“Berlin fuer Arme” – ziemlich arm

Es ist wohl nur folgerichtig, dass im Kielwasser des Prekariat-ist-geil-weil-ich-dann-nicht-frueh-aufstehen-muss-Hypes jetzt der erste Wie-werde-ich-Unterschicht?-Ratgeber aufgetaucht ist. Bernd und Luise Wagners Berlin fuer Arme hat allerlei Tipps und Kniffe auf Lager, wie man fuer moeglichst wenig oder bestenfalls gar kein Geld seine alltaeglichen Beduerfnisse befriedigt findet.

So trinke ich nun dank der beiden Wagners durchschnittlich dreimal in der Woche in der Cafe-Lounge eines bekannten Fast-Food-Restaurants einen grossen Cappuccino fuer lau. Macht 7,90 Euro woechentliche Grosskapital- Sabotage. Und guten Kaffee.

Nicht, dass die frischen-Stempel-auf-Kaese-und-von-da-wieder- auf-Stempelkarte-abrollen-Nummer mich nicht schon als Schuelerin sicher durch die sich ab und an unheilvoll zusammenbrauende Schicksalskonstellation aus knapper Taschengeldwoche und Fahrscheinkontrollwelle gebracht haette. Ich hatte diese Ausgefuchstheit nur wieder vergessen. Und mich beschleicht ein Verdacht, wieso: Weil ich sie nicht mehr brauchte?! Ebenso muss man fuer die Erkenntnis, dass es zielfuehrender ist, Leuten, die Geld von einem wollen oder einem keines geben wollen, eher mal einen Tacken dreister zu begegnen und schon gar nichts unbesehen zu glauben, sondern erstmal seine Rechte zu studieren, nicht unbedingt Arbeitsagentur-Kunde sein. Da reichen BAfoeG-Amt, GEZ, Telekom und Verwandte in gerader Linie.

Auch, dass man bei Humana fuer ein paar Euro alles an Klamotten kriegt, was die angesagten Second-Hand-Laeden und In-Boutiquen fuer das Zehn- bis Fuenfzigfache verkaufen, vorausgesetzt, man nimmt sich das bisschen Zeit und Nerven, den ganzen uebrigen Plunder zu sichten, ist bestimmt jedem, der ueber wenig Geld verfuegt, ausgesprochen neu. Und hey! Urlaub in Thailand ist im Vergleich total billig, wenn man nicht gerade in den Pauschal-Clubanlagen absteigt! Bahnbrechende Insider-Tipps.

Dieses Buch ist nicht fuer Arme oder gar solche, die es werden wollen koennten, sondern allenfalls fuer Geiz-ist-Geil-Juenger, denen nur noch einer abgeht, wenn sie etwas vermeintlich total tricky fuer vermeintlich total wenig Geld erstanden haben und der Nachbar ganz bestimmt viel mehr bezahlt hat. Fuer solche, die wirklich wenig Geld haben oder jemals hatten, sind diese Tipps wirklich >fuer Arme<, eben weil sie diese Probleme alle schon mal zu loesen hatten - und, fuer den Fall, dass der Mangel keine freie Wahl war [solche soll es auch noch geben] wohl eher keinen Bock auf Armut-ist-cool-Attitueden haben. Mein diebischer Spass beim Partisanen-Cappuccino laesst auch schon wieder nach.

4 Kommentare zu ““Berlin fuer Arme” – ziemlich arm

  1. man sagt ja auch, dass mangel erfinderisch macht… warum sollte man diesem impuls durch bücher abhelfen?

    aber buecher gibt es dazu immer wieder, wie auch “stilvoll verarmen” von diesem royal tristesse-typen und park avenue-chefredakteur — also es geht hier um mangel als lifestyle.

    das ist kapitalismus. nichts bleibt unversehrt, alles lässt sich konsumieren. auch der mangel an konsummöglichkeiten.

  2. Es gibt durchaus interessante Bücher zu diesem Thema, zB: Karl Marx, Das Kapital

  3. Die schönsten Dinge im Leben sind eh umsonst (das heißt man muss nicht mit geld dafür bezahlen). Cappuccinos haben für mich noch nie dazu gehört.

  4. Klasse Buch!
    Ich hab noch ein paar Tips aus meinem persönlichen Repertoire:

    1. Ein Eis bestellen, schnell anlecken und dann zugeben, man hat kein Geld bei.

    2. Durch die Feinkostabteilung bei Karstadt gehen, sich den Mund wässrig machen und dann beim der fettigen Pommesmutti um die Ecke sich den Magen verderben.

    3. Statt eines Zeitungsabos: morgends den Menschen in der S-Bahn die Buchstaben weglesen.

    4. Der alte Trick mit dem Vogelschwarm.

    Bei Bedarf kann ich gerne konsultiert werden!
    Unglaublich, wat für Harrys es gibt.. *lacht*.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..