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Das Internet hält die Gesellschaft in Bewegung. Die Kundenlandschaft ist da keine Ausnahme. Hier lauten die Stichworte: Partizipation, Mitbestimmung und Social Payment. Wirtschaftsjournalist Lothar Lochmaier schaut kritisch auf die wichtigsten Triebkräfte für diese Dynamik.
Der Kunde ist aufgewacht und kommt wie der gute Flaschengeist aus der Flasche. Er hinterfragt die Leistungsversprechen der Anbieter. Die Triebfeder: Geld ist nicht im Überfluss da, sondern deutlicher als vor zwei Jahrzehnten sozial asymmetrisch verteilt. Gerade in der Mitte und unten in der Gesellschaft muss und wird man sich umso genauer überlegen, wen man wie finanziert, wie man sein Geld ausgibt, und wie man Produkte mit gutem Preis-Leistungsverhältnis einkauft.
Es ist im Prinzip banal, aber erst mit dem Internet kann der Kunde seinem Anbieter auf Augenhöhe begegnen, und wenn ihm und vielen anderen etwas nicht gefällt, dann kann er das Unternehmen auch zum Umdenken bewegen. Eine Kundin der Bank of America, der die Bank zu Unrecht wegen einer einmaligen Kontoüberziehung 15-18 Prozent “Strafzinsen” aufbürdete, stellte ein Video ins Netz, das die Großbank zunächst ignorierte. Als es eine halbe Million Mal angeklickt wurde, musste die Bank schließlich einlenken.
Das zeigt: Kunden und natürlich auch Mitarbeiter bestimmen viel stärker als früher den Markenwert eines Unternehmens. Eine zentrale Marketingorchestrierung, die von oben herab alles steuern kann – vor allem mit viel Geld – um alle Kritiker zum Schweigen zu bringen, ist heute so nicht mehr denkbar.
Einfluss nehmen auf die Produkte
Die klassische Zielgruppensegmentierung versagt im Netz. Verhalten sich “alte” Menschen noch so wie wir uns dies vorstellen? Wohl kaum mehr. Es wird zwar weiterhin passive Verbraucher geben. Aber die Treiber neuer Entwicklungen sind vernetzte und so gesehen informierte und aufmüpfige Kunden, die wissen wollen, was hinter der Kulisse abgeht. Mit klassischen Marketingkampagnen sind die aber nicht mehr erreichbar. Sie schaffen sich eigene Netzwerke, vor allem jene, die soziale Netzwerke längst als integralen Bestandteil ihres alltäglichen Lebens ansehen. Sie werden die Wirtschaft zwar nicht komplett auf den Kopf stellen, aber viele Dinge anders angehen als die etwas saturiert gewordenen alten Eliten.
Nicht zuletzt können Kunden ihre Kaufkraft als politisches Instrument einsetzen (Boykott von Marken, etc.). Zum Boykottpotenzial kann man folgendes sagen: Erfolgt der Blickkontakt zwischen Anbieter und Kunde bei einer bestimmten Klientel nicht auf gleicher Augenhöhe, dann wenden diese sich einer Alternative zu, bei der sie selbst Einfluss nehmen auf die Produkte und Entscheidungsprozesse in einer von Hierarchien befreiten und vom Produktmüll entrümpelten Wirtschaft. Und diese Gruppen sind mittelfristig betrachtet auch die Trendsetter für die breitere Masse.
Im Netz kann nicht alles kostenlos sein kann
Heute ist “Freiwilliges Bezahlen” ein wichtiges Stichwort der zeitgenössischen Netzkultur – von flattr bis zur aktuellen taz Kampagne. Ich denke: Nicht der Kunde muss bereit dafür sein, sondern das Modell muss sich selbsterklärend am Markt etablieren. Der Pferdefuß von flattr und Co. besteht darin, dass der Flaschenhals oben immer dünn ist. Sprich, ein paar wenige, die am bekanntesten sind, erhalten etwas Geld und die große Masse geht leer aus.
Kurzum: Im Netz spiegelt sich mit Blick auf die Mediennutzung die selbe Hierarchie wie in der klassischen Industrie wider. Das vergessen einige Aktivisten. Man muss die Sprache des Geldes auch jenseits von Schwarz-Weiß-Malerei verstehen. Natürlich sollten auch Verbraucher erkennen, dass im Netz nicht alles kostenlos sein kann, insbesondere hochwertige Inhalte. Aus meiner Sicht sind wir hier aber erst am Anfang einer Entwicklung, und erst wenn sich komplette Wertschöpfungsketten noch weiter ins Netz verlagern, dann ist der Boden für vernünftige Bezahlmodelle bereitet, von denen nicht erneut wie in der klassischen Medienwirtschaft einige Platzhirsche profitieren und der große Rest geht leer aus.
Wie gesagt, es gibt hier keine allgemein gültige Blaupause. Auch die TAZ-Kampagne würde ich noch nicht als revolutionär bezeichnen, kurzfristig kann sie ein gewisses Mobilisierungspotenzial in den eigenen Reihen entfalten, mittelfristig stellt sich dann rasch ein Gewöhnungseffekt ein. Die Macher einer neuen Netzkultur, so hart und illusionslos sich das anhören mag, sind erst einmal aufgefordert, ein intelligentes Geschäftsmodell zu konzipieren, das die Nutzer überzeugt, und dann kann man über die Bezahlformen reden.
Was Bezahlmodelle wie flattr und Co. angeht, so bringt uns auch eine Art von nichthierarchischem Poolmodell zur Umlage von Beträgen à la VG Wort nicht direkt ans Ziel. Denn auch dort erhalten die, die am meisten geschrieben haben, letztlich die höchsten Ausschüttungen. Aber man könnte natürlich einen “Korrektivkoeffizienzten” nach unten einführen – damit nicht oben
genau das passiert, was man im Volksmund in blumigen Worten so bezeichnet: “Der Teufel scheißt immer auf den größten Misthaufen!”
Dem müsste man konzeptionell entgegen steuern, aber es wird immer einen Leistungs- und Kreativwettbewerb um die Gunst der Leser in der “Aufmerksamkeitsökonomie 2.0” geben.
ich sehe das problem auch darin: bei den meisten social payment-modellen haben die am meisten was davon, die ohnehin schon die meiste aufmerksamkeit (und damit auch geldzufluss) haben.
wie sieht es da mit der kulturwertmark vom CCC aus, ist das ein modell, bei dem das umgangen werdne könnet?
@1: Der CCC sieht das ja so: “Damit das System die gewünschte Wirkung zeigt und ein hinreichend großes Volumen erreicht, könnte beispielsweise jeder Nutzer durch einen Zuschlag zum Internet-Breitbandanschluß beteiligt werden, den er dann in Form von anonymen Micropayment-Einheiten, den Kulturwertmark, zum Belohnen von Werken seiner Wahl zurückerhält.”
@Mira: im Prinzip ist damit das Problem noch nicht gelöst, es gibt immer eine Asymmetrie zwischen den Interessen des Verwerters und jenen des Urhebers. Anders gesagt: Digitale Kopfgeburten, wenngleich der Ansatz der Kulturwertmarkt durchau…s ein Schritt in die richtige Richtung ist, führen knapp am Ziel vorbei. Letztlich ist die digitale Währung ja nur ein vordergründiges Stilmittel, am Ende entscheidet der (nicht immer so freie “Markt”, er definiert Angebot und Nachfrage, ob über eine Community, ob anoynm oder persönlich, am Ende ist Geld, was gilt…. die gute Nachricht: Wie gesagt, es wird sich einiges ändern, wenn das Netz sich in der breiten Masse etabliert hat, und dann wächst auch die Bereitschaft der Nutzer, sich auf neue Modelle einzulassen.Wichtig sind dann aber faire und leistungsgerechte Bedingungen für die Urheber, aber auch alle anderen, so dass das Modell sauber ausbalanciert ist. Patentrezepte? Derzeit noch keine in Sicht.
@Mira 2: Noch ein strukturelle Problem, das gar nichts mit dem freien Markt zu tun hat: Wenn es ab 2013 die GEZ-Gebühren zwangsweise fürs Internet gibt, könnte es zu einem Machtkampf über die Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land kommen. Denn es stellt sich halt die Frage: Wer profitiert davon? Sind es immer die Richtigen, das gilt auch für den Breitbandanschluß – s. obige CCC-Aussage…
Letzter Nachtrag: Übrigens muss sich auch eine Stiftung -ob Open Source oder nicht – aus den Mitteln der Community refinanzieren. Auch hier gilt es Äpfel und Birnen fein säuberlich auseinanderzuhalten…
“es wird sich einiges ändern, wenn das Netz sich in der breiten Masse etabliert hat, und dann wächst auch die Bereitschaft der Nutzer, sich auf neue Modelle einzulassen.”
haben wir diesen Punkt nicht genau jetzt schon erreicht? oder was sollte der unterschied genau sein zu dieser avisierten Zukunft und dem Jetzt-Zustand? ich meine, die Massen sind im Netz und sie sind auch offen für neue Modelle, was sich auch darin zeigt, dass sie “Gratis-Mentalität” angenommen werden, das spricht doch auch für einen Wandel, für eine Biegsamkeit gegenüber den üblichen Wegen Kunde zu sein und für eine Offenheit gegenüber dem neuen, eine Offenheit, die ohne ein Vertrauen in das Internet nicht denkbar wäre.
“Wenn es ab 2013 die GEZ-Gebühren zwangsweise fürs Internet gibt, könnte es zu einem Machtkampf über die Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land kommen. Denn es stellt sich halt die Frage: Wer profitiert davon?”
was ist darunter zu verstehen? was implizieren sie hier eigentlich? ich meine, ich kann mir das Szenario gar nicht richtig vorstellen, dass da 2013 stattfinden soll und wer davon profitiert…
ich fnde die Kritik an flattr durchaus berechtigt. Aber sollten wir nicht versuchen auch die positiven Effekte sträker und besser herauszuarbeiten? Ist es nicht so, dass flattr v.a. eine sinnvolle Veränderung auf der Kundenseite initiiert? Anbieter werden vielleicht nicht angemessen und gerecht profitieren, aber die Kunden lernen die Gratismentalität abzulegen, auf eine sanfte, und wie ich finde, gute Weise.
ich denke wir müssen unterscheiden zwischen flattr und dem Kulturwertmark-Modell des CCC: das eine basiert auf Freiwilligkeit, das andere auf Zwang (analog zum Steuerprinzip).
Die Idee der Freiwilligkeit bringt eine Innovation auf “Kundenebene” wie soeben Rainald Krome in der Dikussion schrieb ( http://berlinergazette.de/aufstand-der-kunden/#comment-56433 )
Die neue Idee der Zwangsabgabe (a la CCC) bringt eine Innovation in der Güterfrage: wem gehören die ganzen Dinge im Internet eigentlich? ab einem gewissen Zeitpunkt sollen sie Gemeingüter werden!
Beide Ideen lösen allerdings nicht das Problem der ungerechten Verteilung von Einnahmen bei den Content-Produzenten, da beide nach dem Aufmerksamkeitsprinzip ordnen, wer wieviel bekommt, da hat @Lothar Lochmair ganz recht!
Das Problem von vermeintlicher Partizipation ist die weiterhin starke Tendenz zur Negierung. Im Netz funktioniert vor allem Negativ-Kritik: Der Verriss, “Rant”, Boykott-Aufruf und Aufreger. Auf dieses Phänomen hat schon Lovink mehrfach hingewiesen und es lässt leider alle anderen Unternehmungen im Schatten stehen.
Wir brauchen eine umfassende Ökonomie der Aufmerksamkeit, ja!
ist das Video der Bank-Kundin (“halbe Million Mal angeklickt”) nicht beste Beispiel dafür, dass die asymmetrische Aufmerksamkeitsökonomie im Netz eben das verhindert, was Sie als neue Markenordnung darstellen? Marken können in so einem Fall beeinflusst werden, aber es ist ein Ausnahmefall, da die wenigsten Kunden es schaffen, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen: die anderen im Netz bekommen davon nichts mit oder wollen es nicht.
Kurz: was sie auf die flattr & Co. beziehen, sollen man auch auf die Markenkommunikation und alles andere auch beziehen, es ist die Realität des Netzes. wir haben es hier nicht wie immer herausgehoben wird mit dieser neuen Schwarmintelligenz der Netzgemeinde zu tun, sondern mit einer neuen Masse von Minderheiten, viele, kleine, fragmentierte Mini-Zirkelchen, die selten über den eigenen Tellerrand hinauskommen, für diese Stimmen haben weder die flatterer noch die Markeningenierue ein Gehör, noch sonst wer — ausser eben im Glücksfall, wenn das eine zum anderen kommt…
Die obigen Kommentare zeigen ein sehr vielschichtiges Bild der Thematik. Es gibt sehr kritische Einwände, insbesondere der letzte Kommentar “Masse von Minderheiten” und “fragmentierte Mini-Zirkelchen” bringt den systemimmanenten Webfehler von Bezahlmodellen wie flattr auf den Punkt.
Auf der anderen Seite, das zeigen die obigen Kommentare auch, sind wir an einem Punkt, wo sich im Netz neue Spielregeln in der Aufmerksamkeitsökonomie tatsächlich Raum verschaffen können. Und da sich auf einer höheren Betrachtungsebene die Marken anders bilden, der Kunde mehr Einfluß hat, und auch die Medienindustrie sich um neue Varianten bereichert, so bleibt dies auch nicht ohne Folgen für die Geschäfts- und damit auch letztlich die Bezahlmodelle.
Man muss die einzelnen Modelle – siehe die gute Unterscheidung von Krystian – genau unter die Lupe nehmen, und sorgfältig auf Defizite und Potentiale untersuchen, denn der long tail ist kein Selbstläufer, wir wollen ja nicht, dass sich selbiger in den eigenen Schwanz beißt, oder?
@#10: was genau wären denn die neuen Spielregeln in der Aufmerksamkeitsökonomie des Netzes?
ich sehe dass flattr sich weiterentwickelt hat… man kann inzwischen auch individuelle festbeträge spenden – wohingegen bis kürzlich meine spendensumme durch die anzahl der klicks dividiert wurde… das ist neu und ist eine neue logik der verteilung von geld in einer nicht so gleichmässig verteilten ökonomie der aufmerksamkeit… die vielen kleinen zirkel, die es so gibt, diese können nun ihre lieblingsproduzenten nun durchaus schlagkräftig unterstützten (mit dem besagten festbetrag)… selbst einmal flattr reicht um die einnahmen gleichzustellen mit einem, der die flattr charts anführt mit über 100 flattr-klicks etc.
die flattr charts sagen an, wer wie oft geflattert wurde aber nicht wer am meisten eingenommen hat…
so glaube ich differenziert sich flattr weiter aus und es liegt an den leuten, die flattr verbreiten wollen, diese entwicklungen zu vermitteln, sie müssen arbeit am kunden leisten, vermittlungsarbeit, fast klassisch schon
Den Satz von Rainald Krome “Kunden lernen die Gratismentalität abzulegen, auf eine sanfte, und wie ich finde, gute Weise.” ist eine super Aussage.
apropos aufstand der kunden, hier gibt es parallel einen aufstand der fan-sklaven, ich finde, da kommt was zusammen, was zusammengehört ; )
http://www.zeit.de/2011/27/Facebook-Fanaufstand