Apokalyptische Orientierungen: Auf dem Weg zum Ende der Welt

The Otolith Group: „Sovereign Sisters“ (2014). Computeranimation übertragen auf schwarz-weißes HD-Video 3:47 min Loop, Installation mit gereinigtem Wasser. Mit freundlicher Genehmigung von The Otolith Group, LUX, London und der Southern Alberta Art Gallery, Lethbridge.
The Otolith Group: „Sovereign Sisters“ (2014). Courtesy of The Otolith Group, LUX, and the Southern Alberta Art Gallery.

Die Apokalypse erscheint als eine Intensität, die im Strudel der gefühlten Krisen und drohenden Katastrophen an Bedeutung und Dringlichkeit gewinnt und Energien freisetzt, die es ermöglichen, die Welt neu zu gestalten. Doch wie lösen wir uns von dem, was die Welt zusammenzuhalten scheint und doch so offensichtlich (für die meisten) nicht funktioniert? Jenny Stümer geht dieser Frage auf den Grund und sucht nach Antworten.

*

Was wäre, wenn wir die Apokalypse nicht als mythisches Ereignis begreifen, das in naher oder ferner Zukunft über uns hereinbrechen könnte, sondern als gelebte Realität, die immer schon stattgefunden hat und immer noch stattfindet? Was wäre, wenn wir das Ende der Welt als eine Form der politischen Orientierung begreifen würden, die uns auf eine Erfahrung oder eine Art apokalyptische Phänomenologie verweist, anstatt einfach nur einen Rahmen zu entfalten, um das schiere Ausmaß der Katastrophen zu beschreiben, die sich heute überlagern? Was wäre, wenn die Apokalypse tatsächlich “die Welt” in Frage stellen würde, und was wäre, wenn dies neue Perspektiven dafür eröffnen würde, wie Politik gestaltet oder aus einer Reihe von Bindungen an einen problematischen und zunehmend gewalttätigen Status quo gelöst werden könnte?

Die Kulturtheoretikerin Sara Ahmed (2006) fragt wiederholt: “Was bedeutet es, orientiert zu sein? Wie beginnen wir zu wissen oder zu fühlen, wo wir sind oder sogar wohin wir gehen?” Sie erklärt, dass “Orientierung Dinge für uns ausschließt, bevor wir sie überhaupt erreichen”, eben weil “je nachdem, in welche Richtung man sich wendet, verschiedene Welten in den Blick kommen können”. Ahmed geht davon aus, dass das Leben in der Welt ein Mittel der Situierung ist, um die Parameter der eigenen Richtung zu ertasten, um Anknüpfungspunkte zu finden und um die Welt auf un/sichere Arten und Weisen zu konfrontieren, die im Schatten von Krisen entweder neue Möglichkeiten eröffnen oder verschließen. Wie Ahmed es ausdrückt, sind manche Welten “mehr auf bestimmte Körper ausgerichtet als auf andere”. Die Frage der Orientierung im Kontext von Weltzerstörung und Weltgestaltung ist daher von zentraler Bedeutung, um die verschiedenen Verschiebungen und Spannungen zu untersuchen, die die Verhandlung von Macht, Katastrophe und Veränderung heute beeinflussen.

Wessen Welt gilt es zu retten?

In einer Zeit multipler und sich überlagernder Krisen (Klimawandel, nukleare Gewalt, strukturelle Ungleichheit, anhaltende Kriege, kapitalistische Ausbeutung und koloniale Kontinuitäten etc.) haben Philosoph*innen wie Alenka Zupančič schon vor längerer Zeit die “apokalyptische Stimmung der jüngsten Zeit” ausgerufen. Zupančič erinnert uns jedoch daran, dass die Apokalypse als Rahmen für die politische Reflexion der Gegenwart oft als Mittel zur ideologischen Festigung dient. Der drohende Untergang kann uns entweder anspornen, alles zu tun, um ihn zu verhindern (wir müssen alles tun, um zu überleben und schützen damit einen unhaltbaren Status quo), oder er kann uns erneut vor Augen führen, wie viel sich ändern muss, in dem Sinne, dass nur ein katastrophales Ereignis apokalyptischen Ausmaßes eine wirkliche Veränderung unserer gegenwärtigen Probleme herbeiführen kann. Zupančič liest diese beiden “Orientierungen im Denken” als Symptome einer kollektiven Unfähigkeit, in die strukturellen Bedingungen der Existenz einzugreifen, und verweist auf eine Gegenwart, die sich ihrer Zukunft beraubt fühlt und nicht in der Lage ist, mit einer komplexen Vergangenheit umzugehen.

In diesem Zusammenhang warnt Kyle Powys Whyte (2021) vor aufkommenden Formen einer “Krisenepistemologie”, in der die Annahme, dass eine bestimmte Notlage neu, beispiellos und dringend (oder apokalyptisch) ist, zu Handlungen führen kann, die entrechtete Gemeinschaften erneut benachteiligen – und damit langsam aber sicher genau die Strukturen eskalieren lassen, die die aktuellen Krisen überhaupt erst verursacht haben.

Lösungen für die Klimakrise, die marginalisierte Gemeinschaften durch massive Betonstrukturen, Stacheldraht, Drohnen und Zäune ausgrenzen, um den auf fossilen Brennstoffen basierenden Lebensstil der hegemonialen Macht zu schützen, werfen beispielsweise die problematische Frage auf, wessen Welt untergeht und wessen Welt gerettet werden soll, und verschärfen die Spannungen apokalyptischer Politik. Die Frage ist also: Muss apokalyptisches Denken in diesem Sinne vermieden werden? Beraubt es einer krisengeschüttelten Welt ihrer politischen Kraft und Kreativität? Oder birgt die Apokalypse selbst eine besondere Art von Politik, die von den gegenwärtigen Veränderungen profitiert, gerade weil sie ein Gegenbild zu den hegemonialen Idealen von “Leben”, “Gemeinschaft” und “Welt” überhaupt hervorbringt?

Ausgehend von dem Wunsch, sich mit den aktuellen Parametern des Politischen auseinanderzusetzen, erweist sich die Apokalypse auch als produktive Infragestellung der Prämisse einer normativen “Welt”, die in hohem Maße von allerlei unterschiedlichen Verwundbarkeiten und Machtverteilungen geprägt ist, die für das Verständnis der vielen Herausforderungen der historischen Gegenwart von größter Bedeutung sind. Das wachsende Bewusstsein, dass das Ende der Welt, das Ende der Zeit und das Ende des Menschen (im Englischen oft nur universell als “Man” referiert) entscheidend sein können, um dieses hegemoniale Projekt in Frage zu stellen, positioniert apokalyptische Szenarien nicht nur als eine ferne Perspektive, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt, sondern verortet sie als gegenwärtige, andauernde und gelebte Erfahrungen, die mit spezifischen politischen Orientierungen verbunden sind. Durch diese Linse betrachtet, normalisiert sich die Apokalypse in gewisser Weise zu dem, was Lauren Berlant (2011) eine “gewöhnliche Krise” nennt, die sowohl langsam als auch augenblicklich ist und die Modi des Todes und des Überlebens aus verschiedenen Vektoren des Privilegs oder der Zugehörigkeit zur Welt verfolgt. In den Worten von Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro (2016): “Eine Welt kann auch allmählich verschwinden”, was darauf hindeutet, dass die Gegenwart eine Modalität von sich überlagernden Kräften und Geschichten ist, die das Gewöhnliche als Zone katastrophaler Konvergenz zirkulieren und formen und uns so etwas darüber vermitteln, wie Welten entstehen und wie Menschen mit ihnen umgehen.

Leben in der Sackgasse

Lauren Berlant (2011) spricht ausführlich über das Leben in der Sackgasse (impasse) als eine Möglichkeit, diese Art von Desorientierung oder das Gefühl, sich inmitten einer großen Veränderung zu befinden, zu theoretisieren. Für Berlant ist die Sackgasse eine Form der Hyperwahrnehmung potenzieller Bedrohungen mit einem akuten Gefühl der Erschöpfung, das aus der ständigen Bewältigung dessen resultiert, was beängstigend und überwältigend ist. Gleichzeitig ist diese Ausweglosigkeit ein Mittel zur kontinuierlichen Transformation. Die Analyse kultiviert eine besondere Art von pessimistischer Sensibilität, die einerseits die politische Tragfähigkeit aufgegebener Zukünfte wahrnimmt und andererseits optimistische Investitionen in das “gute Leben” kritisch hinterfragt. Hier klingt an, was Matthias Thaler (2024) jüngst als “Eco-miserabilism” bezeichnet hat, um eine besondere Form apokalyptischer Negativität zu benennen, die für ihn Defätismus und Fatalismus dennoch überwindet zugunsten einer “affektiven Politik für eine hoch belastete und ungewisse Zukunft”.

Beide Ansätze sind hilfreich, um die Apokalypse nicht einfach als ein spektakuläres Ereignis zu betrachten, das entweder progressiv oder konservativ ist, sondern als eine Form des Durchhaltens, die mit spezifischen Versuchen verbunden ist, Krisen, Brüche und Umbrüche zu bewältigen. Viele Menschen leben in der Apokalypse. Sie halten durch, ertragen und bleiben, obwohl das Ende schon da ist. Auch wenn Berlant diesen Begriff nie verwendet, ist die Apokalypse für die Geschichte und die Gegenwart von großer Bedeutung. Vielmehr könne sie als ein “in das Gewöhnliche eingebetteter Prozess” (2011) verstanden werden, der häufig ein “alternatives Leben neben Bedrohung und Zusammenbruch” (2022) reproduziere. Für Thaler gehen solche apokalyptischen Orientierungen noch viel weiter, indem sie ein gewisses “Vertrauen in die Aussicht auf eine offene Zukunft” (2024) ermöglichen und konventionelle Schablonen für das Leben in der Welt über Bord werfen. In jedem Fall erscheint die Apokalypse als eine weltgestaltende Intensität, die im Strudel empfundener Krisen und drohender Katastrophen an Bedeutung und Dringlichkeit gewinnt. Während die Apokalypse als eine Art affektiver Orientierung fungiert, die Einblicke in die Art und Weise gewährt, wie die sich selbst erhaltenden Investitionen in die Kontinuität einer bestimmten Welt zunehmend zerbrechen, erweist sich die apokalyptische Sackgasse als ein Moment des Scheiterns und des Übergangs, dem Aufmerksamkeit zu schenken sich gerade deshalb lohnt, weil es uns, wie Berlant (2011) sagt, erkennen lässt, “was daran stockt, stottert und schmerzt, dass wir uns mitten in der Ablösung von einer schwindenden Phantasie des guten Lebens befinden”.

Letztlich beinhaltet ein solches Denken eine besondere und affektive Ausrichtung auf das Negative, die für die Theorie der Apokalypse hilfreich ist. Es vermittelt eine Gegenwart, die nach Konzepten sucht, um durch einen großen Wandel zu gehen, in dem Kontinuität keine Option mehr ist, aber auch kein anderer Weg. “Wer kann es ertragen, die Welt zu verlieren”, fragt Berlant (2011) und “was passiert, wenn der Verlust dessen, was nicht funktioniert, unerträglicher ist als das Haben und umgekehrt? Wie lösen wir uns von dem, was die Welt zusammenzuhalten scheint und doch so offensichtlich (für die meisten) nicht funktioniert?

Materielle Welten werden zu politischen Welten

In ihrem letzten Buch schreibt Berlant (2022) über die Politik, “im Leben zu sein, ohne die Welt zu wollen”, was eine Möglichkeit darstellt, ein “Gefühl des Unerträglichen, das ausgehalten wird”, genau in dem Moment anzusprechen, in dem “die Welt als Objekt/Szene des Begehrens verschwindet”. Diese apokalyptische Orientierung lädt zu einer potentiellen Transformation ein, indem sie eine Art Weltlosigkeit als Schauplatz des Lebens beschreibt, in der es nach Berlant nicht um das Aufgeben, sondern um das “Ausgeben” oder öffnen geht und die somit eine Form der Weltgestaltung darstellt.

Wenn das nach Ambivalenz riecht, ist das vielleicht genau der Punkt. Wie Oxana Timofeeva (2014) es ausdrückt: “Wir blicken in die Zukunft und auf die Zukunft; wir haben Visionen von zukünftigen Katastrophen, und diese Visionen hindern uns daran, die Katastrophe des Realen oder die reale Katastrophe, die gerade passiert, zu begreifen”. Für sie “wird es nicht schlimmer, es ist schon schlimmer. Was wir also brauchen, sind weder Hoffnung noch Optimismus, noch weitere Investitionen in affirmative Politik. Was wir stattdessen brauchen, ist eine neue Orientierung, die die Gegenwart als kollektiven Verlust der “Zukunft” rekonfiguriert, oder das, was Sara Ahmed (2006) Momente der Desorientierung nennt, die neue Orientierungen provozieren, gerade weil “wir in diesem Modus der Desorientierung anfangen könnten, uns zu fragen: Was bedeutet es, orientiert zu sein?”

Liest man Ahmeds Sinn für Orientierung durch diese affektiven Trajektorien des Weltbruchs und der Weltschöpfung hindurch, so kann er letztlich auf eine apokalyptische Phänomenologie verweisen, die das Ende der Welt(en) als einen kritischen Begriff von Offenbarung oder Enthüllung postuliert: die Öffnung der Dinge. Lauren Berlant mag den Übergang zwischen Offenbarung und der Produktion dieser Art von Veränderung nicht sehr detailliert beschreiben. In ähnlicher Weise bieten die Ökomoralist*innen einen Weg “für eine neue affektive Politik” an, aber es fehlen, wie Thaler (2024) es ausdrückt, “affirmative Bilder davon, wohin wir gehen sollten”.

Dennoch werden materielle Welten zu politischen Welten, die Körper auf spezifische Weise verorten, indem sie Kräfte, Intensitäten und Affekte zirkulieren lassen, die die gelebten Realitäten von Individuen, Gruppen und Nationen beleben und hervorbringen. Wie Kathy Stewart (2011) erklärt, ist es die Arbeit der Einstimmung auf diese Art der Welterschließung, die dazu führt, dass “Räume aller Art bewohnt werden”, und zwar nicht als Teil einer bereits ausgeschlossenen, unvermeidlichen oder dem Untergang geweihten Welt oder Zukunft, sondern als gelebte Affekte mit Rhythmen, sensorischem Wissen, Orientierungen, Gewohnheiten etc. In diesem Sinne können sich apokalyptische Orientierungen auf alle möglichen Arten des Vorstellens, Denkens, Erinnerns oder Begehrens der Welt beziehen. Die Frage bleibt, um es mit den Worten der Science-Fiction-Autorin N.K. Jemisin (2019) zu sagen, “ob es die Art von Welt ist, die verschwinden muss”.

Anmerkung der Redaktion: Die Bibliographie des Artikels ist hier zu finden. Übersetzung aus dem Englischen durch die BG-Redaktion.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.