Das Internet in Deutschland

Studiert habe ich von 1971 bis 1975 in Bremen Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Organisations- und Betriebssoziologie sowie Stadt- und Regionalentwicklung. Schon im Studium und dann als Forschungsassistent ging es mir vor allem um die empirische Analyse der Realitaet: Wie veraendern sich Arbeit, Wirtschaft und Region im Gefolge des technischen Wandels? Ende der achtziger Jahre ging es vor allem um die Frage der Wirkungen des Einsatzes von Computern, spaeter dann um das Thema Internet und Gesellschaft.

Seit 1989 bin ich als Professor in der Informatik zustaendig fuer den Schwerpunkt >Anwendungen und Auswirkungen< - heute wuerde man ihn >Informatik und Gesellschaft< nennen. 1996 war ich einer von vier deutschen Teilnehmern an einer Konferenz der Stanford University zum Thema >Aufbau regionaler Netzwerke< - diese Frage hat mich von da an sehr beschaeftigt. Da geht es um gesellschaftliche Folgen der Internet-Entwicklung, um unterschiedliche Veraenderungen in unterschiedlichen Laendern und Regionen, um die Entwicklung der Staedte und um [dezentrale] Strategien fuer die Zukunft. In das eben erschienene Buch >Das Internet in Deutschland< sind meine in den letzten zehn Jahren gewonnenen Erfahrungen mit der Analyse von Internet-Entwicklungen unter besonderer Beruecksichtigung der Staedte und Regionen eingegangen. Dabei ging es mir darum, genauer hinzusehen und empirisch tiefer einzusteigen. In der Hoffnung, empirisch fundierte Antworten zu geben - so wie es z. B. Horst Kern und Michael Schumann vor 35 Jahren zum Thema >Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein< getan haben. Ich bin stolz darauf, die Realitaet auf Basis einer Vielzahl von gemessenen Daten beschreiben zu koennen. International kenne ich niemanden, der eine solche Datenbasis zur Verfuegung hat. Diese Behauptung soll natuerlich provozieren: Ich freue mich ueber jeden Hinweis auf interessante Daten. In meinem Buch wird eine digitale Differenzierung in Deutschland sowohl fuer die grossen Staedte als auch fuer die Ortsteile einer Grossstadt herausgearbeitet. Die Unterschiede zwischen der Spitze und dem Ende der Tabelle nehmen dramatische Ausmasse an. Man koennte von einer >digitalen Spaltung< sprechen. Der Begriff bezieht sich im Kern auf die Ausgrenzung von Personengruppen oder ganzen Landstrichen ohne Internet-Zugaenge. Fuer Deutschland und die deutschen Staedte ist nach meiner Ansicht trotz der Groesse der Unterschiede der Begriff der digitalen Differenzierung angemessener. Der Grund: In Deutschland gibt es keine Konzentration der Internet-Staerke auf eine einzige Metropole und keine voellige Ausgrenzung ganzer Gegenden. Aber es gibt eine digitale Differenzierung entlang bestehender Wohlstandslinien. Ueberraschend ist dabei die Eindeutigkeit des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher bzw. sozialer Staerke und Internet-Staerke. Man kann von einer Kopplung dieser beiden Groessen sprechen, wie sie im Rahmen der PISA-Studien zur Bildung beschrieben worden ist. Meine These lautet daher: Es gibt so etwas wie eine digitale Dreiteilung Deutschlands mit einem weit abgeschlagenen Osten und einem sehr schwachen Ruhrgebiet, einem durchschnittlichen Norden und sehr starken Gegenden am Rhein und im Sueden. Die Trennungslinien verlaufen ueberraschend deutlich entlang der Wohlstandslinien. In der Stadt Bremen liegen z. B. die Internet-Werte der sozial starken Ortsteile im Bereich >Mitte/Nordost< weit ueber dem Durchschnitt, im Sueden nahe der Durchschnittslinie und in allen anderen Teilen der Stadt deutlich darunter. Wenn das Internet bisher die oekonomisch und sozial Starken weiter gestaerkt hat, spricht vieles dafuer, dass das auch in Zukunft so bleiben wird. Ich habe neben der deutschen Hauptstadt des Internets und des Wohlstands - Muenchen - drei bis vier weitere Internet-Spitzen-Regionen identifiziert, die zugleich die dominierenden Wirtschafts- und Innovationszentren sind: den Raum Stuttgart/Karlsruhe/Heidelberg, die Gegend Frankfurt/Wiesbaden/Mainz/Darmstadt, die Rhein-Zone mit Duesseldorf, Koeln und Bonn sowie - mit Abstrichen - den Grossraum Hamburg. Berlin liegt bei der von mir analysierten Internet-Staerke leicht unter dem Durchschnitt der 50 groessten deutschen Staedte [Platz 20]; fuer die oekonomische Staerke hat das Institut der Deutschen Wirtschaft nur Platz 47 errechnet! Nach meiner Ansicht braucht die deutsche Internet-Forschung einen zentralen Ort zur Buendelung von Kompetenz auch fuer die internationale Kooperation. Es sollte ein Deutsches Institut fuer internationale Internet-Forschung geben: auf dem Niveau des in Oxford gegruendeten Internet Instituts und mit dem Potential, die Diskussion auch auf internationaler Ebene [z. B. im Rahmen des World Internet Project] zu praegen.

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