Ausgeloescht!

Sie lesen die Zeilen eines nicht mehr existenten Autors. Schrecklich, was? Womoeglich hat es mich auch nie gegeben. In jedem Fall bin ich eine Faelschung. Meine Existenz laesst sich zumindest nicht mehr einwandfrei verifizieren. Ich wurde deshalb kurzerhand ausgeloescht!

Vom Antlitz der digitalen Welt getilgt. Das geschah im Laufe des Februar, heimlich, von mir selbst unbemerkt, im Hintergrund, diskret aber unbarmherzig. Eine kalte, anonyme Bestattung. Wenn man den wenigen serioesen statistischen Erhebungen in diesem blutruenstigen Gewerbe glauben darf, vermutlich liquidiert von einem zu 88 Prozent jungen Mann, von durchschnittlich 31 Jahren, zu 57 Prozent ledig, Abitur, mit einem 74 Prozent Hochschulabschluss, der taeglich im Schnitt zwei Stunden lang Verbrechen dieser Art begeht.

Diesen Job haelt man nicht ewig durch, das ist klar. Der Druck wird mit der Zeit unmenschlich. Viele gruenden irgendwann eine Familie oder vollziehen einen buergerlichen Aufstieg, der dies grausige Gewerbe unmoeglich macht. Denn ebenso geheimnisvoll, wie er vor zwei Jahren auftauchte, verschwand er vor Wochen auch wieder: Mein Wikipediaeintrag! Irgendjemand hatte einst einen Teil meiner Biographie halbrichtig zu einem Artikel zusammengefasst, mit Links versehen und in diese Online Enzyklopaedie gestellt. Ein Freund machte mich rasch darauf aufmerksam. Fassungslos musste ich einige Tage mitlesen, wie von Seiten einer Art >Relevanzvolksgerichtshof<, ueber meine Person diskutiert und der Artikel staendig veraendert wurde. Wildfremde begannen in meinem Leben zu wuehlen, um schliesslich zu dem grotesk unerfindlichen Urteil zu kommen, das meine Vita veritabel und zu veroeffentlichen sei. Ich hatte dabei die ganze Zeit das Gefuehl, geknebelt und gefesselt an der Wand zu haengen, wie ein Hannibal Lecter bei seinem finalen Schau-Prozess. Etwas verwirrend, aber immerhin amuesant. Kurz ueberlegte ich, ob ich als zeitgeschichtlich irrelevante Person das Recht habe, meine Loeschung zu verlangen. Aber schon die interne Konversation jener Millimeterpapier-Scharfrichter, war mir recht unertraeglich. Die Vorstellung mit diesen staubigen Kraemerseelen, astrologisch gesehen sicher Jungfrau, Aszendent Steinbock, kommunizieren zu muessen, liess mich schaudern. Ausserdem war meine Mutter irgendwie stolz auf mich.

Nun hat ein solcher Eintrag bei weitem nicht so viele Vorteile, wie es der gemeinhin feuchte Traum eines Nerds verspricht. Fuer Menschen wie mich, die sich auf verschiedensten sozialen Netzwerken gerne mit verkleideten Profilfotos oder Falsch-Namen tarnen, ist dies nackte Blossstellen eines ganzen Lebens eher unangenehm. Eine Art glaeserne Krankenakte und unfreiwillige Steuererklaerung. Fies. Im Gegenteil, mir erwuchsen daraus sogar Nachteile: Jede Frau, die ich abends irgendwo kennen gelernt hatte, konnte am naechsten Tag kurz googeln und wusste sehr genau, mit wem sie es zu tun hatte.

Absoluter One-Night-Stand Killer! Von zumindest einem lukrativen Auftrag weiss ich explizit, dass er mir wegen des Wikipediaeintrages verloren ging. Man hielt mich fuer mittlerweile viel zu beschaeftigt und teuer. Denn ich hatte es ja offenkundig geschafft. Grossartig! Das wurde wohl nur meinem Geldbeutel niemals offiziell mitgeteilt. Im Laufe der Zeit entwickelte ich mich, durch regelmaessige Wiki-Updates, zu einem der beruehmten Soehne meiner Stadt und meiner vormaligen Hochschulen. Ob die nun wollten oder nicht. Irgendwie auch unheimlich.

Und jetzt dieses brutale Ende: Meine vielfaeltig benutzten Pseudonyme und mein unsteter ADS-Lebenslauf, wurden mir zum tragischen Verhaengnis. Einem dieser Aermelschoner mit latentem Asperger-Syndrom, wurde beim Ueberpruefen meines Eintrags anscheinend schwindlig: Das konstante Tanzen auf mehreren kreativen Hochzeiten gleichzeitig, dazu die Verwendung von mindestens drei Pseudonymen ueber beinahe 20 Jahre. Das war wohl viel zu komplex fuer seine Inselbegabung.

Anhand der Loeschungsdiskussion fand ich heraus, dass man meinen Lebenslauf fuer widerspruechlich hielt, das koenne nicht sein, da stimme etwas nicht. Das deckt sich soweit mit der Haltung meiner Ex-Freundinnen und des Finanzamts. Auch koenne Google [wohl so etwas wie das hoechste Weltverfassungsgericht] meine Pseudonyme und mich nicht eindeutig in Zusammenhang bringen. Folglich sei ich ein Fake. Es gebe mich gar nicht, die Lebensleistung dreier Menschen sei faelschlicherweise auf eine Person uebertragen worden.

Nun haette man zwar mit zwei bis drei weiteren Klicks und etwas Nachdenken der Wahrheit auf die Spur kommen koennen, aber das war wohl nicht die Aufgabe des jungen Herren, er handelte schliesslich nur auf eine Art inneren Befehl. Alte deutsche Tradition. So landete ich umgehend in der Wikipedia Todeskammer und wurde hingerichtet. Keine Loeschung aus Irrelevanz, das haetten ich und mein Insolvenzverwalter sofort verstanden, nein einzig aus Nichtexistenz! Jetzt wandele ich gespenstisch bleich, mit meinen Pseudonymen traurig neben mir her schleichend, durch die Welt, im Wissen eine Faelschung zu sein.

Es gibt mich gar nicht. Wie Bruce Willis im Film >The Sixth Sense< habe ich erst jetzt realisiert, laengst tot zu sein. Zumindest digital. Also warte ich drehbuchgetreu auf einen kleinen Jungen, der irgendwann einmal mit grossen Augen auf mich deuten wird: >I see dead people!< Vielleicht gibt es diesen ganzen Text auch gar nicht und sie starren seit Minuten auf einen leeren Monitor? Wer weiss? Aber die Akquise von neuen Auftraegen und abends unerkannt Frauen abzuschleppen, wird als Unsichtbarer wieder deutlich einfacher! Herrlich!

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.