Wie können wir die ideologischen Widerstände zu der notwendigen Systemtransformation überwinden?

Die Ideologie des rechtspopulistischen Aufstands gegen die grüne Energiewende – wie er sich etwa im Leugnen des Klimawandels manifestiert – sollte genauer untersucht werden, will man zu den Ursachen vordringen, auf die eine allgemeine, weit über die Reihen der Rechten hinausgehende gesellschaftliche Unfähigkeit zurückgeht, die notwendige Transformation des kapitalistischen Systems anzugehen, wie die Humanökologin und Aktivistin Tatjana Söding in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” zeigt. 

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Die Lausitz ist eine der von Extraktivismus am stärksten geprägten Landstriche Deutschlands.Und das nicht nur hinsichtlich der vier aktiven Kohlegruben: Schon mit der Etablierung des Braunkohlenbergbaus gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Lausitz von einer von Wäldern, Wiesen und landwirtschaftlicher Arbeit geprägten Region zu einem industriellen Kraftzentrum. Und auch jetzt soll sich die ökologische und soziale Landschaft der Region erneut verändern: von Deutschlands zweitgrößter Produktionsstätte von Braunkohle zu einer Modellregion der Energiewende.

Die öffentliche Debatte darum, wie dieser Strukturwandel gelingen kann, kreist fast ausschließlich um die Frage, wie Arbeitsplätze und wirtschaftliche Wertschöpfung auch ohne die Fossilen erhalten bleiben können. Alle „Entwicklungstrends“, die die sogenannte Kohlekommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ im Jahr 2019 für die Zukunft der Lausitz vorschlug, behandeln Ideen für neue Wirtschaftszweige – wie etwa die Entwicklung einer Touristenregion, oder eines Forschungs- und Produktionsstandorts für Künstliche Intelligenz und neuen Mobilitätstechnologien. Dass andere Indikatoren des „guten Lebens“ von der Kohlekommission nicht beleuchtet werden, wundert angesichts des engen Fokus der Debatte kaum.

Politik der Anerkennung

Trotzdem ist es ein fataler Fehler, einen so tiefgreifenden Strukturwandel auf die Wiederherstellung der Zahl der Arbeitsplätze und der Summe der Wertschöpfung nach dem Ausstieg aus der Kohle zu reduzieren. Denn Arbeit ist nicht nur eine Quelle von ökonomischer Sicherheit, sondern auch sozialer Anerkennung. Die spezifische Funktion, die Arbeit in einer Kohleregion für das Gefühl von Anerkennung für Menschen in der Lausitz hatte, macht diese somit nicht einfach durch jegliche andere Arbeit ersetzbar. Dass Anerkennung im Strukturwandel nicht mitbedacht wird, kann unter anderem Grund dafür sein, dass Teile der deutschen Bevölkerung sich zunehmend gegen die bis 2030 anvisierte Energiewende stellen.

Viele, die sich in den „Entwicklungstrends“ für eine post-fossile Zeit in der Lausitz nicht wiederfinden können, werden aktuell von der AfD als Wähler:innen angeworben. Neben den zwei etablierten großen Themen der Partei, der Anti-Euro- und Anti-Migrationspolitik, hat sie spätestens seit den Bundestagswahlen 2021 ein drittes großes Anliegen: die Leugnung des (menschengemachten) Klimawandels. Begleitet wird die Ablehnung international koordinierter Klimaschutzpolitik von einem lokalen Umweltpatriotismus.

Die AfD inszeniert sich als Patronin des Rotmilans, der durch den Ausbau von Windkrafträdern bedroht werde. Sie positioniert sich als die einzig verbleibende bürgernahe Partei, die die Sorgen des Volkes „versteht“ – d.h. diese Sorgen systematisch manipuliert. Ob es dabei nun um den Preisverfall privater Immobilien aufgrund von Windparks, finanzielle Belastung aufgrund von Klimasteuern, oder „Freiheitseinschränkung“ durch Regulierungen geht.

Die „deutsche Natur“ gelte es aber nicht aufgrund des Klimawandels oder des sechsten Massensterbens zu schützen. Die wahre Bedrohung seien laut AfD neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien die Menschen des Globalen Südens, denen es an Wertschätzung für Natur mangele und die aufgrund hoher Reproduktionsraten angeblich das „ökologische Gleichgewicht“ stören sollen.

Subjektivierung von Ideologie

Letzten Herbst verschlug es mich in die Lausitz, um Interviews mit AfD Politiker:innen über ihre Stellung zur Klimakrise, zu Umweltschutz und der Energietransition zu führen. Vor und nach meinen Interviews zog es mich immer wieder zu den Weiten der Kohlegruben, den Dürren der Kieferwälder, und dem Schimmern der künstlich geschaffenen Seen. Ich wollte verstehen, wie die Politiker:innen der AfD, und mitunter ihre Wähler:innen, ein Bild von der Welt aufrecht halten können, in dem es nicht die Kohlegruben sind, die die lokale Umwelt und die Biodiversität sprichwörtlich untergraben, global das Klima erhitzen, und gefestigte Dorflandschaften unter dem Bagger verschwinden lassen – sondern „ideologisierte Politiker:innen“ und „überbevölkerte Länder“. Welche ideologischen Konstrukte müssen Menschen verinnerlicht haben, um sich gegen den Konsens der Wissenschaft zu stellen und die realen Erfahrungen der Klimakrise zu verneinen?

Die Frage der Subjektivierung ist eine essenzielle, wenn die sozial-ökologische Transformation gelingen soll. Denn es sind nicht nur die Technologien, die sich im Zuge dieser Transformationen verändern müssen, sondern auch politische Identitäten, die durch die imperiale fossile Lebensweise hervorgebracht und von Menschen eingenommen wurden. Also gilt es den Leuten alternative Angebote zu machen, damit sich auch weiterhin gesellschaftliche Anerkennung erlangen.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Louis Althusser spricht in diesem Zusammenhang von einem Prozess des „Interpellierens“, was umgangssprachlich als „Aufrufung“ verstanden werden kann. Aufbauend auf Karl Marx fügt Althusser der Analyse der Reproduktionsweise des Kapitalismus ein tieferes Verständnis der Rolle der Ideologie hinzu. Demnach reproduziert sich der Kapitalismus über die Kontrolle der Bourgeoise sowohl über den repressiven Staatsapparat, also die Polizei und das Militär, als auch über den ideologischen Staatsapparat. Letzterer reproduziert das dem Kapitalismus zugrunde liegende Klassenverhältnis auf eine subversivere Art als durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt: Seine Methoden sind Riten, Traditionen und materielle Anordnungen, die zum Beispiel durch Schulen, Kulturinstitutionen, religiöse Organisationen, die Familie, die institutionelle Politik, und der Medienlandschaft praktiziert werden.

Somit sozialisiert die kapitalistische Gesellschaft Menschen, die sich mit ihren Zielen, Objekten und hervorgebrachten Leistungen identifizieren und an ihnen festhalten wollen. Diese Identifikation kann daher rühren, dass ein Individuum von Wohlstand profitiert, sich in seiner gesellschaftlichen Position bestätigt fühlt, oder die Machtverhältnisse, die dem Kapitalismus zu Grunde liegen, für rechtmäßig hält.

Fossiler vs. grüner Kapitalismus

Der fossile Kapitalismus hat also Menschen geformt, die sich mit den ihm zugrundeliegenden Werten identifizieren und diese reproduzieren. Man könnte auch von einer ideologischen Arbeiter:innenklasse sprechen, die der Erhaltung des fossilen Kapitalismus dient – ob nun bewusst oder unbewusst. Diese internalisierten Werte wären etwa das Wachstumsdogma, ein lineares Verständnis von Fortschritt, die konstante Profitmaximierung, und die Entwertung von Lebenswelten, die für diese so betitelten Fortschritte ausgebeutet werden: Naturen, Menschen, die sozial-reproduktive Arbeit leisten, Länder der weltwirtschaftlichen Peripherie, und „unproduktive“ Subjekte wie Queers, Menschen mit Behinderung oder Menschen ohne Arbeit. Das besondere an der Ideologie des fossilen Kapitalismus ist jedoch, dass diese Fortschritte an fossile Brennstoffe und die durch sie befeuerte Industrie gekoppelt werden. Demnach kann Fortschritt nur Bestand haben, wenn der fossile Extraktivismus und Produktivismus aufrechterhalten bleiben.

Nun ist der Kapitalismus aber kein statisches Phänomen. Die Stärke der kapitalistischen Klassen liegt vor allen darin, die durch den Kapitalismus hervorgerufenen Krisen immer wieder durch eine neue politische Ausrichtung zu umschiffen – seien es Finanzkrisen, sozialer Widerstand, oder die Klimakrise. Als Reaktion auf die Klimakrise tritt der Kapitalismus nun in seinem neusten Gewand in Erscheinung: als grüner Kapitalismus. Hier geht es darum, die Schäden durch die Klimakrise in die wirtschaftliche Gesamtrechnung einzukalkulieren. Da diese Schäden eine Verringerung des Profits bedeuten könnten, lenkt der grüne Kapitalismus ein, wann immer Profite bedroht sind – nicht etwa Menschen, Habitate, oder Ökosysteme. Somit macht sich der grüne Kapitalismus zu Aufgabe, neue Möglichkeiten zu finden, weiterhin am Wachstumsparadigma und den aktuellen Eigentums- und Produktionsverhältnissen festzuhalten – nur eben bei leicht verringertem CO2-Ausstoß.

Die hier zu Grunde liegenden „grünen“ techno-optimistischen Lösungen beruhen ebenfalls auf Extraktivismus. So schreibt Friederike Panke in der “After Extractivism”- Reihe darüber, wie die sogenannte „Renaturierung“ der Lausitz eine Spätfolge extraktivistischer Aktivität ist. Ein Blick außerhalb Deutschlands zeigt, dass grüner Kapitalismus beispielsweise auf Raub an indigenen Gruppen beruht, auf deren Land Offsetting-Baumplantagen oder Solarpanele gebaut werden, durch die sich europäische Firmen den Stempel einer CO2-neutralen Produktionsweise verpassen können.

Auf die Straße der politischen Repräsentation gesetzt

So wie der fossile Kapitalismus politische Identitäten hervorgebracht hat, ruft auch der grüne Kapitalismus politische Subjekte an: etwa Verbraucher:innen, deren Bedürfnis nach Gerechtigkeit durch den Konsum „nachhaltiger“ Produkte gestillt werden soll. Oder sogenannte social entrepreneurs, die ihre Berufung in der Entwicklung „nachhaltiger“ Geschäftsmodelle finden sollen. Durch die ideologische Anrufung des ideologischen Staatsapparats schafft es der grüne Kapitalismus nun, andere Teile der Arbeiterinnenklasse soziökonomisch zu „entlohnen“. Er schafft somit eine Allianz, die weit über die Produktionsinhaber:innen hinausgeht. Die ideologischen Arbeiter:innen des fossilen Kapitalismus, die zuvor durch das Fahren eines schicken Dieselautos, der „wertschöpfenden“ Arbeit und dem Beitrag zum nationalen Wohlstand entlohnt wurden, werden somit bildlich auf die Straße der politischen Repräsentation gesetzt.

Ihre Identität, die im Zeitalter des fossilen Kapitalismus zum Standard wurde, scheint nun entwertet, gar diffamiert zu werden. Einzig die AfD bietet all jenen ideologischen Arbeiter:innen, denen der grüne Kapitalismus betriebsbedingt „gekündigt“ hat, noch eine politische Heimat – durch Klimawandelleugnung und Verteidigung des fossilen Extraktivismus. Der rechtspopulistische Aufstand gegen die Klimaschutzpolitik des grün-liberalen Mainstreams kann also als einer verstanden werden, den ideologische Arbeiter:innen des fossilen Kapitalismus gegen ideologische Arbeiter:innen des grünen Kapitalismus führen. Somit wäre es zu kurz gegriffen, nur Klimawandelleugner:innen und Gegner:innen eines Kohleausstiegs bis 2030 oder 2038 als diejenigen zu sehen, die weiterhin an einer naturzerstörenden Doktrin festhalten.

Die wahren Ursachen für die Erscheinung der rechtspopulistischen Anti-Klimaschutz-Revolte rühren viel eher aus dem liberal-konservativen Mainstream. Denn aktuell ist es nicht nur die AfD, die im Bundestag das Kohleausstiegsdatum wieder zur Debatte stellt. Auch die deutsche Bundesregierung, geleitet von einer Koalition aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen (Bündnis 90/Die Grünen) und Liberalen (FDP) spielt angesichts Russlands Angriffskriegs auf die Ukraine mit dem Gedanken, den Kohleausstieg zu verschieben. Ein Ziel, das während den Koalitionsverhandlungen noch als Lanze des Fortschritts gehandelt wurde, steht angesichts der angestrebten Energieunabhängigkeit von Russland gespenstisch schnell wieder zur Verhandlung.

Transformation auf mehreren Ebenen

Nach vehementer öffentlicher Kritik hatte das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium zunächst zurückgerudert. Doch nun soll die mangelnde Energie aus Russland nicht nur mit Kohle aus Deutschland, sondern auch mit Öllieferungen aus Katar und Flüssiggasimporten aus den USA ausgeglichen werden. Das ist nicht nur moralisch fragwürdig – etwa weil Katar maßgeblich an dem brutalen Stellvertreterkrieg im Jemen beteiligt ist – sondern angesichts der Klimakrise auch schlicht keine annehmbare Lösung. So wie der fossile Kapitalismus auf wirtschaftliche Leistung gesetzt hat, führt auch die aktuelle Energiepolitik der Bundesregierung das Wachstumsdogma und die Unsichtbarmachung sozialer Krisen weiter.

Weil die Klimaschutzpolitik der aktuellen Bundesregierung keine anti-kapitalistische ist, ist sie auch nicht sozial-ökologisch. Diese aber würde es brauchen, um die untrennbaren Krisen des Klimas und der sozialen Ungerechtigkeit zu überkommen. Aus ökologischer Sicht muss Deutschland sich nicht aus den Fängen der Energieabhängigkeit zu Russland lösen, sondern eine Reduktion des Energiebudgets wagen. Aus Sicht postkolonialer Gerechtigkeit kann ein Zeitalter des Postextraktivismus erst dann anbrechen, wenn die Auslagerung extraktivistischer Aktivitäten unterbunden wird und ein Naturverständnis, das diese nicht angesichts ihrer Produktivität für wirtschaftliche Prozesse bewertet, etabliert wird.

Aus politischer Sicht braucht es für beide dieser Transformationen ein tieferes Verständnis für die ideologische Arbeit, die Menschen in Zeiten des fossilen Kapitalismus geleistet haben. Und es bedarf des Angebots, einen gleichen oder höheren Grad an Anerkennung in einer post-extraktivistischen Welt erlangen zu können. All das kann und will der grüne Kapitalismus nicht leisten. Insofern: Wer sich vom Extraktivismus abwenden will, muss den Kapitalismus überwinden.

Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur Textreihe “After Extractivism” der Berliner Gazette; die englische Version ist auf hier verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de

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