Ich streife durch Wien. In den Nobelgassen befinden sich die Menschen im Dauerlauf. Hier ein Pelzmantel, da ein schwerfälliger Klunker. Dicke Frauen mit noch dickeren Tüten schieben sich an mir vorbei. Touristen wuseln, gucken, suchen nach einem schicken Kaffeehaus. Die meisten sind sofort als Touris zu erkennen, weil sie nach Milchkaffee verlangen. In Wien sagt man “Eine Melansche bittä” und ist integriert. Ich erblicke ein junges Mädchen und einen älteren Herrn.
Sie hüpft euphorisiert, gibt unzumutbare Laute von sich: Akustischer Teenieterror. Es folgt eine innige, nein, überfallende Umarmung. Ich habe selten jemanden so austicken sehen. Also, noch nie. Ich überlege, was wohl die Ursache jener Gefühlsregung sein mag. Die Vermutung, dass sich beide in diesem Moment seit Monaten oder Jahren das erste Mal wieder sehen, liegt nahe.
Vielleicht sind sich die beiden hier vor dem Louis Vuitton-Geschäft ihrer verwandtschaftlichen Beziehung bewusst geworden: Vater und Tochter? Emotionale Ausschreitungen sind in solchen Fällen ja nachvollziehbar. Oder sie ist nach acht Jahren vergeblichen Hoffens und Zweifelns aus der Antarktis heimgekehrt, in einer Zeit, wo schon niemand mehr an ihr Überleben zu glauben wagte. Herzzerreißend. Eine schöne Geschichte für taff, Punkt 12 und ähnlich reißerische Artgenossen.
Weit gefehlt. Um ihr Handgelenk baumelt im Takt eine nagelneue Louis Vuitton-Tasche. Das verspätete Weihnachtsgeschenk? Ja, jetzt ergibt das “AHHHH, OHH mein Gott und haaaach” Sinn beziehungsweise eigentlich schon nicht mehr. Ich möchte mich anschicken, meiner nach diesem Ereignis angestauten Marken-Luxus-Verblödungs-Kritik Luft zu machen: Warum? WARUM? Mehr Gedankenfülle ist nicht drin.
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