Das WASG-Symptom

Die WASG befindet sich auf Schmusekurs mit den Globalisierungskritikern. Freie Software, Umweltschutz, die Besteuerung von Devisenumsaetzen – alles drin. Zu diesem Katalog der >korrekten< linken Forderungen gehoeren auch die Bemerkungen ueber die Gleichstellung von Frauen und Minderheiten. Da kommt es der WASG in erster Linie darauf an, dass alle Zugang zur Erwerbsarbeit haben. Darueber hinaus gibt es recht dunkle Andeutungen ueber die >Revolution der Alltagskultur< und die Kritik an der >maennlich gepraegten Erwerbswelt<; es gibt Rufe nach gleichen Rechten und dem Antidiskriminierungsgesetz, doch es fehlt an jeglichem Konzept ueber die Gestaltung einer Gesellschaft, in der Differenzen eine zunehmende Rolle spielen. Wie sollen Benachteiligungen beseitigt werden? Wie sollen Rechte ausgestaltet werden? Soll es ein >Mainstreaming< geben in Bezug auf Geschlecht, Behinderung und Ethnizitaet? Oder was?

Nun sollte man einer neuen Partei vielleicht noch nicht vorwerfen, dass sie ganz am Anfang ihres politischen Prozesses noch keine Antwort auf alles und jedes hat. Doch von einer Partei, die sich als Anwalt jener betrachtet, >die durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen< sowie >der Schwachen, der Armen, der Ausgegrenzten< koennte man doch etwas mehr Nachdenken darueber erwarten, wie die Arbeit heutzutage funktioniert und auf welcher Grundlage eigentlich >die Armen< und >die Ausgegrenzten< eine gemeinsame Perspektive entwickeln koennten. Was haben ein 54-jaehriger Mann, der vor einigen Jahren nach 30-jaehriger Berufstaetigkeit arbeitslos wurde und nun Alg 2 bezieht; eine Choreografin und Taenzerin mit Muskelatrophie, die gerade ein von der Bundeskulturstiftung gefoerdertes Projekt in Brasilien organisiert; und eine Frau mittleren Alters, die jeden Tag fuer einen schlecht bezahlten Job in der Schlecker-Filiale zwei Stunden mit dem Zug pendelt - was haben diese Leute eigentlich politisch miteinander gemein? In der globalisierungskritischen Bewegung wird seit geraumer Zeit ueber die >Multitude< gesprochen, also ueber die Vielheit. In dieser Debatte ist sicher nicht alles Gold, was glaenzt, aber zumindest werden die richtigen Fragen aufgeworfen. Eine Rueckkehr zur traditionellen Sozialdemokratie ist jedenfalls nicht moeglich - zunaechst muessten die diskriminierenden Voraussetzungen des >Modells Deutschland< auf den Tisch. Aber ob die Bereitschaft zur Reflexion dieser Voraussetzungen bei der WASG steigen wird, wenn Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat fungiert, das darf man bezweifeln. Der sehnt sich in seinem Buch >Politik fuer alle< naemlich zurueck in die Zeiten der guten Patriarchen, die noch soziale Verantwortung uebernommen haben - anstatt der heutigen Manager, so Lafontaine, brauche es wieder gestandene Persoenlichkeiten wie Ferdinand Porsche, Gottlieb Daimler oder Werner von Siemens. Und Lafontaine macht auch klar, dass die >Gemeinschaft<, die er sich vorstellt, funktioniert wie ehedem - naemlich homogen nach innen und abgeschlossen nach aussen. Lafontaine warnt vor dem Zerfall in >Parallelgesellschaften<, zitiert den Kulturclash-Beschwoerer Samuel Huntington und findet es verheerend, dass Bush und Kerry im US-Wahlkampf ihre Latino-Waehler auf Spanisch angesprochen haben. Und schliesslich haelt er es angesichts der Arbeitslosigkeit im Lande fuer >fahrlaessig und toericht, eine weitere Zuwanderung zu foerdern<. Von >Wahlalternative< also keine Spur. In ihrer jetzigen Programmatik ist die WASG primaer deswegen moeglich, weil die deutsche Sozialdemokratie in diesen Tagen ein so erbaermliches Bild abgibt. Es fehlt einfach an jeglichem Konzept. Fuer die SPD gibt es bekanntlich nur noch >Sachzwaenge<. Sie schwankt zwischen Appellen an das Guertel-enger-Schnallen und dem Schimpfen ueber den boesen Kapitalismus à la >Muente<. Und waehrend man den Leuten >Eigenverantwortung< predigt, beraubt man sie gleichzeitig jeglicher Perspektive, denn man ruft ja nur zur Anpassung auf - an die Bedingungen, die der ferne Weltmarkt diktiert. Nun hat man in Deutschland oftmals die Nase geruempft ueber Tony Blair. Doch die britische Sozialdemokratie hat durchaus ein Konzept - und zwar eines, das sowohl die Gleichheit als auch die Heterogenitaet in Betracht zieht. >Social inclusion< nennen sich naemlich jene Programme, die auf der einen Seite im Bildungssystem fuer die Einbeziehung benachteiligter Gruppen sorgen sollen und auf der anderen Seite alle Institutionen der Gesellschaft im Sinne eines >Mainstreaming< darauf ueberpruefen, ob sie der Vielfalt der Gesellschaft gerecht werden. Dabei hat die Blair-Administration die Hinterlassenschaften von Margret Thatcher nicht angetastet: Jeder muss ins neoliberale rat race. Doch die Labour Party hat daran gearbeitet, dass der Staat die Voraussetzungen fuer den Wettbewerb gestaltet, indem er dafuer sorgt, dass zumindest alle die gleichen Chancen haben. In diesem Sinne haette etwa das Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland ein sozialdemokratisches Projekt werden koennen, wenn man es denn offensiv in den Dienst der Chancengleichheit gestellt haette. In der Thematisierung der Chancengleichheit verbirgt sich eine Perspektive - das Versprechen auf soziale Mobilitaet. Eine solche Politik bedeutet aber, dass man anerkennen muss, dass die Gesellschaft nicht mehr eins und heil wird, sondern dass sie von Spaltungen und Differenzen aller Art durchzogen ist. Eine solche Politik hat akzeptiert, dass die >Integration< der Gesellschaft kein Ziel mehr sein kann, sondern nur die sinnvolle Gestaltung der Vielheit. Freilich kann man ein solches Politikverstaendnis von weiter links scharf kritisieren. Aber dann hat man zumindest einen satisfaktionsfaehigen Gegner.

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