Commons im Gesundheitswesen: Zwischen Designer-Medizin, Biobanken und Neoliberalismus

Personalisierte Biomedizin ist im Gesundheitswesen auf dem Vormarsch: Während Medizinunternehmen maßgeschneiderte Angebote mit rundum individualisierten Leistungen auf den Markt werfen, vollzieht sich ein weitreichender Wandel im Krankenhaus- und Gesundheitssektor. Berliner Gazette-Autorin Claire Hesse-Davies schaut sich die Privatisierung der medizinischen Commons genauer an und fragt nach Alternativen.

*

Personalisierte Medizin, die auch im Zuge der eHealth-Bewegung floriert, hat einige wichtige Fortschritte hervorgebracht. Beispielsweise kann durch Gentests bestimmt werden, ob aggressive Chemotherapien bei Krebspatienten von Nöten sind oder nicht. Doch es besteht die Gefahr, dass medizinische Behandlungen zur kommerziellen Handelsware werden. Wie können gemeinschaftsorientiere Gesundheitspraktiken in einem solchen Milieu überleben? Welche Rolle spielt das Gemeinsame in der Biomedizin überhaupt?

Der Siegeszug der Ich-Medizin

Die wachsende Nachfrage im Bereich der personalisierten Biomedizin ist auf verschiedene sozialpsychologische Faktoren zurückzuführen. Zu diesen Faktoren gehört: Wir leben in Zeiten der Masse, menschliches Leben ist in neuer Weise miteinander verwoben, damit entstehen auch neue Bedrohungen durch Krankheit und Kontaminierung. So agieren die dominantesten Befürworter von personalisierten Gentests nach der Prämisse: Jeder Mensch ist ein Risiko. Präventive Prozeduren werden daher von privater Gesundheitsfürsorge groß geschrieben. Die Marketingstrategie ködert Menschen mit ihrer oftmals unbegründeten Furcht. Das führt beispielsweise dazu, dass man versucht, nicht-diagnostizierten genetischen Störungen bei noch ungeborenen Kindern vorzubeugen.

Kontaminierungen und Verunreinigungen in öffentlichen Biobanken gehören ebenfalls zu weitverbreiteten Risikoszenarien. Was tun um der Bedrohung von HIV oder BSE zu entkommen? Die Entscheidung, eine private und persönliche Sammlung von Gewebeproben oder Körperflüssigkeiten anzulegen, ist oftmals naheliegend. Im Zuge dessen wenden sich zunehmend viele Menschen von kommunalen Optionen ab, die von öffentlichen medizinischen Einrichtungen angeboten werden.

Befürworter der Ich-Medizin legitimieren diesen Trend indem sie die Entscheidungsfreiheit, die Autonomie sowie die Selbstentdeckung in den Vordergrund rücken. Die Betonung des Individuums schlägt sich bei privaten Unternehmen für Gentechnologie oft in ihren Namen nieder, wie zum Beispiel bei 23andMe (dt. “23 und ich”) oder deCodeMe (dt. “Entziffere Mich”).

Bei dem Aufschwung von personalisierter Biomedizin sind auch Unternehmensinteressen und neoliberale Ideologien nicht zu missachten. Wie die Juristin Roxanne Mykitiuk bekräftigt, gibt es eine grundlegende Verbindung zwischen so genannter neuer Genetik und neoliberaler Privatisierungspolitik. In beiden Fällen wird ein Element von der gesellschaftlichen Ebene in eine mikrofeine Subkategorie transportiert. In beiden Fällen wird das Private aufgewertet und das Kommunale abgewertet.

Dabei verlassen sich private Unternehmen für Biotechnologie oft auf staatliche Intervention, wenn es darum geht, Verluste auszugleichen. Auch wenn es um Ressourcen geht, muss die Regierung oftmals eingreifen: Die Firma deCODE Genetics, zum Beispiel, nutzte kostenlos die nationale isländische Einwohnerdatenbank für ihre Forschung, behielt jedoch den Profit für sich allein.

Im Angebot: Den genetisch perfekten Lebenspartner

Die privatisiere Genetik hat viele Unterströmungen hervorgebracht. So zum Beispiel DTC-Marketing, was für Direct To Consumer Marketing steht, also “direkt an den Konsumenten”. DTC-Anbieter im Bereich der modernen Biotechnologie befassen sich vor allem mit dem menschlichen Genom, beispielsweise Firmen wie MyGenome. Erbanlangen und genetische Ausstattungen von Einzelpersonen werden für einen relativ hohen Preis analysiert: 1.000 Euro und aufwärts. Was versprechen sich Konsumenten von diesem Service? Sie wollen sich zumeist über ihre genetischen Risikofaktoren für bekannte Erkrankungen informieren. Sie hoffen sich dadurch neue Wege der Diagnostizierung, moderne Behandlungsweisen und zusätzliche Methoden der Krankheitsprävention zu erschließen.

Die Firma 23andMe verspricht, Kunden mithilfe von Gentests mit ihrer erweiterten Familie verbinden zu können. Globale Verwandtschaft und Abstammung sollen zurückverfolgt werden können. Nicht zuletzt profitieren private Biogenetik-Unternehmen von den romantischen Sehnsüchten der Menschen: Die Verkuppelungsdienstleistung von Scientific Match verspricht etwa, ihren Kunden ein erfolgreiches Liebesleben zu bescheren, indem zwei Menschen mit besonders kompatibler Genetik zusammengeführt werden. Diese sollen aufgrund ihrer Chemie ein sehr gutes Sexleben und eventuell besonders immune Kinder bekommen.

Die medikamentöse Versorgung hat ebenso eine Nische in der personalisierten Biomedizin gefunden: Diese trägt den Namen Pharmakogenetik. Diese Designermedizin befasst sich mit der genetischen Ausstattung von Kunden, um ein auf die Person spezifiziertes pharmazeutisches Regime maßzuschneidern. Im besten Falle können die Kunden eine effizientere medizinische Versorgung bekommen und durch Tests herausfinden, welche Medikamente nicht anschlagen würden oder in geringerer Dosierung angebracht wären.

Dieses Verfahren hat schon einige Erfolge erzielt: Ein Medikament namens Vemufarenib wirkt lebensverlängernd auf Hautkrebspatienten, die die richtigen genetischen Bedingungen mit sich bringen. Zudem ermöglicht die Pharmakogenetik, dass Frauen bei der In-vitro-Befruchtung niedrigere Hormondosierungen nehmen können. Vermehrte Gentests helfen auch kontinuierlich dabei, Krebs im Frühstadium zu erkennen. Und können so lebensrettende Implikationen haben. In gewissen Fällen konnten iatrogene Erkrankungen, also solche, die durch Therapiemaßnahmen eines Arztes verursacht wurden (ob nun Operationen oder Medikamente), verhindert werden.

Hat Ich-Medizin immer nur Vorteile? Nein, Beispiel: Nabelschnurblut

Personalisierte Medizin ist wissenschaftlich gesehen nicht zwangsläufig die überlegene Methode. Das kann etwa anhand von einigen Fakten bezüglich der privaten Lagerung von Nabelschnurblut belegt werden. Die medizinische Nutzung von Nabelschnurblut hat sich schon seit vielen Jahren als gängige Praxis etabliert, vor allem in den USA wird das Verfahren häufig angewandt. Mehr als 10.000 Patienten weltweit haben eine solche Transplantation empfangen. International werden etwa 360.000 Nabelschnurblut-Einheiten in öffentlichen und kostenlosen Banken gelagert.

In den letzten Jahren, ist die private Lagerung von Nabelschnurblut immer mehr zu einem Trend geworden. Private Firmen ermutigen werdende Eltern dazu, das Nabelschnurblut ihres Kindes für dessen exklusive Nutzung zu lagern: Als eine Art biologischen ‚Ersatzteil-Kit’ für die gesundheitliche Versicherung. Davon raten viele Gesundheitsexperten ab. Denn überraschenderweise sollen Nabelschnurblut-Transplantationen tatsächlich effektiver sein, wenn sie nicht mit dem eigenen, sondern dem Blut von anderen vorgenommen werden. In gewissen Fällen, wie zum Beispiel bei Leukämie-Patienten, kann die Verwendung des eigenen Bluts sogar gefährlich sein.

Ebenfalls kann der Vorgang der Nabelschnurklemmung, die unmittelbar nach der Geburt des Kindes geschehen muss, des Kindes ausreichende und natürliche Blutversorgung hemmen, und dadurch ironischerweise erst den Bedarf einer Bluttransplantation entstehen lassen. In Fällen, bei denen private Blutbanken Pleite gehen, wird der Zugriff auf das Blut selbst den Eltern und dem Kind verwehrt. In diesem Sinne ist die öffentliche Variante also nicht nur die ethischere, sondern auch die wissenschaftlich sinnvollere und kosteneffektivere.

Die große Frage: Wem gehört das Erbgut und wer macht damit Profit?

Ein grundlegendes Problem von Gentechnologiefirmen: Kunden verlieren all ihre Besitzrechte, sobald sie Flüssigkeiten, Gewebe oder Daten einreichen. Diese Idee entspringt eigentlich der Wissenschaft, denn die genetischen Daten sollen allen zur Verfügung stehen. Doch Unternehmen profitieren von diesem Zustand und postulieren dann auch noch fortwährend, dass bei ihren Praktiken die Autonomie des Subjekts im Vordergrund steht. In der Vergangenheit kam es bereits in mehreren Fällen zu Konflikten.

Ein Beispiel für so einen Konflikt ist die Grundsatzentscheidung Moore v. Regents/University of California aus dem Jahr 1990. Im Jahre 1976 bekam John Moore Haarzellenleukämie. Sein Arzt befahl ihm regelmäßig Proben seines Gewebes abzugeben. Ohne es groß zu hinterfragen, kreuzte Moore auf einem Formular an, dass er der Universität von Kalifornien alle Rechte auf die Zelllinien von eventuellen Produkten, die mit seinem Blut oder seinem Knochenmark entwickelt wurden, abtrete.

Als er begann ‚Nein‘ anzukreuzen, kam es zum Eklat: Moore reichte eine Klage ein, um seine Einwilligungen rückgängig zu machen. Bald kam jedoch heraus, dass sein Arzt schon ein drei Milliarden Dollar schweres Patent auf die “Mo”-Zelllinie angemeldet hatte, die außergewöhnliche Immunzellen aufwies. Der Bundesgerichtshof von Kalifornien urteilte im Juli 1990, dass Moore keinerlei Profitrechte bei der Vermarktung von irgendeinem Produkt hat, das aus seinem Biokapital gewonnen wurde.

Was wird aus den Commons in der Biomedizin?

Die UNESCO verkündete im Jahr 1997 eine universelle Deklaration zum menschlichen Genom und den menschlichen Rechten. Sie lautet: “Im symbolischen Sinne ist das menschliche Genom das gemeinsame Erbgut der Menschheit… [und] soll in seinem natürlichen Zustand keinen Anlass zu finanziellem Gewinn geben.” Dass diese Deklaration nun von vielen privaten GenTech-Unternehmen, sowie Wissenschaftlern und Ärzten zunichte gemacht wurde, liegt auf der Hand.

Donna Dickenson behauptet in ihrem Buch “Me Medicine vs. We Medicine”, dass es zwei grundsätzliche Wege gäbe, wie Commons jeder Art gefährdet werden können: Indem Individuen das Gemeingut erschöpfen, wenn sie mehr von der gemeinschaftlichen Ressource nehmen, als nur ihre faire Portion. Oder indem wertvolle Gemeingüter in gänzlich private Güter verwandelt werden und vorherigen Mitnutzern ihr Anteil komplett versagt wird. Um zu verhindern, dass diese Prozesse in der Biomedizin stattfinden, schlägt die Philosophin und Medizinethikerin zwei Methoden vor.

Die eine basiert auf dem Modell einer Wohltätigkeitsstiftung, bei der die Beitragenden die gleichen Rechte bekämen wie Nutznießer eines persönlichen Fonds: Die Beitragenden bekämen zwar nicht das Besitzrecht, jedoch wäre der Treuhändler dazu verpflichtet im Interesse des Nutznießers zu handeln und in seinen Möglichkeiten zu profitieren, eingeschränkt. Die andere Methode, die Dickenson vorschlägt, um der privaten Plünderung von biotechnologischen Commons entgegenzuwirken, wäre einschränkende Patentrechte anzufechten.

Die gute Biobank

Dickensons Vorschläge sind nicht allzu abwegig. Einige Organisationen, die nach ähnlichen Prinzipien agieren, haben sich bereits etabliert. Zum einen gibt es in Großbritannien die Biobank – das Eigentum ist hier legal durch den gemeinnützigen Charakter der Organisation eingehegt. Die Rahmenbedingungen zur Moral und zum Steuerungsvorgehen besagen, dass die Organisation Stichproben nicht geradeheraus verkaufen darf. Und, dass Beiträger ihre Biokapitalspende zurückziehen dürfen. Eine andere Organisation, die nach Commons-Prinzipien agiert ist die PXE International Foundation, die von Familien aufgebaut wurde, dessen Kinder an der Bindegewebserkrankung Pseudoxanthoma Elasticum leiden. Die Familien teilen die Besitzrechte und beanspruchen keinen Profit. Dieser wird stattdessen in weitere Forschung investiert.

Mit Blick auf diese vorbildlichen Ansätze ließe sich sagen: Der Aspekt des Gemeinsamen ist in der Biomedizin unweigerlich grundlegend. Aus diesem Grund lassen sich ‚Ich‘ und ‚Wir‘ in dieser Rubrik auch nicht strikt trennen. Das eine ist immer eine maßgebliche Voraussetzung für das andere: Zum Beispiel können wertvolle Entwicklungen in der Pharmakogenetik nur dadurch entstehen, dass Informationen aus einem riesigen gemeinschaftlichen Genpool gewonnen werden.

Entscheidungsfreiheit und technologische Entwicklungen in der Biomedizin sind immens wichtig und sollen in jedem Falle weiter unterstützt werden. Doch um den Commons-Gedanken aufrechtzuerhalten muss das Gemeinwohl über dem Profitstreben stehen. Organisationen wie die Biobank sind ein gutes Beispiel dafür, dass in der Biomedizin einen dritten Weg geben kann und wie er aussehen könnte. Es ist der Weg der Commons.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Jahresschwerpunkt UN|COMMONS. Das Foto stammt von Magdalena Roeseler und steht unter der Creative Commons Lizenz cc by 2.0.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.