Gegen die wachsende ökonomisch-ökologische Gewalt anzukämpfen bedeutet nicht zuletzt, Solidarität als politische Praxis zu mobilisieren, die dazu beitragen kann, die traditionelle Dichotomie von Stadt und Land zu (re)territorialisieren, um politische Handlungsfähigkeit in transnationalem Aktivismus und internationalistischen Allianzen zu fördern. Ausgehend von den Aufständen im mexikanischen Lancandon-Dschungel in den 1990er Jahren und anderen Bewegungen seither zeigt Claudia Villegas Delgado in ihrem Beitrag zur „Kin City“-Textserie, wie solche Kämpfe die öko-urbane Revolution des 21. Jahrhunderts präfigurieren.
*
Solidarität funktioniert nur im Auf und Ab von gegenseitiger Anerkennung und Respekt. Wenn ich an die Protestwellen denke, die versucht haben, den sozialen Kräften, die unsere kollektive Erfahrung antreiben, einen Sinn zu geben – jene, die mit der Entstehung einer globalen Bewegung für soziale Gerechtigkeit in den 1990er Jahren verbunden sind, und jene, die in der Folge des finanziellen Zusammenbruchs der Weltwirtschaft entstanden sind (Robinson, 2004) – glaube ich auch, dass Solidarität als politische Praxis dazu beigetragen hat, die traditionelle Dichotomie von Stadt und Land zu (re)territorialisieren, um politisches Handeln in der Artikulation von transnationalem Aktivismus und Allianzen zu fördern. In konzeptioneller Hinsicht erlaubt uns diese treibende Kraft, Henri Lefebvres “urbane Revolution” (1970) fortzuführen, um darüber nachzudenken, inwiefern Städte – als Motoren des sozialen und wirtschaftlichen Wandels – die Artikulation einer geografisch transnationalen Arena vorwegnehmen, in der räumliche Unterschiede und Formen, einschließlich der Städte und Nationalstaaten, nicht nur zum Nutzen des Kapitals, sondern auch der Arbeiter*innenklasse und enteigneter Communities wirken.
Im Folgenden werde ich zu zeigen versuchen, wie dieser Aktivismus den Weg für die Realisierung des emanzipatorischen Potenzials des urbanen Stoffwechsels ebnet und es radikalen sozialen Kräften ermöglicht, sich – am selben Ort und zur selben Zeit – in der Zentralität der Stadt und ihrer öffentlichen Räume zu treffen.
Im Jahr 1994 gehörte die Farmer*innengewerkschaft von Nebraska zu den ersten, die sich mit dem zapatistischen Aufstand im Lacandonischen Urwald solidarisierte, einem strategisch wichtigen Naturschutzgebiet, aber auch einem Gebiet, das im ländlichen Mexiko durch tiefe infrastrukturelle Marginalisierung und Enteignung gekennzeichnet ist. Von den Rändern des Landes und des mexikanischen Staates aus führten die Zapatistas einen Krieg gegen NAFTA und die neoliberale Politik. Ihre Idee, eine Revolution zu machen, ohne die Macht zu ergreifen, hat zweifellos dazu beigetragen, den antikapitalistischen und antisystemischen Aktivismus im Globalen Norden wiederzubeleben. Und noch heute können wir lernen, wie die Zapatistas unter militärischer Belagerung geografische Vorstellungskraft nutzten, um die Solidarität des europäischen und US-amerikanischen urbanen Aktivismus im und aus dem lacandonischen Urwald zu mobilisieren, indem sie geografische Grenzen sowie den materiellen und symbolischen Raum überwanden, der den Urwald vom Rest der Welt trennte.
Vom Land in die Stadt
Die Solidarität, die sie durch die Organisation von Schlüsselereignissen wie dem “Interkontinentalen Treffen für die Menschlichkeit und gegen den Neoliberalismus” (1996) und der “Zapatistischen Escuelita” (2013 und 2014) erreicht haben, beweist, dass es ihnen gelungen ist, das wirtschaftliche und kulturelle Nord-Süd-Gefälle zu überwinden, indem sie Sympathisant*innen und Aktivist*innen aus den Zentren der Metropolen an die Ränder der ländlichen Peripherie des Südens geholt haben. Zu diesem Zweck schufen sie fünf zentrale Räume, um einen interkontinentalen Dialog über lokal-globale Themen zu initiieren und nutzten diese 2013, um ihre Ideen und Strategien zu Freiheit und Autonomie auszutauschen. Diese Erfahrungen trugen dazu bei, dass die Zapatistas nicht mehr nur als bäuerliche oder indigene Rebellion aus dem ländlichen Lateinamerika anerkannt und respektiert wurden, sondern unter dem Dach des zapatistischen und neo-zapatistischen Aktivismus die Arena der globalen Gerechtigkeitsbewegung betraten.
Am Ende hatte Teresa, meine Lehrerin in der Zapatistischen Escuelita, Recht: Vielleicht besteht der Weg der Solidarität darin, vom Land in die Stadt zu kommen und zu gehen, in dem Bewusstsein, dass wir alle auf diesem Weg die Bedeutung der Würde und den Wert des Kampfes für sie lernen. Teresa war 21 Jahre alt, geboren im Jahr vor dem Aufstand. Ihre Eltern und Großeltern haben ihr erzählt, wie der Krieg war, was davor und was danach geschah. Sie und ihre Generation sind politisch vorbereitet und bereit für das, was kommen wird.
Occupy Wall Street, en español
Im Herbst 2011 sorgte die Occupy Wall Street-Bewegung (OWS) in New York City und darüber hinaus für Schlagzeilen. Als die Bannerkriege immer heftiger wurden und die dahinter stehenden sozialen Kräfte den Zuccotti Park an der Wall Street weiter besetzten und schließlich in Liberty Park – den Park des Volkes – umwandelten, machte sich eine andere Stimmung breit. Das war Occupy Wall Street en español.
Wie im Jahr 2006, als lateinamerikanische Einwanderer*innen in den USA aufmarschierten und symbolisch große Städte “besetzten”, um volle Arbeits- und Menschenrechte für undokumentierte Arbeitskräfte zu fordern, gingen 2011 neue und alte Generationen spanischsprachiger Menschen – Einheimische und Einwanderer*innen – auf die Straßen und öffentlichen Plätze, um dem Aufruf von OWS zu direkten Aktionen gegen das superreiche 1% zu folgen. Während des gesamten Herbstes 2011 und bis in den Mai 2012 hinein organisierten Migrant*innen – viele von ihnen undokumentierte Arbeiter*innen aus ländlichen Gebieten Lateinamerikas – OWS-Versammlungen, Märsche und Proteste auf Spanisch. Ich verfolgte sie, um mehr über die ethnischen und politischen Hintergründe der Immigrant*innen und die Strategien des Widerstands in ihren Herkunftsländern zu erfahren. Wie beim Aufstand im Dschungel von Lacandona fand ich ähnliche Netzwerke und räumliche Nord-Süd-Beziehungen, die es den Immigrant*innen ermöglichten, sich mit OWS zu solidarisieren und sich vor allem im öffentlichen Raum zu versammeln, um den Aufstand der 99% zu organisieren.
Besonders denkwürdig: Der 1. Mai 2012 in New York City, der Internationale Tag der Arbeit, war eine koordinierte Aktion von OWS, lokalen Gewerkschaften und der May Day Coalition for Immigrant Rights. An diesem Tag wehte ein Banner der Bewegung der Revolutionären Linken (MIR), einer bewaffneten militanten Bewegung, die gegen die Diktatur von Augusto Pinochet in Chile kämpfte, in den Händen von Victor Toro, einem chilenischen Mirista im New Yorker Exil.
Verwandtschaft in der Stadt denken
Seit Jahren versuche ich, einige der Geschichten hinter den sozialen Kräften, die die Auswirkungen der neoliberalen Politik im Norden und Süden des Kapitalismus herausfordern, zu erforschen und mit anderen zu teilen, insbesondere um die kreativen Bemühungen der enteigneten und betroffenen Communities zu erklären (Villegas, 2017). Ich habe festgestellt, dass die Inspiration, die sie antreibt, gegen das kapitalistische System, seine Widersprüche und Ungleichheiten zu kämpfen, größtenteils aus einem gelebten und historischen Kontinuum stammt. Dieses Kontinuum basiert auf Solidarität, die aus verschiedenen Traditionen im Bereich von Kultur, Geografie und Klasse gelernt hat und an die nächste Generation weitergegeben wird. Die vorgestellten Beispiele zeigen, wie dieses Wissen instrumentalisiert wurde, um den (städtischen) öffentlichen Raum in eine Arena des Klassenkampfes zu verwandeln. Sie zeigen aber auch, dass wirkliche historische Veränderungen langfristig sind und Zeit brauchen.
Heute erkennen Regierungen, politische Entscheidungsträger*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen die zentrale Bedeutung der städtischen Revolte – der Armen und jetzt auch der Mittelschichten – als einen Trend in der zeitgenössischen städtischen Erfahrung an, einschließlich der Debatten über das Recht auf Stadt. Wie schon in den 1960er Jahren öffnet die zeitgenössische urbane Revolte erneut ein Fenster für neue Möglichkeiten, die Stadt anders zu denken und zu produzieren und sie zu einem räumlichen Motor für globale urbane Gerechtigkeit zu machen.
Mit diesem Fokus bin ich zu Räumen der Würde (spaces of dignity) gekommen, einem Konzept, das ich ursprünglich aus der Beobachtung des zivilen und friedlichen Widerstands in der zapatistischen Rebellion entwickelt habe. Es geht geht hier darum, autonome Räume zu schaffen, bessere Lebensbedingungen zu erreichen und die Anerkennung der politischen, territorialen und kulturellen Rechte der indigenen Völker in Mexiko zu fordern (Villegas, 2008). Ich hoffe, dass das Konzept nützlich sein kann, um über verschiedene Perspektiven auf die Stadt nachzudenken – aus der Wissenschaft, dem Aktivismus und sozialen Kollektiven. Die Frage, die mich antreibt, ist, wie der Nexus Raum-Würde-Solidarität den Stoffwechsel der kapitalistischen Stadt in Frage stellt und ihn auf die Schaffung einer transnationalen geographischen Arena ausrichtet, die den multikulturellen, multiethnischen und klassenübergreifenden Aktivismus fördert, der sich heute in unseren Städten trifft und verbindet.
Auf dem Weg zur öko-urbanen Revolution
In seinem Versuch, den gegenwärtigen Kapitalismus zu verstehen, kategorisiert William Robinson (2004) einige Besonderheiten, die ihn von früheren Krisenzeiten unterscheiden. Er führt den Begriff des globalen Kapitalismus ein und legt nahe, dass die Krisen des globalen Kapitalismus die heutigen sozialen Bewegungen und städtischen Protesten präfigurieren. In Anlehnung an sein Anliegen, das Wesen dieser Kämpfe zu entschlüsseln, arbeite ich an einer Theorie der ungleichen Entwicklung im globalen Kapitalismus (Villegas, 2020).
Dabei gehe ich davon aus, dass das Ausmaß der globalen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind – moralisch, sozioökonomisch und ökologisch – sich nur parallel zu der sozialen Revolte, der Würde und der Hoffnung entwickeln wird, die wir brauchen, um sie zu überwinden und uns durchzusetzen. Und möge die Inspiration und Vorstellungskraft, die wir aus dem Beschreiten dieses Weges ziehen können, uns dazu führen, die Diskussion darüber, was wir tun müssen, um die Eigenschaften, die materiellen Bedingungen und die Subjektivitäten der kapitalistischen Stadt zu brechen, weiter zu politisieren und gegen sie zu wenden, um Anfechtung und Verwandtschaft (kinship) in dem transnationalen und klassenbasierten Raumprojekt zu artikulieren, das wir brauchen, um die Geografien der öko-urbanen Revolution des 21. Jahrhunderts manifest werden zu lassen.