Das Gesicht der kommenden Gemeinschaft

Vor exakt 15 Jahren brachte das Magazin TIME eine Sonder- ausgabe mit diesem Cover: >The New Face of America: How Immigrants Are Shaping the World’s First Multicultural Society<. Neben dem Gesicht steht folgendes - ich uebersetzte das gleich:

>Schauen Sie sich diese Frau genau an. Ein Computer hat sie aus einer Mischung unterschiedlicher Rassen erschaffen. Was Sie sehen, ist eine bemerkenswerte Vorschau auf…< Im Editorial wird erlaeutert, wie sich dieser Hyperklon zusammensetzt: 15% angelsaechsich, 17.5% Mittlerer Osten, 17.5% afrikanisch, 7.5% asiatisch, 35% suedeuropaeisch und 7.5% spanisch. Solche Visionen haben in den letzten 20 Jahren immer wieder die Runde gemacht: in Medien, Werbung und Politik. Mischkalkulationen werden immer dann eingesetzt, wenn es gilt ein Gesicht zu praesentieren, das fuer die Gemeinschaft des 21. Jahrhunderts steht: eine kulturelle Mischung, die keine Wurzeln zu haben scheint, die dennoch praezise analysiert werden kann, von einem Computerprogramm zumindest... Die Berliner Gazette hat bei der Vorbereitung zu der Podiums- diskussion Weiche Macht ebenfalls nach einem Gesicht der kommenden Gemeinschaft Ausschau gehalten. Und sich bald dafuer entschieden, ein Gesicht zu nehmen, das ein Nicht-Gesicht ist: ein unbeschriebenes Blatt, eine Leerstelle, eine Absenz.

Der Medienkuenstler Daniel Pflumm hat dieses Nicht-Gesicht bei seinen Streifzuegen durch zeitgenoessische Werbeclips festgehalten. Es ist sehr vieldeutig und bietet eine Fuelle von Projektionsperspektiven. [Selbst ein Eisladen hat ohne zu zoegern unser Poster mit diesem Motiv in sein Schaufenster gehaengt.] Es ist ein sehr sprechendes Gesicht, gerade, weil es eine Weigerung zu Sprechen darzustellen scheint. Es ist das Gesicht einer Gemeinschaft, die sich nicht zeigen kann, weil sie noch im Entstehen begriffen ist. Ist dieses Noch-Nicht ein Mangel, eine Forderung oder eine Bestimmung? Eines scheint gewiss: Dieses Gesicht ist nicht zuletzt eines, das dazu einlaedt Fragen zu stellen.

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