Die großen Verlage der Bundesrepublik Deutschland fordern von ARD, ZDF und Co. sie mögen sich aus dem Internet zurückziehen, zumindest aus dem heranwachsenden Markt für Smartphone-Apps. Schreitet die digitale Revolution hierzulande rückwärts voran? Was steht für die Öffentlichkeit auf dem Spiel? Ein Kommentar des Berliner Gazette-Herausgebers Krystian Woznicki.
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Die digitale Revolution kommt in Deutschland nur zäh voran. Das zeigt auch ein Blick auf die TV-Landschaft. Während in den USA die nächsten Schritte im Super-Domino vorbereitet werden, Mercedes Bunz prognostiziert gar das Jahr des Fernsehens, dürfen wir hierzulande dabei zuschauen, wie ARD und ZDF ihre Zukunft im Internet erst erstreiten müssen.
Die Zeitungsverlage Axel Springer, SZ, FAZ u.a. wollen die digitale Revolution bekanntlich auf die Standards der analogen Medien zurückschrauben. Wenn es nach ihnen geht, dann sollen die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen TV-Sender auf Bewegtbilder reduziert werden – auf Multimedia, die Standard-Währung im Konvergenzmedium Internet, sei weitgehend zu verzichten.
Bequemlichkeiten und Rechte
Nicht zuletzt für Gebührenzahler bedeutet das einen großen Rückschritt. Verbraucherschützer wie Markus Beckedahl von der NGO Digitale Gesellschaft warnen: „Dann müssten wir uns die ganze Zeit die Videos anschauen, aber haben vielleicht nicht genug schnelles Internet mobil in der Bahn dabei. Und müssen dann noch in Echtzeit Minute für Minute die Tagesschau anschauen, während wir in Textform, die Artikel auch viel schneller lesen könnten.“
Etwas weiter geht der sächsische SPD-Medienpolitiker und MDR-Rundfunkrat Dirk Panter, wenn er sagt: „Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, gerade in Zeiten, wo eine Haushaltsabgabe eingeführt wird, die alle Bürgerinnen und Bürger in Zukunft betreffen wird, dass Angebote dann auch möglichst breit zur Verfügung gestellt werden.“
Panter unterstreicht, dass hier nicht nur Bequemlichkeiten auf dem Spiel stehen, sondern auch Rechte: Die von ARD und ZDF produzierten Inhalte finanzieren sich über Gebühren, also haben jene, die ihren Beitrag abdrücken, auch entsprechende Rechte. Doch was genau dürfen sie einfordern? Sollten sie nicht auch in der Lage sein, mitzubestimmen, wie die von ihnen mitfinanzierten Inhalte aufbereitet werden?
Sind die Gebührenzahler mehr als nur Zuschauer?
Das Internet ist nicht nur ein Konvergenz-, sondern bekanntlich auch ein Mitmach-Medium. Im konkreten Fall der drohenden Rückwärtsdigitalisierung von ARD und Co. wirft das die Frage auf: Sollten Gebührenzahler am gegenwärtigen Prozess, der hinter verschlossenen Türen stattfindet, beteiligt werden? Schließlich wird Partizipation bei Anbietern von Internet-Inhalten auch dort groß geschrieben, wo neue Formate und Themen entwickelt werden.
Man stimmt unter Followern beispielsweise darüber ab, welche Stoßrichtung eine Sendung haben sollte. Man fragt, wer im digitalen Publikum wertvolle Information über eine sich entwickelnde Story hat und bindet Fundstücke entsprechend ein. Es gibt zahllose Beispiele für die neue digitale Kultur der Publikumsbeteiligung. Die Grundbedingung dafür ist Transparenz.
Man muss sich öffnen. Man muss Prozesse offenlegen und Möglichkeiten bieten, an Entscheidungen teilzuhaben. Man muss sich also ein Stück weit in die Karten schauen lassen und Strukturen sowie Abläufe durchscheinend gestalten. Dafür bedarf es nicht zuletzt fähiger Moderatoren. Ein Personalaufwand, den sich die großen Player im Mediengeschäft durchaus leisten können. Aber offenbar nicht leisten wollen. Zumindest, was den Abstimmungs- prozess über die digitale Zukunft von ARD und ZDF anbetrifft.
Transparenz und Mitbestimmung – Fremdwörter?
Scheibchenweise erfährt die (digitale) Öffentlichkeit aus den traditionellen Massenmedien, was derzeit vor sich geht. Doch selbst diese Berichterstattung ist weitgehend intransparent. In der taz lesen wir, dass ein Entwurf für die Zukunftsplanung vorliegt, aber wir bekommen den Entwurf selber nicht zu Gesicht. Die Berliner Zeitung berichtet von einer Email, die der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) aus Protest gegen die Rückwärtsentwicklung der digitalen Angebote an die Vorsitzende der ARD geschrieben hat.
Aber wir erfahren nicht, wo diese Email aufgefunden wurde – weder, ob es sich um einen Leak handelt, noch, ob es eine andere Quelle gibt. Dabei ist das im Falle dieser Email gar nicht so kompliziert: Es handelt sich vermutlich um ein Schreiben, das im Internet abgelegt und öffentlich zugänglich ist. Im Falle des besagten Entwurfs ist das anders. Selbst andere Medien, die darauf Bezug genommen haben, kommen um Spekulationen nicht herum. Doch warum sollten wir spekulieren müssen? Warum sollten Bürgerinnen und Bürger nicht in der Lage sein, Einblicke in die Abstimmungsprozesse zu erhalten und ein gewisses Mitspracherecht obendrein?
Die Intendantensitzung, die am Montag und Dienstag dieser Woche in Erfurt stattgefunden hat, zeigt einmal mehr: Wenn ihre Zukunft im digitalen Zeitalter zur Diskussion steht, dann verschanzen sich die Öffentlich-Rechtlichen hinter verschlossenen Türen; sie wollen nicht wahrhaben, dass es hierbei auch um unsere Zukunft geht und dass wir sie entsprechend mitgestalten wollen.
Was das Mitreden angeht, so ist das Problem offenbar tief gelagert. Selbst intern haben nicht alle eine Stimme. Weder der Online-Intendant noch die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse. Medienpolitische Entscheidungen dieser Art gelten als Chefsache. Oder, um Worte zu benutzen, die die taz auf der Intendantensitzung aufgeschnappt hat: „Klar die Kompetenz der Intendanten“.
Anm.d.Red: Weitere, aktuelle Artikel zum Streitthema, die in dem obigen Kommentar nicht verlinkt werden, sind u.a. Streit um Spielregeln, Online-Kompromiss mit Verlegern entzweit die ARD,
“Tagesschau”-App-Streit:
Teile der ARD gegen Zugeständnisse, ARD-Intendanten-Treffen, Veröffentlichte Vertraulichkeit. Die Fotos hat Mario Sixtus aufgenommen. Sie stammen aus seiner Serie Faces illuminated by Displays und stehen unter einer Creative Commons Lizenz (by-nc-sa).
Schon die zugrundeliegende Eingangsfrage, die der Kommentator dann beantworten will, ist schon falsch. Nicht der Rückzug der Öffentlich-Rechtlichen aus dem Netz steht zur Disposition, sondern deren Ausbreitung in demselben auf artfremden Gebiet. Es sind Rundfunkanstalten, wie der Name verrät, die nunmehr auf Textbasis Dienste anbieten wollen – ja, es liest sich schneller als die Tagesschau in Echtzeit zu sehen. Und genau damit wildern sie im Geschäftsfeld der Zeitungsverlage und finanzieren das Ganze mit Zwangsgebühren, die ab 2013 jeder Haushalt zu tragen hat. Das ist Wettbewerbsverzerrung. Und das wäre jetzt der Ansatz für einen wirklich guten Kommentar…
danke für die Berücksichtigung der Sicht von Verbrauchern.
@Max: apropos “Ausbreitung auf artfremden Gebiet”. Rund funkanstalten und Zeitungen – das sind Medien-Dinos, die beide im Internet wenn Du so willst “artfremd” sind. Beide können und wollen da rein und machen es auch und sie wollen und müssen es zu den Bedingungen des neuen Mediums machen und das ist Multimedia.
Soviel Selbsterkenntnis und Selbstreflexion haben übrigens auch schon die an der Klage beteiligten Zeitungen an den Tag gelegt in der öffentlichen Debatte, siehe zum Beispiel der Text in der Berliner zeitung, der oben dankenswerterweise verlinkt ist (bitte v.a. den zweiten Absatz lesen):
“So könne nicht sein, dass ARD und ZDF bei aktuellen Ereignissen, zu denen noch keine Audiodateien und Videos vorliegen, mit der Berichterstattung warten müssten, um bloß keine Texte zu verwenden, die mit Online-Angeboten der Zeitungen konkurrieren. Erst recht sei dieses Zugeständnis unsinnig, da der Rundfunkstaatsvertrag zwar regle, die Online-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen dürften nicht „nach Gestaltung und Inhalt Zeitungen und Zeitschriften entsprechen“. Gemeint seien aber die Druckausgaben nicht die Online-Auftritte.
Im Übrigen seien RSS-Feeds, Flash-Anwendungen oder Suchalgorithmen ebenso wie Text, Foto und Bild „Teil eines globalen Instrumentariums“ und „weder von den Rundfunkanbietern in Deutschland noch von den Pressehäusern in Deutschland entwickelt“ worden. Sie seien folglich „keineswegs pressetypisch“ und „deshalb nicht dazu geeignet, die Onlineauftritte der Pressehäuser von denen anderer Anbieter in Deutschland (und der Welt) abzugrenzen“.”
es ist doch ganz einfach: die Gebührenzahler haben ein Rext auf die Inhalte im Netz, sie haben schon bezahlt, sie sollten auch auf die Sachen im Netz zugreifen können, die Sachen sollten nicht nur optimal für das Web aufbereitet werden, sondern auch dauerhaft im Web archiviert werden, nicht nur eine Woche oder so. Das ist lächerlich.
Wenn die Modalitäten auf den neusten Stand der Informationsrevolution gebracht werden müssen, kann das nur in diese Richtung gehen.
dieses thema nervt… die verleger spinnen… die öffentlich rechtlichen sind auch nicht viel besser… wann werden die alle mal erwachsen? gibt es überhaupt was neues in dieser sache? warum jetzt?
“Warum gibt es nicht 1% der Rundfunkgebühren für das Netz?” fragt die DigiGes (http://digitalegesellschaft.de/) und ich meine: es gibt darauf noch keine Antworten.
Meiner Meinung nach ist das Thema spannend und keinesfalls nervig. Und es bedarf noch wesentlich mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.
Ich finde gut, dass der Text kritisch ist, aber sich nicht auf die eine Seite oder die andere schlägt und rumjammert (so nach dem Motto “Scheißgebühren” oder “artfremdes Terrain” wie bei Kommentar #1).
Leider interessieren sich meiner Meinung nach viel zu wenige Internetnutzer/Gebührenzahler für ihre Rechte, oder seht ihr das anders?
@1: apropos “Wettbewerbsverzerrung”: es gibt in Deutschland die Öffentlich-Rechtlichen, ich denke, es gehört ein Stückweit zu den Errungenschaften dieses Landes.
Es wäre Realitätsverzerrung nicht anzuerkennen, dass hierzulande andere Wettbewerbsregeln herrschen als in Ländern, die von Privaten dominiert werden.
Ich habe in meiner Essay-Reihe “Phase 5” (http://berlinergazette.de/tag/Phase-5/) wiederholt aufgezeigt, dass die (Zeitungs)Verlage in besonderem Maße zu unterschiedlichen Realitätsverzerrungen neigen — aus Not heraus, aufgrund fehlgeleitetem Krisenmanagement.
Zu den wiederholten Realitätsverzerrungsthemen gehört es, das Internet und die Folgen der digitalen Revolution jeweils so zu beschreiben, wie es gerade (in das jeweilige Marktbild) passt. Bei Akteuren, die ihre Linie verloren haben, hat dies denkbar deliröse Manöver zufolge.
Ich habe es selbst auch mal live bei einem Panel erlebt, wie der Axel Springer Vorstand in der einen Minute seinen eigenen Produktionsmodus selbstbewusst auf Text reduziert, in der anderen Minute die Multimedialität predigt (die seine Medien längst auch schon ansatzweise kultivieren).
Haarsträubend.
@5: jetzt ist diese Sache wichtig, da es tatsächlich bei den Öffentlich-Rechtlichen einen merkwürdigen Sinneswandel zur Selbstbeschneidung gibt, wohlgemerkt haben dies nur drei Personen (die Intendanten) unter sich ausgemacht. Und wie es aussieht, siehe Bericht der taz (oben verlinkt), wird es in Bälde durchgewunken sein.
Was das dann tatsächlich für die Medienlandschaft bringt, wie es sie verändert, ist eine andere Frage. Absehrbar ist jedoch, dass in Deutschland damit ein Diskurselend breiter wird, dass ich in meiner unter #9 geposteten Notiz anspreche.
@4+6: ich habe leider noch keine Antworten auf viele dieser Fragen. Wir müssen weiter suchen und bohren.
@8: das ist ein guter Punkt und in der Tat, etwas, wo sich lohnt, anzusetzen. Denn hier kommen zwei Dinge zusammen: die Mitmach-Dynamik des Netzes und die ich-habe-gezahlt-also-will ich-auch-was-dafür-Dynamik der Gebührenkultur. Diese zwei Dynamiken könnten einiges in der Bevölkerung bewegen und nicht zuletzt die Öffentlich-Rechtlichen aufrütteln.
Mario Sixtus schreibt an die Verleger (schon letztes Jahr),
“das tut jetzt vielleicht ein wenig weh, aber einer muss es mal deutlich sagen: Euch hat niemand gerufen! Niemand hat gesagt: “Mein Internet ist so leer, kann da nicht mal jemand Zeitungstexte oder so was reinkippen?“ Ihr seid freiwillig gekommen, und ihr habt eure Verlagstexte freiwillig ins Web gestellt. Zu Hauf. Und kostenlos. Ihr nehmt keinen Eintritt für die Besichtigung eurer Hyperlink-freien Wörterwüsten, weil ihr genau wisst, dass niemand dafür Geld ausgeben würde. Ihr habt seriöse und un- seriöse SEO-Fritzen mit Geld beworfen, damit Google eure Seiten besonders lieb hat. Ihr seid ohne Einladung auf diese Party gekommen. Das ist okay, ihr könnt gerne ein wenig mitfeiern. Prost! Aber wisst ihr, was gar nicht geht? Dass ihr jetzt von den anderen Gästen hier Geld kassieren wollt. Sogar per Gesetz. Verleger: geht’s noch?”
http://carta.info/36869/verlegerforderung-leistungsschutzrecht-ja-habt-ihr-denn-ueberhaupt-keinen-stolz/
Der Text eröffnet eine Perspektive auf beide Seiten der Medaille – ich finde einen kritisch erörternden Blick auf das zwei Säulen-Modell durchaus mal angebracht und gut – vor allem weil hier mal nicht auf die allgemeine GEZ-Tränendrüse gedrückt, sondern der Blick konkret auf die Grauzone (der Gremien und Entscheidungsträger) gelenkt wird.
Ein sehr gelungener Denkanstoß!
Stefan Niggemeier hat die bevorstehende EINIGUNG der Akteure soeben in seinem Blog kommentiert, sein Fazit:
“In jedem Fall wären ARD und ZDF geschwächt. Weshalb die Kritiker im Haus die zentrale Frage stellen: Warum bringt man sich überhaupt mit solchen Verhandlungen und einem solchen Papier in eine solche Situation?”
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/vorauseilende-selbstverstuemmelung/