Der Hype um das unter dem Marketing-Begriff >Web 2.0< verdichtete Phaenomen einer neuen Netzwerk-Kultur hat sich gelegt. Nach dem Ende der Euphorie um >user generated content< und dem Beginn der Erholung von der medialen Selbst-Narkosis tritt die kritische Auseinandersetzung mit den hauptsaechlich positiv konnotierten Entwicklungen des Mitmach-Web in den Vordergrund.
Eine entsprechend aktuelle Analyse bietet der juengst bei transcript erschienene Titel >Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0< des oesterreichischen Medientheoretikers Ramon Reichert.
Der Fokus des Werks liegt ueberraschend weniger auf Sezierung des aktuellen Dispositivs medialer Wissensformen als vielmehr deren sozio-oekonomischer Durchdringung. Reichert macht in diesem Kontext eine zunehmende Verschiebung unternehmerischen Handels in die privaten Sphaere der Amateure aus. Ueberzeugend ist hier das Argument einer Bewerbungskultur im Privaten. Laengst sind die aus dem Arbeitsleben bekannte Selbstbeobachtung und -vermarktung auf den persoenlichen Profilseiten der Web 2.0 Portale wie Xing, Facebook und StudiVZ angekommen. Teilnahme wird hier zur andauernden Bewerbung – um Bekanntschaften, Freunde, Anerkennung, Sinn.
Drastischer faellt die Untersuchung der Wikipedia-Gemeinschaft aus. Reichert vergleicht hier Schlagworte moderner Management-Theorien mit den Strukturen der mit Abstand groessten kollaborativen Plattform dieser Art. >Wikipedia als Protagonist des Netzwerkkapitalismus< mag somit zunaechst ueberraschen. Im Kontext eines machttheoretischen Vergleichs im Sinne Foucaults jedoch erscheint eine kritische Offenlegung der Gemeinsamkeiten eines modernen Kapitalismus und freier Projekte als durchaus angebracht. >Amateure im Netz< bietet damit kein abschliessendes Urteil, aber einen gelungen Einstieg in die Diskussion.