Das Schweigen in der Provinz

Von Heideggers tiefer Verbundenheit mit der Provinz gibt es nicht wenige Zeugnisse. Etwa das bekannte Gedicht >Waelder lagern Baeche stuerzen< von 1947, die wohl autobiografische Erzaehlung >Der Feldweg< 1949, in der der einsame Denker auf einem Feldweg im Kreisgang um seine Geburtsstadt Messkirch wandelt. Dann eine Ansprache des 21jaehrigen Theologiestudenten von 1910, anlaesslich der Enthuellung eines katholischen Denkmals im badischen Kreenheinstetten.

Weniger implizit aeussert er sich in der 1933 entstandenen Schrift >Schoepferische Landschaft – Warum bleiben wir in der Provinz?<. Sie ist zu verstehen als oeffentliche Erklaerung fuer die zweimalige Absage 1930 und 1933, in Berlin an der Universitaet zu lehren und Freiburg im Breisgau und das laendliche Leben im Schwarzwald zu verlassen. Wie aus der Schrift hervorgeht, war es das kaum merkliche Schuetteln mit dem Kopf eines Schwarzwaldbauern, den Heidegger um seine Meinung zu dem Ortswechsel gebeten hatte. Gleichsam in den klaren Blick des alternden Mannes >geschoben<, bedeutet beides ein >unerbittliches< Nein. Der zu dieser Zeit bereits beruehmte Philosoph, dessen Hauptwerk >Sein und Zeit< von 1927 an den Universitaeten gelesen wurde, entschloss sich so, den Ruf in die Reichshauptstadt auszuschlagen. >Schoepferische Landschaft< macht klar, warum Heidegger in Todtnauberg auf >Der Huette< blieb, seinem seit den fruehen 1920er Jahren erworbenen Rueckzugsdomizil von der Welt. Seine philosophische Arbeit inmitten der Berge, die >hohe Zeit< der Philosophie in tiefen Winternaechten, begriff Heidegger nicht als die abseitige Beschaeftigung eines Sonderlings, sondern als >mitten hinein in die Arbeit der Bauern<. Wie er es in besagter Schrift darstellt, geht der Staedter, wenn er sich zu einem langen Gespraech herab laesst, nur >unter das Volk<, um sich hoechstens einmal >anregen< zu lassen. In der betriebsamen und geschmaecklerischen Zeit der Landaufenthalte, der Sommerfrische oder der Skiausausfluege, benimmt sich der staedtische Ankoemmling< und >Durchkoemmling< auf den Bauernhoefen wie in den grosstaedtischen >Vergnuegungspalaesten<. Wenn hingegen Heidegger zusammen mit den Bauern sass, dann redeten sie >meist gar nicht<, vielleicht ueber das Kalben einer Kuh oder das Umkehren des Wetters, ansonsten rauchten sie >schweigend< ihre Pfeifen. Die >starke Luft der Berge< hat Heidegger dem >weichen, leichten Zeug< und der Spiessigkeit des staedtischen, akademischen Lebens vorgezogen, das er im katholischen Freiburg und spaeter seit den 1920er Jahren nach einem Ruf nach Marburg in der protestantischen Kleinstadt vorfand. Nach der Gesellschaft der Professoren verspuerte er kein Verlangen. Die Bauern seien angenehmer und >sogar interessanter<. Tatsaechlich wirkte Heidegger dann, wenn er sich in Marburg aufhielt, wie ein >sonntaeglich gekleideter Bauer< im akademischen Treiben der Universitaet. Im Winter erschien er gelegentlich in Skikluft und im Sommer mit Kniebundhosen oder einem Lodenanzug. Dieser war von dem Maler Otto Ubbelohde entworfen worden und wurde unter den Studenten der >existentielle Anzug< genannt. Fuer Heidegger war die >eigene Arbeit< aber in die Welt der Berge und der Bauern eingelassen, in Gesetze, deren verborgenen Gruenden er sich >nicht maechtig< fuehlte und die fuer ihn einer jahrhundertelangen Bodenstaendigkeit von baeuerlicher Kultur und Mentalitaet zugehoerten. In der Wahl fuer das provinzielle Leben vertrat Heidegger eine antimoderne und technikkritische Haltung. Der Schnellebigkeit in den Medien, dem Beruehmt-Werden und dem raschen in Vergessenheit-Geraten zog Heidegger die Treue einer regelmaessig zum Schwatz kommenden alten Baeuerin vor. Der ueber ihre Tradition hinausgehenden Moderne, die ihre Masstaebe allein aus sich selbst schoepft, der >Erkuensteltheit< menschlichen Rechnens, ihren Versuchen, durch moderne Planung den >Erdball in eine Ordnung< zu bringen, prophezeite er Vergeblichkeit, wenn sie sich nicht auf die >sanfte Gewalt des Feldwegs< einliesse. Heideggers >wir< war natuerlich auch eine deutsche, eine stoerrische, ausgrenzende Provinzialitaet, die nichts von >volkstuemelnden<, literarischem >Gerede< und wissenschaftlichen >Belehrungen< ueber Volkskunde hoeren wollte. Wem Gehoer verliehen wurde, war das >einfache, harte Dasein<. Dies galt es ernst zu nehmen und sich einzulassen auf seine taeglichen Rituale und die Beschraenktheiten dieses Lebens, um es so >wieder zu uns sprechen zu lassen<.

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