Die Mobilitätsinfrastruktur ist ein zentrales Thema in den Diskussionen um die kritische Transformation der Städte als Zentren des (fossilen) Kapitals. Die Herausforderung besteht darin, den Autozentrismus zu überwinden und sich wieder auf kollektive Mobilitätsnetze und Fahrzeuge zu konzentrieren. Am Beispiel der Trolleybusse in Bischkek, der Hauptstadt der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgisistan, erinnern Bermet Borubaeva und Egor Muleev daran, dass bei der Installation einer nachhaltigen Mobilitätsinfrastruktur auch die Frage der demokratischen Transparenz eine wichtige Rolle spielt: In Bischkek sind Trolleybusse das einzige elektrisch betriebene öffentliche Verkehrsmittel mit einer höheren Kapazität als alle anderen verfügbaren Verkehrsmittel. Dennoch will die Stadtverwaltung auf Anraten einer Schweizer Beratungsfirma den bestehenden Elektrobus durch einen weiteren Elektrobus ersetzen, natürlich auf Kredit.
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In der kirgisischen Hauptstadt Bishkek hat sich eine Trolleybus-Rettungsgruppe gebildet, die auf die erste Abschaltung der Oberleitungen für Trolleybusse im Jahr 2024 reagiert. Während der Sommermonate initiierte die Gruppe eine Reihe von Protestaktionen, an denen Bürger*innen, Mitarbeiter*innen der Trolleybusgesellschaft, Polizei, Staatsanwaltschaft, politische Parteien, Gerichte, Vertreter*innen von Banken und NGOs aus dem internationalen Finanzbereich teilnahmen.
Wir werden das Thema der Governance im Zusammenhang mit der öffentlichen Infrastruktur hervorheben. In diesem Zusammenhang bezieht sich Governance auf die Fähigkeit, eine Vision für die Zukunft zu definieren und die notwendigen Mittel für deren Umsetzung bereitzustellen. Im Drama um die Trolleybusse in Bischkek haben die Arbeiter*innen und Bürger*innen drei verschiedene Visionen und unterschiedliche Fähigkeiten, diese umzusetzen.
Herrschaft der Bürokratie
Öffentliches Eigentum bedeutet heute die Herrschaft der Bürokratie. Dabei ist zu beachten, dass sich der Begriff ‚Bürokrat*innen‘ nicht ausschließlich auf städtische Beamt*innen bezieht. Es gibt viele miteinander verflochtene Kreise, darunter die Verwaltung der städtischen Oberleitungsbusgesellschaft, das Finanzministerium (das die Verhandlungen mit multilateralen Finanzunternehmen überwacht), kontrollierte Institutionen (wie die Rechnungskammer und die Staatsanwaltschaft), Bankangestellte und verwandte Berufsgruppen. Bürokratie ist ein komplexes Phänomen, das aus einer Kombination von formellen und informellen Regeln, Traditionen und Ideen besteht.
Der Trolleybus ist ein gutes Beispiel dafür. In den 2010er Jahren stellte die Stadtverwaltung Mittel aus verschiedenen Quellen, darunter auch von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), für die Erneuerung der Flotte und die Instandhaltung der Infrastruktur bereit. Im Jahr 2019 legten Berater der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) einen Bericht vor, in dem sie zu dem Schluss kamen, dass das bestehende Trolleybussystem keine lohnende Investition sei, und empfahlen die Umstellung auf Elektrobusse. Sie schlugen nicht vor, die Trolleybusse ganz abzuschaffen, sondern die Dieselflotte teilweise durch Elektrofahrzeuge zu ersetzen. Daraufhin finanzierte die EBRD den Kauf von 1.000 CNG-Bussen als Ersatz für die Dieselflotte. Damit war die Machbarkeitsstudie der ADB hinfällig. Die ADB hat bereits Mittel zur Verfügung gestellt, aber die Ergebnisse ihrer Machbarkeitsstudie sind unter den gegebenen Umständen nicht mehr relevant.
Darüber hinaus besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den angekündigten und den tatsächlichen Ergebnissen. Die internationalen Banken betonen in ihren Erklärungen Nachhaltigkeit, Robustheit, Resilienz, Klimafreundlichkeit, Armutsbekämpfung und Gerechtigkeit. Die Anschaffung einer neuen Flotte und Ausrüstung ist jedoch das einzige sichtbare Ergebnis. Die Haltung der Stadtverwaltung scheint von passiver Akzeptanz geprägt zu sein, wobei die Mittel konservativ verwaltet werden, um die Aufrechterhaltung des bestehenden Verkehrssystems ohne wesentliche Änderungen zu gewährleisten. Das Liniennetz bleibt unverändert, ebenso das Tarifsystem und das autozentrierte Verkehrsmanagement. Das Personal des öffentlichen Nahverkehrs wird weiterhin stark ausgebeutet. Im Juni 2024 leitete die Stadtverwaltung jedoch den Abriss des Trolleybussystems ein, da es sich wirtschaftlich nicht rechnet, Staus nicht zu vermeiden sind und die Infrastruktur unansehnlich ist. Aktivist*innen behaupten außerdem, dass die gesetzlichen Verfahren für eine solche Entscheidung nicht eingehalten wurden, da die Anweisung telefonisch erteilt wurde. Weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft konnten jedoch Beweise für einen Gesetzesverstoß finden. Außerdem scheinen die Stadtplanungen nicht wie vorgesehen zu funktionieren.
In gewisser Weise wird die Zukunftsvision der Stadt von der Stadtverwaltung als Geisel gehalten. Als Teil der Organisationsstruktur besteht die Möglichkeit der Unterordnung unter eine höhere Ebene, da alle finanziellen Vereinbarungen über das Finanzministerium und das Parlament laufen. Vor diesem Hintergrund gibt es keine übergreifende Zukunftsvision. Vielmehr resultieren die auf Stadtebene sichtbaren Einzelentscheidungen aus kurzfristigen Abhängigkeiten.
Arbeiter*innenkämpfe
Das Hauptziel aller Mitarbeiter*innen ist die Aufrechterhaltung einer optimalen technischen Leistung. In den meisten Fällen haben sie nicht viel Autonomie bei der Festlegung der Tagesordnung, aber es wird von ihnen erwartet, dass sie die bestmöglichen Ergebnisse erzielen, unabhängig von erheblichen Engpässen bei den verfügbaren Ressourcen. Obwohl das Oberleitungsnetz etwas veraltet ist, werden Anstrengungen unternommen, um das System zu erhalten. Die Ingenieure hatten das Glück, von der EBRD Mittel für den teilweisen Austausch der elektrischen Ausrüstung zu erhalten. Es wurden einige Änderungen am Liniennetz vorgenommen, einschließlich kurzer Verlängerungen, die jedoch nur begrenzte Auswirkungen hatten. Angesichts dieser Umstände wählte die Trolleybusgesellschaft einen konservativen Ansatz und führte schrittweise Verbesserungen durch, die es ermöglichten, das System mit den verfügbaren Ressourcen und dem vorhandenen Fachwissen in Betrieb zu halten. Diese Strategie erwies sich als erfolgreich, da die Fahrgastzahlen vor der COVID-19-Pandemie stiegen und sich danach wieder erholten.
Im August 2023 streikten die Fahrer*innen für eine Lohnerhöhung. Ein Jahr später, im Sommer 2024, beteiligten sie sich nicht an Protestaktionen im Zusammenhang mit der möglichen Schließung des Trolleybusbetriebs. Der einzige Mitarbeiter, der einen persönlichen Beitrag leistete, war ein Disponent einer der Unterstationen. Ein Ingenieur der Obus-Gesellschaft unterstützte die Rettungsgruppe mit Informationen über alle geplanten nächtlichen Netzabschaltungen. Gleichzeitig verließen mehrere Ingenieur*innen und Arbeiter*innen das Unternehmen, um gegen die Demontage des Systems zu protestieren. Sie beteiligten sich jedoch nicht an den Protesten.
Offensichtlich besteht eine Diskrepanz zwischen dem Engagement für die Arbeit und der Unfähigkeit, Bedenken zu äußern. Die Rolle der Stadtverwaltung bei der Umverteilung von Ressourcen stellt eine erhebliche Einschränkung für die von Ingenieur*innen geleitete Unternehmensführung dar. Ein zunehmender Autoritarismus hat ein Klima der Angst geschaffen, das die Menschen davon abhält, ihre Bedenken zu äußern. Die einzige Möglichkeit, die Ingenieur*innen und Arbeiter*innn bleibt, ist, das Unternehmen zu verlassen und den Wissenstransfer zu verhindern. Aufgrund der hohen Fluktuation und der sinkenden Qualifikation der verbleibenden Mitarbeiter*innen hat sich die Führungsstruktur in Richtung weniger qualifizierter, aber gefügiger Beziehungen verschoben. Dies gibt der Stadtverwaltung erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Zukunftsvision des Verkehrssystems, die möglicherweise nicht vollständig mit den Leistungszielen der Ingenieure übereinstimmt.
Öffentlicher Verkehr
Im Frühjahr 2024 leitete das Rathaus die weitere Reduzierung von Fahrdiensten ein. Auch das Drama um die Trolleybusse hat zu einer generellen Reduzierung der im Einsatz befindlichen Fahrzeuge beigetragen. Trolleybusse sind das einzige elektrisch betriebene öffentliche Verkehrsmittel mit einer höheren Kapazität als alle anderen verfügbaren Verkehrsmittel. Als Folge dieser Politik ist der öffentliche Verkehr seit Beginn des neuen Schuljahres stark überlastet.
Als Reaktion auf diese Bedenken und das Trolleybus-Problem organisierte die Rettungsgruppe zwei Bürgerversammlungen zum Thema Verkehr. Dies war eine einmalige Gelegenheit für die Bürger*innen, sich Gehör zu verschaffen. Den Teilnehmer*innen wurde ein offenes Mikrofon zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Meinung äußern konnten, und viele Bürger nutzten diese Gelegenheit. Neben den Trolleybussen forderten die Bürger*innen häufigere und größere öffentliche Verkehrsmittel. Während die strategischen Ziele der Verantwortlichen noch unklar sind, hat die Rettungsgruppe eine Diskussion angestoßen, die eine große Unzufriedenheit mit der Verwaltung des städtischen Verkehrssystems offenbart hat. Als Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen wurde eine selbstorganisierte Plattform eingerichtet, auf der Ideen für die Zukunft der Trolleybusse in Bischkek gesammelt werden können.
Neben der Kundgebung organisierte die Rescue Group eine Reihe von Aktivitäten. Dazu gehörten eine Trolleybus-Tour durch die Stadt, eine Aktion mit dem Titel ‚Der letzte Trolleybus‘ an der Bushaltestelle vor dem Rathaus und eine Fotoausstellung mit dem Titel ‚Loving Trolleybuses‘. Ziel dieser Aktivitäten war es, die umfassendere Rolle des 70 Jahre alten Trolleybussystems über den rein funktionalen Aspekt hinaus hervorzuheben. Darüber hinaus wurden alle nächtlichen Oberleitungsstörungen akribisch dokumentiert und über Social-Media-Kanäle weit verbreitet. Schließlich wurden zwei Gerichtsverfahren angestrengt und Beschwerden über die internen Kontrollmechanismen der Bank eingereicht. Als wahrscheinliches Ergebnis dieser Aktivitäten wurde der geplante Abriss der Oberleitungen gestoppt. Bis heute sind ca. 20 km des 200 km langen Netzes verloren gegangen und 30 Fahrzeuge wurden in andere Städte der Kirgisischen Republik verlegt.
Wessen Zukunftsvision?
Die Verwaltung der öffentlichen Infrastruktur legt nahe, dass das Rathaus die Hauptverantwortung für die Entwicklung einer langfristigen Zukunftsvision tragen sollte. Durch den Einsatz von Exekutivmechanismen und informellen Beziehungen monopolisieren einige wenige Bürokrat*innen effektiv die Fähigkeit, sich zukünftige Möglichkeiten vorzustellen. Die Entscheidung, die Trolleybusse zu verschrotten, ist eine lokale Initiative, die nicht Teil einer umfassenderen Strategie zur Verbesserung des Verkehrssystems ist. Unsere Beobachtungen zeigen, dass es nicht nur an einer Strategie fehlt, sondern auch an Daten und Verantwortlichkeiten.
Während der Sommermonate hat die Rescue Group eine Diskussion zu diesem Thema angestoßen und eine alternative Perspektive für die Verwaltung der öffentlichen Infrastruktur vorgestellt. Der Protest hat bereits vielversprechende Ergebnisse hervorgebracht, die darauf hindeuten, dass er trotz der Herausforderungen, die sich aus den autoritären Tendenzen in der Kirgisischen Republik ergeben, das Potenzial für weiteres Wachstum und Entwicklung hat.