Veränderungen anzunehmen, fällt den meisten schwer. Doch es liegt etwas in der Luft, dass die Abkehr vom Gewohnten, insbesondere vom Kapitalismus und seiner Religion des Eigentums, nicht nur attraktiv, sondern auch greifbar macht: Commons. Es ist eine Idee, eine Praxis und eine Bewegung, die erst noch richtig verstanden werden will. Die Ökonomin und Historikern Friederike Habermann kommentiert.
*
Realpolitik ist Illusionspolitik, bringt Harald Welzer es auf den Punkt. Denn das Wirtschaftsmodell, das wir haben, führt zu einem steten Mehrverbrauch an Ressourcen. Produktion effizienter zu machen, ist zwar notwendig, führt im gegebenen System jedoch lediglich zu einer Steigerung des gesamten Outputs und damit zu einem absoluten Anstieg der Ressourcenvernutzung – denn Effizienz war schon immer der Motor von Wirtschaftswachstum.
Der positive Zusammenhang von ‚Arbeitsproduktivität steigern, Kosten sparen, expandieren’ sei ein ‘Allgemeinplatz für Ökonomen’ und das ‘täglich Brot für Manager’ – so drückt es der Reboundexperte Tilman Santarius aus; er erforscht all jene Effekte, die die Einsparung von Ressourcen wieder aufheben.
Wenn die neue Gesellschaft nicht auf Verzicht basieren soll, dann muss Wirtschaften einer vollkommen anderen Logik folgen. Eine Logik, die erstens den Zwang zum Wachstum bricht, ohne aber die im Kapitalismus damit unvermeidlich verbundene Folge einer Rezession bzw. Depression oder Krise mit sich zu bringen – das mag als Zwischenschritt auftreten, doch eine Perspektive kann es nicht sein. Es muss gleichzeitig das Neue darin wachsen, und deshalb muss im zweiten, wesentlichen Schritt diese neue Logik allen (und wirklich allen) ein gutes Leben ermöglichen. Die Commons sind ein solcher Weg. Doch es gibt Hindernisse.
Wo schlafen wir?
Manchmal gebe ich zu Beginn eines Workshops die Aufgabe, sich mit – meist ja wildfremden – Menschen kurz zusammenzufinden, um die Frage zu beantworten, was das größte Hindernis darstellt für ein ganz anderes Wirtschaften. Die Antworten lautet immer: Unser Kopf. Unser Denken. Unsere Gewohnheit. Auch: Angst vor Veränderung.
Doch der Zeitgeist – um mal dieses viel geschmähte Wort zu bemühen – spricht eine andere Sprache. Es ist wie in dem Spruch von Victor Hugo: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“. Und das sehe ich vielerorts. Mir selbst fiel zunächst auf, dass die Ansätze alternativen Wirtschaftens, wie ich sie in meinem Buch ‘Halbinseln gegen den Strom’ für den deutschsprachigen Bereich beschrieben habe, in ihren jüngeren Ausformungen, also seit rund der Jahrtausendwende, den von Christian Siefkes zusammengefassten Prinzipien commonsbasierten Wirtschaftens entsprechen: 1. Besitz statt Eigentum, 2. Teile, was du kannst, 3. Beitragen statt Tauschen, 4. Offenheit/freie Kooperation.
Aber auch in sozialen Bewegungen werden diese Prinzipien selbstverständlich gelebt. Den wenigsten der Aktivist_innen sind diese Prinzipien bewusst – und dennoch wird bei Platzbesetzungen niemandem das Mitessen verwehrt, wird auf Tausch verzichtet und darauf vertraut, dass sich mehr oder weniger alle nach ihren Fähigkeiten und Prioritäten einbringen.
George Caffentzis, ein US-amerikanischer Philosoph und für mich ein alter Mitstreiter aus Peoples Global Action (PGA), jener weltweiten Vernetzung, mit der die Globalisierungsbewegung begann, schreibt: „Die weltweite Bewegung von (faktisch) Besetzer_innen verlangen ‘common spaces’, wo sie leben können, um ihre politischen Gedanken zu verkörpern. Darum beinhalten die ersten Taten einer Besetzung Hausarbeit: Wo schlafen wir, wo essen wir, wo erledigen wir unsere Notdurft und wo unser Geschäft, wer macht was sauber und so weiter?“
Und Caffentzis weiter: „Das ist es, was die Regierung und die Wall Street so besonders hassen an den Besetzungen, und warum soviel Gewalt gegen sie losgelassen wurde: Sie zeigen einen anderen Weg auf, die Gesellschaft zu organisieren und neue Commons entstehen zu lassen“.
Rückwärts in kapitalistische Logiken?
Wie gesagt, diese Prinzipien werden mehr und mehr gelebt, und von den allermeisten, ohne es zu reflektieren. Auch die Sharing Economy ist letztlich hierdurch inspiriert. Doch die mangelnde Reflektion macht anfällig für Missbrauch: Wenn im Umsonstladen nicht eingeschritten wird, wenn ihn jemand ausräumt, um den Inhalt auf dem Flohmarkt zu verkaufen, ist das Projekt gestorben.
Andererseits ist die Abgrenzung oft auch fließend: Auf der Webseite velogistics.net kann man auf einer Karte Mitteleuropas unterschiedliche Standorte von Lastenfahrrädern sehen und diese dann ausleihen. Und während einige der Anbietenden ihre Räder umsonst zur Verfügung stellen, bitten andere um Spenden und andere möchten zwei Euros am Tag.
Man kann aber auch ein Mercedes-Modell für 50 Euros am Tag ausleihen – vermutlich eher ein klassisches Beispiel für Tauschlogik. Nun, ich finde nicht, dass überall die reine Lehre herrschen muss, all dies sind Experimentierfelder, in denen wir alle Erfahrungen sammeln, die uns zu weiteren Schritten führen können. Wir müssen jedoch sicher auch aufpassen, dass uns diese Schritte nicht einfach wieder rückwärts in kapitalistische Logiken führen, wie es der Sharing Economy derzeit häufig zu recht vorgeworfen wird.
Insofern bin ich froh, dass es auch sehr reflektierte Netzwerke tauschlogikfreien Wirtschaftens gibt – das Netzwerk Nichtkommerzielles Leben (NKL) ist so eins. Wobei das Stichwort ‘Leben’ schon ausdrückt, dass wir uns Wirtschaft nicht als isolierten Bereich von Politik, Freundschaft, Freizeit und dem ganzen Rest denken sollten.
Die Ideologie, dass es sich um einen abtrennbaren Bereich handelt, legitimiert lediglich die Entpolitisierung durch angebliche ‘natürliche Gleichgewichte’ oder ‘Sachzwänge’. Menschen, die in der NKL aktiv sind, leben tatsächlich häufig in Projekten, eine Abtrennung macht für viele schon aus der eigenen Erfahrung keinen Sinn. Dies sind aber keine klassischen, auf Gemeinschaftseigentum beruhende Kommunen; die Ressourcen des Netzwerks stehen auch Nicht-Mitgliedern zur Verfügung.
Es wird versucht, so viele Bereiche wie möglich tauschlogikfrei sich gegenseitig sowie anderen zur Verfügung zu stellen – das Netzwerk dient dabei vor allem dem Austausch der Erfahrungen.
„Ich bin, weil Du bist“
Durch meine Zeit in der bereits erwähnten globalen Vernetzung Peoples Global Action, was in erster Linie ein Zusammenschluss von Basisbewegungen aus dem globalen Süden darstellte, bin ich in Kontakt gekommen mit Philosophien wie buen vivir in Lateinamerika oder Ubuntu aus Afrika – beispielsweise die ubuntische Grundaussage „ich bin, weil Du bist“ hat mich schon immer fasziniert. Dazu gehört stets auch, dass die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen zu befriedigen sind – während unser System zwar die Menschenrechte hochhält, täglich aber Zigtausende juristisch legal verhungern lässt.
Massimo de Angelis, der mit seinem im Jahr 2000 gegründeten Webjournal The Commoner als erster eine transnationale Plattform für die Diskussion über Commons geschaffen hat, hat sein Wissen ebenfalls über die Erfahrungen in PGA erhalten: durch den Kampf gegen die Staudämme im indischen Narmada-Tal oder ganz zu Anfang bereits durch den zapatistischen Kampf gegen die Privatisierung der ejidos, also der in der mexikanischen Revolution wieder eingeführten Allmenden.
Doch in Deutschland stehen wir gar nicht so schlecht dar, was die Umsetzung spannender Ansätze darstellt – das wurde mir vor Jahren deutlich, als ich ein Buch über die alternative Ökonomie in Argentinien nach dem Finanzcrash schrieb, und die Leute dort immer staunten, wenn ich von Umsonstläden und ähnlichem hier erzählte.
Neubestimmung der Tauschlogik
In Griechenland kenne ich mich nicht aus; erste Beschreibungen von Ansätzen alternativer Ökonomie in der Krise schienen mir sehr der Tauschlogik verhaftet – halt Ansätzen, wie sie gemeinhin als solidarisches Wirtschaften gelten, wie Genossenschaften oder Tauschringe. Doch wenn es dann darum geht, dass die Menschen keine Krankenversicherungen mehr besitzen und krank sind und Hilfe brauchen, dann wird das Tauschen vergessen, und Menschen tun schlichtweg, was notwendig ist.
Nur Gesellschaften, die bereits Geld kannten, entwickelten in Situationen, wo es nicht mehr zur Verfügung stand, Tauschsysteme; das betont beispielsweise der Anthropologe David Graeber in seinem Buch ‘Schulden. Die ersten 5000 Jahre’.
Beispiele für Tausch finden sich in ‘entdeckten’ Kulturen dagegen ausschließlich bei Begegnungen zwischen Fremden, die sich höchstwahrscheinlich nie wiedersehen werden und zwischen denen es ganz sicher keine regelmäßigen Kontakte geben wird. Kein Wunder also, dass in der Zeit vor Adam Smith die Wörter für Tauschen zum Beispiel im Englischen, Französischen oder Deutschen wörtlich ‘beschwindeln’, ‘hereinlegen’ und ‘übers Ohr hauen’ bedeuteten.
Allerdings hat der Medien-Ökonom Felix Stalder vielleicht recht, wenn er Hoffnung in die ‘digitale Solidarität’ setzt, also durch neue Medien ermöglichte strukturelle Erfahrungen der Zusammenarbeit: „Eine solche Solidarität, die in neue Erzählungen eingebettet ist und neue Horizonte für gemeinsames Handeln eröffnet, kann die Grundlage für neuartige kulturelle, wirtschaftliche und politische Formen abgeben.“
Von ‘commonsbasiert’ zu ‘commonsschaffend’
Commons, so viel sollte klar geworden sein, können eine große Rolle in der Zukunft spielen. Doch wir sollten uns eines klar machen: commonsbasiert ist auch der Kapitalismus, denn in ihm werden Natur und alles, was sich als ‘externe Kosten’ zu Profit machen lässt, vernutzt. Insofern weist Silke Helfrich zu recht darauf hin, dass es ‘commonsschaffend’ heißen müsste, wenn wir von Commons als Grundlage der Zukunft sprechen. Wenn wir Commons nutzen wollen, müssen wir auch Commons erschaffen.
Dass weiter von ‘Peerproduktion’ gesprochen wird, bedeutet nichts weiter als unter Ebenbürtigen zu produzieren und ohne den Zwang zu Lohnarbeit. Die vier Prinzipien hatte ich ja schon genannt, doch zwei davon ergeben sich aus zwei anderen, und dies sind die wirklich entscheidenden: ‘Besitz statt Eigentum’ und ‘Beitragen statt Tauschen’.
‘Besitz statt Eigentum’ verunmöglicht, dass einige Menschen viele andere Menschen vom Gebrauch von Ressourcen ausschließen, nur weil diese ihr ‘Eigentum’ sind – nur zur Erinnerung: ab 2016 nennt das inzwischen viel zitierte eine Prozent mehr des in Geld gemessenen weltweiten Wohlstands sein Eigentum als alle restlichen 99 zusammen.
Dieses Beispiel macht auch schon deutlich: Wird dieser Reichtum nicht nur aufgeteilt, sondern als Commons genutzt – also privat dort, wo es Sinn macht, wie beim T-shirt oder dem eigenen Wohnraum, aber gemeinschaftlich, wo immer es angebracht ist, von der Bohrmaschine bis zu den Produktionsmitteln – ist immer noch genügend für alle da.
Das zweite wesentliche Prinzip lautet ‘Beitragen statt Tauschen’. Es steht dafür, unsere Lust und unser Bedürfnis, uns in dieser Welt vielfältig zu betätigen und zu verwirklichen, zu befreien. Ohne dies nach Stechuhr, in Selbstausbeutung und/oder in Konkurrenz zueinander tun zu müssen.
Karl Marx hat diese beiden Prinzipien schon sehr gut benannt. Bei ihm lauten sie: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“
Anm.d.Red.: Der Beitrag basiert auf Fragen, die die Redaktion der Berliner Gazette stellte. Friederike Habermann ist am 8.10. zu Gast im Wikimedia-Salon, der in Kooperation mit der BG-Jahreskonferenz UN|COMMONS stattfindet und sich mit der Frage beschäftigt, welche Art der Kollaboration in der vernetzten Welt gebraucht wird, um Gemeingüter und freies Wissen zu fördern. Mehr Info zum Wikimedia-Salon hier und zur Dokumentation hier. Das Foto im Text ist vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in Berlin entstanden und zeigt Geflüchtete vor der Filiale des Amtes in Berlin-Moabit, die kürzlich wegen Überfüllung geschlossen worden war. Aufgenommen September 2015 von Krystian Woznicki, Creative Commons Lizenz, cc by nc.
Wir müssen Ubuntu – Ich bin, weil du bist – noch viel umfassender denken. Ein Leben ohne die Menschheit als Ganzes ist schlichtweg nicht vorstellbar. Und das schließt nicht nur die lebende Menschheit, sondern auch und vor allem die Menschheit ein, die bereits gelebt hat und uns damit formte und möglich machte.
Im Grunde schaffen wir immer Gemeingüter, indem wir aus Gemeingütern schöpfen und als Kultur die große allumfassende Allmende des Seins weitertragen. Doch wir tun dies unbewusst und wir lassen es zu, dass Einzelne die Allmende privatisieren. Ich habe versucht, diesen Zusammenhang in meinem Buch “Demeter und die Allmende des Seins” ( http://literatur.hasecke.com/Essays/demeter-und-die-allmende-des-seins ) zu klären.
Ich hoffe, in meinem nächsten Buch, in dem es um die Soziale Plastik (Beuys) geht, einen Weg zu finden, sich des Gemeinschaffens bewusst zu werden. Denn nur ein bewusstes formendes Tun bringt uns von dem selbstzerstörerischen Pfad des Kapitalismus ab.
Die Berliner Gazette ist mir bei meinen Arbeiten eine große Hilfe gewesen. Das Thema wird hier von sehr vielen Seiten beleuchtet. Das ist einzigartig. Vielen Dank!
Die Allmende wirft m.E. immer Fragen der Entscheidungsfindung auf. Nicht nur der Kapitalismus als privatisierende Wirtschaftsform zerstört die Allmende. Auch unsere politischen Entscheidungsprozesse sind nicht geeignet, die Allmende – und damit unsere Zukunft – zu schützen. Wir müssen also auch neue Formen der Demokratie finden. In diesem Zusammenhang fand ich das Konzept der Soziokratie ( http://www.sudelbuch.de/2011/mehr-soziokratie-wagen/einleitung ) besonders inspirierend. Vielleicht könnte die Berliner Gazette auch zu diesem Themenkreis eine Artikelreihe beginnen.
“Wenn wir Commons nutzen wollen, müssen wir auch Commons erschaffen.”
Was meinst Denn genau Commons bei dir und was ist die normative Instanz beim “wir müssen”?
@juh
“Ein Leben ohne die Menschheit als Ganzes ist schlichtweg nicht vorstellbar.”
hmm – es ist vorstellbar – denn der Mensch ist ja nur ein (kleiner) Teil der Lebewesen, jedoch das Einzige, welches privatisiert, ideologisiert, “demokratisiert” …
ansonsten ein sehr spannender Artikel, welchen ich in meinem Blog – auch in andere Zusammenhänge gesetzt und kommentiert habe.
http://www.privatausgabe.net/node/144