelsen (beide Theorieblog) anhand von Blogs in der Politischen Theorie vorstellten. Sie unterscheiden drei Idealtypen von Wissenschaftsblogs – 1) Wissenschaftliches Feuilleton (à la Crooked Timber), 2) Dienstleistungsblog (à la Pea Soup), 3) „bewusst persönlich gehaltenes“ Tagebuch (à la The Philosophy Smoker). Das Theorieblog selbst stellt hierbei eine Mischform dar, wie Cord weiter ausführte.
„Das ist nicht zitierfähig”
Noch werden Blogs in den wissenschaftlichen Disziplinen wenig beachtet – zumal im deutschsprachigen Raum, dessen Blogger mit gutem Grund oft neidisch über den Atlantik schielen. Die Blogs sind vor allem nicht etabliert genug und die Skepsis überwiegt bisher: Blogs gelten, auch wegen eines fehlenden Standardverfahrens zur Sicherung der wissenschaftlichen Güte, (noch) nicht als zitierwürdig. Das ist einerseits vielleicht auch gar nicht schlecht: der freie Austausch würde möglicherweise eher gehemmt als gefördert, wenn jeder gebloggte Gedanke mit den gleichen wissenschaftlichen Maßstäben gemessen würde wie regulär Publiziertes.
Andererseits: Solange Blogs in keiner anerkannten Form als wissenschaftliche Quelle dienen können, besteht ein gravierendes Problem für WissenschaftsbloggerInnen. Die gebloggten Gedanken und Erkenntnisse sind gewissermaßen vogelfrei, da sie unkontrolliert von Dritten geentert und als eigene ausgegeben werden können.
Vertrauen mit den Mitteln des Netzes aufbauen
Einig war man sich darin, dass die Situation nur verbessert werden kann, indem auf längere Sicht das Vertrauen in die Qualität von Wissenschaftsblogs gestärkt wird. Schwieriger war jedoch die Frage zu beantworten, welche Möglichkeiten wir haben, dieses Vertrauen – etwa durch Varianten eines „Gütesiegels“? – aufzubauen.
Die meisten Vorschläge, wie etwa ein Peer-Review-Verfahren, stellten sich als problematisch und kaum umsetzbar heraus – letzteres würde eine ohnehin oft mangelhafte Technik des Wissenschaftsbetriebs in eine Arena übertragen, die völlig anders funktioniert. Besser wäre es, Vertrauen durch ein dem Medium Internet entstammende Praxis zu erzeugen: durch – wie könnte es anders sein! – Vernetzung befreundeter und vertrauenswürdiger Blogs. Sich gegenseitig zu lesen und zu kommentieren hat auch einen Peer-Review-Effekt – ohne die Vorteile größerer Freiheit und höherer Geschwindigkeit zu opfern.
Blogs und Gegenöffentlichkeit
Können Blogs Gegenöffentlichkeit erzeugen und wie gelingt dies? Die Einschätzungen der versammelten BloggerInnen waren hier in der Regel positiv und optimistisch. Gerade Blogs seien viel besser dazu geeignet, die Öffentlichkeit zu erreichen als etwa ein kritischer Kommentar in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Zum einen, weil wissenschaftliche Artikel einer breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich seien, zum anderen, weil Fachjargon und disziplinäre Diskussionen in der Regel für „Laien“ unverständlich blieben. Für Kritik und Meinungsbildung braucht es aber Öffentlichkeit, ergänzte Ulf Buermeyer (Ijure).
Jens Olesen (Theorieblog) versprach sich vom Bloggen etwa die Wiederbelebung des philosophischen Essays als freier Form niedergeschriebenen Denkens, in Abgrenzung vom starren Korsett wissenschaftlichen Schreibens. Blogs erlaubten nicht nur, freier und kreativer zu schreiben, sondern auch, Wissenschaft als „Lebensform jenseits von Verwertungszwängen“ zu verwirklichen, wie Elmar Diederichs (Mind at Work) betonte. Er wandte sich aber gegen einen feuilletonistischen Stil.
Mut zur spitzen Feder! – so die Aufforderung von Max Steinbeis (Verfassungsblog) und Nikola Richter und Rery Maldonado (Los Superdemokraticos). Blogs können und sollen Diskussion anregen, Gespräche entstehen lassen und Ideen hervorbringen. Damit stellen sie Ressourcen bereit, die die Wissenschaft benötigt, aber nicht immer – und vielleicht nicht schnell genug – selbst erzeugen kann. Gerade weil Blogs schnell auf aktuelle und relevante Themen eingehen können, ohne unterkomplex oder verflachend über sie sprechen zu müssen, könnten sie nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Öffentlichkeit bereichern.
Welche (Gegen-)Öffentlichkeit?
Das klingt als Anspruch wunderbar, ist jedoch nicht immer ganz so einfach einzulösen. Das zeigt die Erfahrung von Los Superdemokraticos, einem internationalen Blogprojekt. Es soll kulturelle und sprachliche Hürden zwischen deutschen und südamerikanischen LeserInnen überwinden und so eine interkulturelle Öffentlichkeit für die publizierten Texte schaffen – die mittlerweile auch als Buch veröffentlicht sind.
Hier drängte sich die Frage auf, was eigentlich Öffentlichkeit erzeugt und woran hier Erfolg ablesbar ist? Die LeserInnen über die Kommentarfunktion zu beteiligen, wurde hier als ein gängiges Mittel diskutiert und problematisiert. Denn auch hier bietet sich unbekanntes Terrain, da es für den Prozess der schnellen Einbindung kaum erprobte Standards gibt und die Kategorien von genuiner Autorschaft oder intervenierender Co-Autorschaft angesichts neuer Praxen geprüft werden müssen.
Wie es weiter geht
So waren es am Ende zwei große Hoffnungen, die am Workshophorizont auftauchten: Die eine lautet, durch das Bloggen wissenschaftliches Schreiben, Publizieren und Kooperieren verändern, verbessern und wiederbeleben zu können. Die andere bewegt sich über den Tellerrand der Wissenschaft hinaus und will einen neuen Ort für kritisches Engagement erschaffen. Das sind große Ansprüche – ein Workshop kann sie natürlich nicht einlösen, nur aufwerfen.
Und weil jede Revolution – auch eine kleine – einer guten Organisation bedarf, schloss die Tagung mit einer Runde zur künftigen Zusammenarbeit. Sozialwissenschaftliche Blogs wollen sich besser vernetzen: um kritische Öffentlichkeiten zu schaffen und um wissenschaftliche Arbeitsformen weiterzuentwickeln. Wenn dies gelingt, berichten wir bald mehr davon. Dieser gemeinschaftlich verfasste Tagungsbericht war nur der erste Streich.
Chris (berlinergazette.de)
Leonhard (governancexborders.com)
Philipp (sicherheitskultur.org)
Eva, Maike, Jens, Thorsten (theorieblog.de)
Max (verfassungsblog.de)
Dieser Text erscheint parallel auf berlinergazette.de, Theorieblog, blog.sicherheitskultur.org, Blogmacherei.de, Mind at Work, Governance across borders (englische Version), dem Soziologiemagazin und dem Verfassungsblog.
interessante reflexionen, danke, aber hey, ist das ein reiner männersport? “die sozialwissenschaftler” im titel gehören doch gegendert – oder?
Schöne Zusammenfassung, obwohl sie leider nur das bestätigt was ich mal auf einer ähnlichen Veranstaltung gehört habe: irgendwie will man das Internet nutzen, aber was man da schreiben würde, versteht doch eh keiner.
Besonders Geisteswissenschaftler sollten Blogs als gute Austauschplattform verstehen.
Man sollte sich vielleicht hier auch ein Beispiel an den Naturwissenschaftlern nehmen, die das Internet schon viel besser nutzen, um effektiver zu arbeiten.
“Lässt sich mit Blogs der Akademismus überwinden?” das ist eine gute, kluge Frage!
@yade#1: danke für den Hinweis! wir haben das korrigiert.
@andi#2:”Man sollte sich vielleicht hier auch ein Beispiel an den Naturwissenschaftlern nehmen, die das Internet schon viel besser nutzen, um effektiver zu arbeiten”
das ist ein viel verbreitetes Bild von den Naturwissenschaften: sie vernetzten sich global optimal und pflegen eine Kommunikationskultur, die an die internationalen Nerds- und Hacker-Netzwerke erinnern.
Aber wie sieht es konkret aus? Gibt es denn tatsächlich eine Reflexionskultur innerhalb der Naturwissenschaften, die sich von den üblichen wissenschaftlichen Gepflogenheiten freimacht und soziale Medien in wirklich innovativen Weise nutzt?
Hallo Redaktion,
Anfang Februar war ich auf einer Veranstaltung in Essen die sich unter anderen mit der Frage auseinander gesetzt hat und in den Audiobeiträgen gibt es ein paar Beispiele wie es in der Naturwissenschaft funktioniert:
http://www.kwi-nrw.de/home/audiovortrag.html
apropos “das Gespräch dazwischen”: wie ich mal über meine Tagungsteilnahme schrieb ( http://berlinergazette.de/so-wars-mcdeutsch-in-giessen/ ), ist das dafür der Begriff “Gutter” passend. Was im Englischen für Regenrinne steht, ist ein Fachbegriff, welcher den Raum zwischen den Panels eines Comics bezeichnet.
In meiner Wahrnehmung ist dieses Gutter sogar zentral und nicht einfach nur peripher für eine Tagung – vielleicht auch für die Wissenschaft, und das in einem durchaus nicht immer guten Sinne.
Die Frage, die in meinen Augen aufgeworfen wird, lautet also: Wird durch die Blogs das Selbstverständnis der Wissenschaft nicht grundlegend verändert bzw. sichtbar gemacht – im Hinblick darauf, was Zentrum ist und was Peripherie?
Danke für den Beitrag an Chris und die anderen. Sehr spanennd finde ich an diesem Werkstattbericht, dass ihr eure Diskussionen und Standpunkte transparent macht.
Auf die Ausgangsfrage, warum die Wissenschaftler nun bloggen, sehe ich vor allem im letzten Absatz die Antwort “durch das Bloggen wissenschaftliches Schreiben, Publizieren und Kooperieren verändern, verbessern und wiederbeleben zu können” — wissenschaftliches Arbeiten ist immer work in progress, dem kann das Netz doch viel besser Rechnung tragen!
Meine Frage nun: Wann trefft ihr euch wieder, können da auch andere Blogger dazustoßen????
“Die NaturwissenschaftlierInnen – immer mit voller Fahrt voraus. Schreiben doppelt soviele Paper in halb soviel Zeit, plagiieren ihre Doktorarbeiten nicht und schauen gern ALF im Fernsehen, während GeisteswissenschaftlerInnen mit müden Augen Diskurse analysieren und keine Zeit für ALF haben. Blöd.”
@Helga Sonnenberg:
Danke. Genau das ist auch das Anliegen des Treffens und des anschließenden kollaborativen Schreibprozesses gewesen.
Ja, aufgrund der großen Resonanz und des akuten Diskussionsbedürfnisses werden wir uns wieder treffen; als Workshop wahrscheinlich leider erst im Frühjahr nächsten Jahres. Schick mir doch bitte eine E-Mail und ich informiere dich über weitere Schritte.